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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

fertig; um ihm indeß auch auswärts, in der weiten Welt zu Ansehen und Geltung zu verhelfen, dazu bedurfte es noch anderer Kräfte und Hebel, als sie die armen Weber von Philippsdorf anzuwenden vermochten. Diese Kräfte und Hebel fanden sich „zum Glück für den Ort“ alsbald in der Person des Beichtvaters der „Gottbegnadeten“, des geschickten und energischen Pater Storch in Georgswalde. Er wußte die Sache am rechten Ende anzugreifen und das Feuer der Begeisterung zu schüren, um „die neue Gnadenstätte“ und Glücksquelle, welche die „Ehre Gottes“ wiederum so sehr „gemehrt“, der alleinseligmachenden Kirche zu neuer Glorie gedient und dem bis dahin unbemittelten Orte alljährlich Tausende und Tausende von Gulden gespendet hat, in’s Leben zu rufen und, was vielleicht schwieriger, inmitten einer von Protestanten umwohnten und viel in der Welt verkehrenden Geschäfts- und Handelsbevölkerung zu erhalten.

Obschon alle Perspectiven in’s Auge fassend und im Herzen sicher entzückt über den – sagen wir gelinde – Fiebertraum der Kranken, verhielt sich der Stiftscaplan mit weiser Politik anfangs anscheinend ablehnend gegen das Ereigniß. Zwar erfährt er es, wie man sich denken kann, noch im Laufe des dreizehnten Januar, allein erst zwei Tage später begiebt er sich „gelegentlich“ eines Berufsweges in die Wohnung Magdalena’s und läßt sich das Erlebniß von ihr erzählen.

Ueberhaupt hat ja erst die Kirche, in unserem Falle der Bischof von Leitmeritz, zu dessen Diöcese Philippsdorf gehört, zu entscheiden, ob das Begebniß wirklich als Wunder anzuerkennen ist, da nach einer Bestimmung des tridentinischen ökumenischen Concils „neue Wunder“ nur nach Erkenntniß und Bestätigung des Bischofs „unter Zuziehung von Theologen und frommen Männern“ zuzulassen sind. So nahm die Geistlichkeit wenigstens officiell keine Notiz von dem Vorfall, wenn sie auch acht Tage danach, wo die „Gottbegnadete“ zum ersten Male wieder zur Kirche ging, auf Veranlassung Pater Storch’s ein feierliches Dankhochamt mit „Segenmesse“ zu Ehren der wunderbaren Heilung abhielt und in einem in vielen Tausenden von Exemplaren verbreiteten Flugblatte – der Herr Stiftscaplan behauptet zwar, es sei nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt gewesen und „wider alles Erwarten“ vor das Publicum gekommen! – den an den Leitmeritzer Oberhirten gesandten amtlichen Bericht über das Geschehene veröffentlichte.

Was konnte sie dafür, wenn immer neue Wallerschaaren nach der Gnadenstätte strömten, wenn von nah und fern manchmal in einem Tage mehrere Hunderte frommer Gläubiger sich einstellten, denen die Wunderjungfrau wieder und wieder von ihrer Heilung berichten mußte? „Das Wunder ist ja Niemandem octroyirt oder aufgezwungen worden!“ Aber man durfte doch die religiösen Gemüther nicht irre werden, nicht dem Zweifel verfallen lassen, nachdem sich die Opposition zu rühren begann, nachdem in freisinnigen katholischen und protestantischen Blättern gegen den „Philippsdorfer Humbug“ zu Felde gezogen wurde, nachdem der frühere Arzt der Visionärin sein Schweigen brach und in einer Zeitschrift der Gegend erklärte, daß ihm die Kranke seit fast vier Wochen eine Besichtigung ihrer Wunden verwehrt habe – „aus Schamgefühl“, meint der Pater –, daß der Ausschlag weder Ekzem noch Krebs, sondern ein allerdings selten vorkommender Blasenausschlag von „weit geringerem Umfange, als in mehreren öffentlichen Blättern angegeben“, und keineswegs absolut unheilbar gewesen sei, die übrigen krankhaften Zustände der Magdalena Kade aber einfach den Charakter der Hysterie getragen haben, die bekanntlich den Kranken mancherlei Leiden vorspiegelt und einbildet, welche in Wirklichkeit nicht bestehen. Gegen solche Freigeisterei mußte man sich wehren. Zuerst wurden einige „Philippsdorfer Freunde der Wahrheit“ – wer in Philippsdorf die Feder zu führen versteht, ist freilich schwer zu begreifen – angefeuert, „scharf zu entgegnen“, und hierauf der Bezirksvicar und Oberpfarrer von Georgswalde, welchem die ganze Geschichte sehr wenig erbaulich gewesen zu sein scheint, der indeß, wie ich vielfach vernahm, „von maßgebender Stelle“ bedeutet wurde, aus seiner Reserve herauszutreten, zur Abfertigung „eines naseweisen Kritikers“ gedrängt, der sich vermessen hatte, in dem Hauptorgane des ganzen Bezirkes, der „Reichenberger Zeitung“, rundheraus zu behaupten, dergleichen Wunder seien der heutigen Naturwissenschaft unerklärlich, darum undenkbar und unmöglich.

