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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


lehnt sein gebrochenes Weib mit dem weinenden Gesichte an der Wand. Sie hat ihn geliebt und bebt nun vor dem Verluste, der sie treffen, und der Schande, die auf sie fallen soll. Zwischen Beiden steht ihr unschuldiges Kind, das nichts von dem düstern Vorgange versteht und ein Stück Brod in den Mund führt. Diese drei Gestalten nehmen natürlich vorzugsweise die Aufmerksamkeit in Anspruch. Links hinter dem Tische hält ein österreichischer Soldat Wacht. Der übrige Raum aber wird von einer Menge von Personen angefüllt, die den verlorenen Menschen noch einmal sehen wollen. Ohne Zweifel sind es Verwandte, die unmittelbar vor ihm stehen. Der junge Bursche, der in den Mantel gehüllt vor sich hin starrt, mag sogar ein Mitschuldiger sein, der glücklicher Weise ein ähnliches Geschick vermeidet. An ihn lehnt sich seine Mutter. Hinter denselben sehen wir einen Mann, neben ihm eine junge Frau, welche ein kleines Kind auf dem Arme trägt. Sie haben einige Buben mitgebracht, um ihnen schon früh den Abscheu vor jedem Fehltritte einzutränken. Weiter nach links sieht man einen Schmied im Schurzfell, der seine Pfeife nicht ausgehen läßt, mit einem jungen hübschen Mädchen, welches einen Korb am Arme trägt. An der Thür im Hintergrunde gewahrt man einige Personen, die sich über die Unthaten des Verurtheilten unterhalten. Alle diese Gestalten sind durchaus originell und charakteristisch. Man sieht, daß der Künstler über eine Fülle von feinen physiognomischen Beobachtungen verfügt, welche er hier in der sinnigsten Weise zu verwenden gewußt hat.

Aber noch mehr als alle diese Einzelheiten erregt der psychologische Zusammenhang, welcher in dem ganzen Bilde herrscht, unser Erstaunen. Wir sehen überall die tiefe Gedankenarbeit eines Künstlers, der rastlos bestrebt war, seinen Gegenstand mit Erschöpfung aller Mittel auf den höchsten Gipfel der tragischen Wirkung zu bringen. Schuld, Mitschuld, Erbarmen, Abscheu, Neugierde und Theilnahmlosigkeit sind in den verschiedenen Gruppen in der klarsten Weise ausgeprägt. Aus diesem Grunde ist der Eindruck auch in jeder Beziehung überwältigend. Wir erinnern uns nicht leicht eines Kunstwerkes, welches uns auf den ersten Anblick in gleicher Weise ergriffen und gerührt hätte. Wir werden fast gepackt wie von einer mit aller Kraft der Leidenschaft dargestellten dramatischen Scene auf der Bühne.

Daß die Gruppirung in Zeichnung und Linien nichts zu wünschen übrig läßt, muß Jeder auf den ersten Blick erkennen. Dabei hält sich die malerische Durchführung auf der gleichen Höhe mit der Composition. Die Farben- und Lichteffecte sind meisterhaft. Man wird in dieser Beziehung an die besten Arbeiten von Knaus erinnert. Die gedämpfte Beleuchtung paßt vorzüglich zu dem traurigen Gegenstande. In den Gewandungen herrscht allerwärts ein grauer Ton, der gleichwohl nicht der nöthigen Klarheit entbehrt und im Ganzen den Ernst der Stimmung mächtig erhöht. Das Fleisch entspricht in jedem einzelnen Falle der dargestellten Persönlichkeit.

Und wer ist denn der Autor dieses ausgezeichneten tragischen Gemäldes? Niemand anders als ein junger vierundzwanzigjähriger Ungar, der, in Munkacs geboren, seine Eltern in der Revolutionszeit bei einem Ueberfall der Russen verloren hat, dann zu einem Oheim kam, welcher ihn als eilfjährigen Knaben zu einem Tischler in die Lehre brachte. Ja, vor einigen Jahren stand Munkacsy noch an der Hobelbank, wo er aber weniger an das Handwerk, als an die Kunst dachte. Und so ging er eines Tages aus der Werkstätte in das Atelier eines kleinen Portraitmalers zu Gyula, wanderte dann nach Pest, Wien und München, wo er einen ungarischen Preis gewann, mit dem er nach Düsseldorf zog, um sich dort an dem Beispiele der besten deutschen Genremaler zu bilden. An Arbeit, Noth und Mühe mag es ihm nicht gefehlt haben, bis er in dem Bilde, welches wir eben besprochen haben, einen entscheidenden Wurf that und umsomehr die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich leitete, als es gewissermaßen sein erstes Werk ist, das ihm übrigens auch sofort von einem Amerikaner mit dreitausend Thalern bezahlt wurde. „Die letzten Tage eines Verurtheilten“ werden im nächsten Pariser Salon gewiß ihre gerechte Würdigung finden. Es ist nur schade, daß sie dann direct über den Ocean gehen, um in dem unbekannten Cabinet eines Yankee allen europäischen Augen entzogen zu sein. Eine neue Arbeit des hoffnungsvollen Künstlers ist bereits für den Preis von fünftausend Thalern von einem Engländer bestellt. Also auch diese Schöpfung kann in Deutschland und Oesterreich nur wenig bekannt werden.

