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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Graf Ulrich unterdeß war nicht, wie er gesagt, in die Bibliothek hinaufgegangen, sondern nach unten und zum Schlosse hinaus. Die Hände in seine Rocktaschen vergraben, ging er sinnend in der Allee vor dem Portale auf und ab.

„Seltsames Geschöpf,“ sagte er dabei für sich hin, „in ihrer herausfordernden Ruhe und diesem muthigen Trotzbieten steckt ein Dämon, der, wenn sie lange bliebe, mich wild machen könnte. Unterdeß, und da sie nicht bleibt, ist es ein guter Zeitvertreib, zu sehen, was man diesem Dämon abgewinnt, wenn man ihn ein wenig stachelt und reizt. Schön genug ist sie dazu, um sich damit die nächsten Tage zu unterhalten. Gott gnade übrigens Dem, der sie zum Weibe bekäme! Sie würde ihn mit Vernunft und Tugend zu Tode pantoffeln. Aber,“ rief er plötzlich sich wendend aus, „wo bleibt der Reitknecht mit dem Pferde? Die Pest dem Schuft auf den Hals – ach, ich habe vergessen, daß ich ihm noch nicht befohlen habe zu satteln! Wie kann man zerstreut sein!“

Trotz dieser Reflexion blieb Graf Ulrich so zerstreut, daß er auch jetzt nicht sich den Stallungen zuwendete, um sein Pferd zu verlangen, sondern bei seinem Auf- und Abwandeln in der Allee blieb. Am Ende derselben, vom Dorfe her, sah er nach einer Weile zwei Männer herankommen. Sein scharfes Auge erkannte in dem Einen sehr bald der Tracht nach einen Geistlichen; der Andere schien ein Händler, ein reisender Kaufmann oder etwas dem Aehnliches; er trug Stiefeln und in der Hand eine Reitpeitsche; eine untersetzte, ein wenig gebückt gehende Gestalt. Graf Ulrich hatte kaum diese Bemerkungen gemacht, als der Mann seinen Begleiter verließ und links ab einen Pfad durch’s Kornfeld einschlug – seine weiße Filzkappe, wie sie damals Reisende trugen, und das hochrothe Halstuch mit im Morgenwinde flatternden Zipfeln waren bald allein noch über dem Gewoge der Halme sichtbar.

Der Geistliche kam näher, die Allee herauf. Eine magere Gestalt in abgetragenem schwarzem Rocke und mit einem verlebten und verschmitzten Gesichte, das doch nichts Abstoßendes hatte, denn die kleinen grauen Augen gewannen durch einen Ausdruck ungewöhnlicher Intelligenz.

Er zog mit großer Höflichkeit den Hut vor dem Grafen. Dieser redete ihn an.

„Sie sind wohl der Pfarrer, der …“

„Der Pastor, gräfliche Gnaden,“ sagte der Geistliche mit einer tiefen Verbeugung und den Hut in der Hand behaltend, „der Pastor Demeritus Lohoff – nicht zu verwechseln mit dem Herrn Pfarrer loci,“ fügte er lächelnd hinzu, „der Herr Pfarrer wenigstens würde es sich sehr verbitten.“

„Ich kenne den Pfarrer und verwechsele Sie nicht mit ihm,“ antwortete ein wenig barsch Graf Ulrich; „setzen Sie den Hut auf; ich gehe mit Ihnen zum Schlosse zurück. Wollten Sie zu mir?“

„Nein – nicht just das. Ich bin auf meiner Morgenwanderung begriffen, ergehe mich durch die sonnigen Fluren, lausche dem Geschmetter der Lerche, lobe wie sie des Schöpfers Güte und denke über die Schicksale seiner Geschöpfe nach, in erster Reihe über mein eigenes.“

„Sie sind ein komischer Kauz …“

„Weil ich nachdenke?“

„Nun ja, auch deshalb.“

„Mag sein – alle unnütze Arbeit hat etwas Komisches. Im Ganzen aber, glaube ich, thäten die Menschen, die mich umgeben, besser, mich weniger für einen komischen Kauz, sondern ernster zu nehmen.“

„Das, was Sie sagen?“

„Allerdings das, was ich sage. Aber,“ setzte er mit einem wunderlichen Spiel der beweglichen Gesichtsmuskeln hinzu, das es unsicher machte, ob er sich selbst bespotte oder im Ernst beklage, „ich bin der Zeit voraufgeschritten und sie verstehen mich nicht!“

Der Graf lachte.