Noch eine Weile währte das Geplänkel auf beiden Seiten, bis endlich die Zweifler schwiegen, vermuthlich weil sie von Neuem erkannten, daß mit der Dummheit und – Lügenhaftigkeit auch die Götter selbst vergeblich kämpfen. Der Herr Caplan aber lachte sich in’s Fäustchen, sein „Wunder“ gedieh über alle Erwartung, wenn es auch officiell noch kein Wunder war. Aus Böhmen, Sachsen, Schlesien, ja selbst aus viel größerer Entfernung zogen die Pilger in immer dichteren Haufen heran und „in der Gemeinde Georgswalde nahm durch das Philippsdorfer Ereigniß die Verehrung der Gottesmutter von Tage zu Tage zu“, je mehr man von anderer Seite „die Georgswalder als Bewohner des Sitzes der Bigotterie und die Wallfahrten zu dem ‚Wunderhaus‘ als ‚Unfug‘ und ‚Fanatismus‘ zu verspotten anfing.“ Inzwischen war auch von Leitmeritz eine bischöfliche Untersuchungscommission eingetroffen. Volle acht Tage lang hat sie, und zwar täglich acht bis zehn Stunden, conferirt, Zeugen vernommen und geschrieben, „mit der größten Vorsicht und Geduld“ dabei zu Werke gehend, und ihr Referat in einem Actenstücke von sechsundvierzig Bogen niedergelegt. „Die Untersuchung,“ schreibt Herr Storch, „wollte kein Präjudiz für ein Wunder schaffen, das sieht Jedermann ein,“ allein ganz ebenso wird es aller Welt klar sein, wie die oberhirtliche Entscheidung auf dieses voluminöse Protokoll ausfallen mußte. Ob dieselbe bereits erfolgt, ob das Wunder bischöflich als Wunder bestempelt und besiegelt worden ist, habe ich aus den mir vorliegenden Druckschriften über die Sache und mündlichen Erkundigungen nicht erfahren können.

Und immer zahlreicher wurden die „Heilungen Schwerkranker, jahrelang Leidender“, welche die „Gnadenstätte“ vollbrachte. Schon im Monat Mai mußten Webstühle, Hausrath und Ofen aus der „auserwählten“, nun mit Altar, Kerzen und Bildern geschmückten Webstube hinausgeräumt werden, weil sie sonst den von Tag zu Tage steigenden Besuch von andächtigen Pilgern nicht zu fassen vermocht hätte. Dennoch warteten immer noch Hunderte draußen vor dem Häuschen, bis auch an sie die Reihe kam, den geweihten Raum betreten zu dürfen. An einzelnen Tagen waren die ankommenden Wallerschaaren nur nach Tausenden zu zählen und Processionen mit Musik, Gesang und Fahnen nahmen kein Ende.

Der Krieg von 1866 drohte zwar, das blühende Wundergeschäft etwas beeinträchtigen zu wollen, selbst der fromme Caplan scheint so etwas gefürchtet zu haben. Doch mit Nichten. Die Gnadenstätte wirkte neues Wunder: Maria schützte die Gegend vor dem Feinde und bewahrte sie vor den Schrecken des Krieges. Nicht der Feldzugsplan des Generals von Moltke war schuld, daß sich das Gewitter des Kampfes nicht über dem heiligen Philippsdorf entlud, sondern daß die feindlichen Heere fern ab bei Königsgrätz und Sadowa auf einander geriethen, – nein, Niemand anders als die „heilige Gottesmutter“, welche nun einmal für dies kleine Philippsdorf ihre Schwäche hatte. Sie hatte es anzuordnen gewußt, daß „die ersten feindlichen Vorposten, die Ende Juni in der Gegend einbrachen – katholische Rheinländer“ waren, von denen gar manche „die Gnadenstätte besuchten, um sich dem Schutze der Gottesmutter zu empfehlen.“ Auch von allen Nachwehen des Krieges, von Hungersnot und Seuche blieb Philippsdorf verschont, Alles nur – Pater Storch hebt es ausdrücklich hervor – wegen der heiligen Gnadenstätte, welcher die gebenedeite unter den Jungfrauen ihren besonderen Schutz angedeihen ließ.

Man blieb übrigens bei der schon erwähnten Ausschmückung der ehemaligen Webstube nicht stehen. „Gewiß war es auch eine höhere Fügung, daß ein großmüthiger, doch ungenannt sein wollender Wohlthäter“ dem eifrigen Förderer des Wunders die Summe von nahezu viertausend Gulden übergab, damit dieser das Häuschen, mit dem zu ihm gehörenden Areal von dem Bruder seiner Clientin käuflich erwerben und in geistlichen Besitz bringen könnte, um „jedem niedrigen Eigennutze vorzubeugen“ und für immer eine „dem Zwecke des Gebetes geweihte Stätte“ zu gründen. Auch dies ist nur ein vorläufiger Schritt; das Häuschen soll nämlich niedergerissen und auf dem Grunde desselben eine Kirche erbaut werden. Dazu hat „die hülfreiche Fürbitte Maria’s“ schon recht erkleckliche Beiträge fließen machen; einmal hat die Pfarrgemeinde Georgswalde eine freiwillige „marianische“ Subscription eröffnet, und sodann sind von nah und fern unablässig und manchmal sehr erhebliche Spenden eingelaufen, im Ganzen bis zum Schlusse des vorletzten Jahres schon fast vierundvierzigtausend Gulden, so weit Herr Storch in seinem dritten Hefte „Maria, das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 330. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_330.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)