Gleichwohl hoffen wir, dem genialen Meister in Zukunft noch öfter zu begegnen, denn er wird allem Anschein nach kein vorübergehendes Meteor sein, sondern ein Stern am Himmel der Kunst bleiben. Und dann bietet sich auch wohl Gelegenheit, näher auf seine Lebensverhältnisse zurückzukommen. Das originelle Volk der Magyaren hat in Petöfi einen höchst eigenthümlichen Dichter, es ist immerhin möglich, daß Munkacsy sich als ein ebenso eigenthümlicher Künstler entwickelt und an seine Seite stellt.




Der Bergwirth.
Geschichte aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Der Inspector schien die Rede nicht gehört zu haben; mit einem Seitenblick auf seine Frau fragte er den Sträfling nach seiner Beschäftigung.

„Sie wissen ja,“ erwiderte dieser, „Sie haben mir ja selbst befohlen, daß ich den Beißwurm fangen soll, den wir gespürt haben … er war auch schon in der Schlinge und ist doch durchgekommen …“

„Um Gotteswillen,“ rief die erschrockene Frau, „ich setze keinen Fuß mehr in den Garten, wenn sich ein solches Unthier darin befindet!“

„Sei unbesorgt,“ entgegnete der Inspector; „obwohl ich nicht begreife, wie sie hierher versprengt worden sein mag, ist es doch richtig, daß ich gestern an der Urne eine Viper oder Kupfernatter bemerkt habe; die Steine an derselben schienen ihr ein willkommener Schlupfwinkel zu sein, aber der unheimliche Gast wird bald gefangen sein – nicht wahr, Bergwirth?“

„Gewiß,“ erwiderte dieser, „wenn ich ihn aber habe, was soll ich damit anfangen?“

„Wie könnt Ihr fragen? Tödtet ihn; solches Gezücht, das nur um zu schaden dazusein scheint, verdient es nicht anders. Laßt mich bald hören, daß Ihr meinen Befehl vollzogen habt. …“ Er wollte gehen, hielt aber, sich besinnend, ein. „So eben fällt mir ein,“ fuhr er fort, „da Ihr nicht in den Eßsaal kamt, erfuhrt Ihr auch nicht, daß ein Brief an Euch gekommen ist …“

„Ein Brief? Und an mich?“ fuhr der Bergwirth heraus, dem es nicht gelang, eine freudige Ueberraschung vollständig zu beherrschen; augenblicklich hatte er sich jedoch wieder gefaßt und fand den Ton des hämischen Lachens wieder, der ihm eigen war. „Das muß eine Irrung sein!“ sagte er. „Ich wüßte nicht, wer mir zu schreiben hätte und was!“

„Sonderbare Frage – habt Ihr nicht eine Tochter?“

Ueber das Antlitz des Bergwirths ging es wieder, wie ein Windstoß über den See oder über ein reifendes Saatfeld: er wogt darüber hin und im nächsten Augenblick ist seine Spur nicht mehr zu gewahren. Dann lächelte er wieder, wie vorher, als er vom Hunger gesprochen, und ließ die Hand sinken, die er schon nach dem Blatte in der Hand des Inspectors erhoben hatte. „Tochter!“ sagte er. „Ei ja wohl, es ist mir wirklich so, als wenn ich einmal eine Tochter gehabt hätte! Aber die denkt nimmer an den Bergwirth; ich wüßt’ nit, was die mir zu schreiben hätt’ und was sie von mir wollen könnt’ – bin auch gar nicht neugierig darauf …“

„Wie – Ihr werdet doch den Brief Eurer Tochter nehmen und lesen?“ rief der Inspector wie verwundert und wie schreckhaft.

„ … Muß ich?“ fragte der Bergwirth und ließ den Blick finster auf dem Beamten ruhen.

„Ihr müßt keineswegs …“ erwiderte dieser, „ich will Euch den Brief aufbewahren, bis Ihr ihn selber verlangt … Ihr habt Euren freien Willen.“

„Ja, bewahren Sie mir den Brief auf,“ rief der Sträfling hastig, „wenn ich nit muß, will ich nichts davon wissen … es thut

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_478.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)