„So kommen Sie zuweilen zu mir; mein Fehler ist, fürchte ich, just der umgekehrte, daß ich ein wenig hinter der Zeit zurückgeblieben bin. Wenigstens hat man mich wohl einen tollen Junker genannt, und ich denke, das tolle Junkerleben, als man noch lustige Fehden wider einander gekämpft, sich die Burgen über den Köpfen anzündete, in Nonnenklöster einbrach und Pfeffersäcke aufhob und ranzionirte – ich denke, es hätte mir gefallen. Das aber ist heute nicht mehr an der Tagesordnung – es ist ein veralteter Geschmack das, und so, mein lieber Pastor ohne Heerde, fänden wir vielleicht zusammen das rechte Gleichmaß. Sie mit Ihren vorgerückten Ansichten und ich mit den zurückgebliebenen fänden uns in der rechten Mitte!“

„Ihre Einladung ist sehr gütig, Herr Graf,“ antwortete der Pastor. „Und vielleicht,“ setzte er mit einem bedeutsamen Augenzwinkern hinzu, „fänden Sie bei mir noch etwas, das augenblicklich von größerer Wichtigkeit für Sie wäre als …“

„Als was?“

„Als das Geheimniß, mit dieser Zeit in Einklang zu kommen, die am Ende doch selbst nicht weiß, was sie will, und sich, bis es ihr einfällt, die Langeweile mit Raufen und Kriegführen und Menschentodtschlagen vertreibt.“

„Und dies Wichtigere wäre?“

„Ein anderes Geheimniß,“ versetzte, sich räuspernd und leiser sprechend, der Pastor, „das mir zur Kunde gekommen, ein Geheimniß von einiger Bedeutsamkeit …“

„Ah,“ lachte Graf Ulrich auf, „ein politisches, ein Staatsgeheimniß? Schwerlich würde man’s Ihnen gesagt haben. Ist’s also ein Geheimmittel? Gegen die Gicht oder gegen die Hundswuth?“

„Nicht das, nicht das … es betrifft Sie ganz persönlich …“

„Mich? Schwerlich! Ich habe niemals mit Geheimnissen zu thun gehabt.“

„Nun, wenn nicht Ihre Person, doch Ihr Recht.“

„Was soll das heißen? Mein Recht?“

„Ich denke, Sie haben mancherlei Rechte – Rechte auf Ihren Namen, Rechte auf dies Schloß und diesen Besitz …“

„Ah bah … was verstehen Sie davon?“

„Just so viel, als ich aus guter Quelle darüber erfuhr.“

„Und was erfuhren Sie? Sprechen Sie aus! Ich hasse solche mysteriöse Wendungen.“

Trotz dieser Aufforderung sprach der Pastor nicht weiter. Er räusperte sich und schwieg.

Dies machte den Grafen Ulrich ungeduldig. „Glauben Sie, mich aufziehen zu können?“ rief er aus.

„Gewiß nicht, Eure gräflichen Gnaden;“ versetzte der Pastor. „Was ich erfuhr, ist, daß Jemand ein näheres Recht an die Erbschaft des Grafen Walram Maurach besitzt als Graf Ulrich Maurach-Godeneck.“

„Pest! Das wäre! Und wer ist dieser Jemand?“

„Was ich Ihnen darüber sagen kann, ist von der größten Wichtigkeit für Sie, Herr Graf. Ich wünschte, es würde für mich ebenfalls von Wichtigkeit, daß ich es bin, der es Ihnen sagt.“

„Das verstehe ich nicht.“

Der Pastor lächelte verschmitzt. „Dann,“ sagte er, „sind Eure gräflichen Gnaden, wie Sie bemerkten, allerdings ein wenig hinter der Zeit zurückgeblieben. Sie würden sonst sich selbst sagen, daß die offene Redlichkeit, die sich einen Vortheil entgehen läßt, wo sie sich mit Zuversicht einen ausbedingen kann, heutzutage nicht mehr das Lob der Tugend findet, sondern eher Einfalt genannt wird.“

Der Graf wurde durch das hinterhaltige Wesen des Mannes im schwarzen Rocke, der jetzt so überlegen lächelte, immer gereizter.

„Ach, Schwindelei!“ rief er, von dem Pastor, der stehen geblieben war, sich abwendend, aus; „Sie wollen mir irgend eine Altweibergeschichte für eine Geldsumme aufhängen. Sie halten mich für sehr dumm!“

„Für klug, gräfliche Gnaden, für klug genug, um am rechten Orte nicht zu kargen und eine Warnung, welche Ihnen Ihren Besitz retten kann, mit einem tüchtigen Honorar zu lohnen.“

„In der That … bevor ich noch weiß, um was es sich handelt …“

„Das deutete ich Ihnen an.“

„Allerdings, Herr Pastor Demeritus; das thaten Sie. Und das Honorar? Das deuteten Sie nicht an!“

„Ich würde mir tausend Thaler ausbedingen,“ sagte leise und still lachend der Pastor Lohoff.

„Tausend Thaler! Nicht mehr?“ Der Graf lachte. „Sie sind bescheiden!“

„Das war nie mein Fehler. Bescheidenheit ist eine sehr schöne Tugend bei denen, die vollauf haben; eine Thorheit bei denen, die nichts haben. Auch bin ich, sobald ich die tausend Thaler habe, bereit, sehr bescheiden zu werden und mir nur noch Ihre dauernde Gnade und Gewogenheit auszubitten!“

Der Pastor Demeritus hatte offenbar diese Bosheit nicht unterdrücken können und wohl gedacht, Graf Ulrich bemerke sie nicht.

Aber es schien, er hatte sich darin getäuscht. Der Letztere erröthete

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_483.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)