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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

fügte er hinzu: „Ueberlassen Sie so nun das ganze Verhör meiner gnädigen Cousine hier, und Sie werden sehen, wie sie mir ein vollständiges Geständniß abgewinnt. Fragen Sie weiter, meine gnädige Cousine. Sie haben, da wir auf diesen Punkt kommen, ja ohnehin wohl ein wenig das Recht, hier das erste und entscheidende Wort zu führen. Denn wenn Frau Wehrangel todt, ihre Tochter verschwunden ist, dann sind Sie, denk’ ich, hier auf Schloß Maurach jetzt wohl so etwas wie die Herrin, Gebieterin und Dame Châtelaine et haute Justiciére. Und wenn das auch nicht wäre, es thut nichts, ich erkenne Ihre richterliche Autorität über mich vollkommen an und unterwerfe mich Ihrem Urtheilsspruch. Sie werden mich also köpfen oder guillotiniren lassen, meine Gnädigste?“

Melusinens Augen leuchteten zornig auf, als sie auf diese mit größter Bitterkeit hervorgestoßenen Worte mit einer ganz ungemäßigten Heftigkeit antwortete: „Wenn Sie sich nicht besser zu verteidigen vermögen, als Sie es bis jetzt gethan, Herr Graf, so könnte das allerdings Ihr Schicksal sein. Es wäre besser, Sie gäben eine Auskunft, wo Sie die Nacht waren ...“

„Meine gnädige Cousine,“ versetzte Graf Ulrich, „ich werde Ihnen darüber keine Auskunft geben. Niemals. Ich werde mich zehnmal lieber guillotiniren lassen, als Ihnen diese Auskunft zu geben!“

„Also Sie gestehen ein, in der Nacht abwesend gewesen zu sein; Sie gestehen ein, von der Ermordeten erfahren zu haben, daß sie, Frau Wehrangel selbst, die verschollene nächste Verwandte des letzten Grafen von Maurach, daß sie Ernestine Maurach war; daß Sie also an dieselbe dies Ihr Schloß und den ganzen Nachlaß des Grafen Walram herauszugeben gehabt hätten; Sie gestehen auch ferner Ihre früheren offenen Erklärungen, daß Sie niemals gutwillig einem anderen Prätendenten auf Ihren Besitz weichen, daß Sie ihn eher erwürgen würden …“

„Welches Letztere in dieser Nacht geschehen ist!“ unterbrach Graf Ulrich sie ruhig.

„In der That, diese Bekenntnisse lassen an Offenheit nichts zu wünschen übrig,“ fiel hier der Richter ein. „Der Pfarrer Lohoff hier, der mit den Verhältnissen der ermordeten Frau Wehrangel genau bekannt war, und den sein naheliegendes Interesse an der Sache bei der ersten Nachricht von dem Vorgefallenen hierherzog, hat in der Wohnung der Frau Wehrangel uns aufgefordert, nach deren Papieren zu forschen – nach Papieren, welche deren Geburtsrechte und die Verheirathung der Ermordeten constatiren müßten. Wir haben solche Papiere nicht gefunden. Wenn Sie, Herr Graf, die That begangen haben, so mußte Ihnen dabei zunächst daran liegen, sich dieser Papiere zu bemächtigen. Sind dieselben in Ihrem Besitze? … Wir würden eine Nachforschung hier in Ihrem Zimmer danach anstellen müssen –“

„Dann,“ sagte Graf Ulrich ruhig, „würden Sie sie hier in diesem Zimmer finden. Um Ihnen die Mühe der Nachforschung zu ersparen, will ich sie Ihnen geben!“

Graf Ulrich zog einen Schlüssel hervor und trat an seine auf dem Spiegeltisch zwischen den Fenstern stehende Cassette, die er öffnete. Er zog zwei zusammengefaltete Papiere daraus hervor, die er vor den Richter auf den Tisch warf.

Der Beamte nahm sie und entfaltete sie; es waren Urkunden mit Stempeln und Siegeln.

„Das hier ist ein Taufzeugniß für Ernestine Adelgunde Felicitas, eheliche Tochter des hochgeborenen Grafen Wenzel Eginhard von Maurach-Maurach und der Freiin Therese Hildegarde von Westerheim aus dem Hause Lorfeld … und dies hier …“

„Es ist von mir selber ausgestellt,“ unterbrach hier den Richter, der die zweite Urkunde zu lesen begann, der Pastor Lohoff, sich erregt vordrängend; „es ist die Bescheinigung der von mir als Cooperator zu Alsterstätten vollzogenen Trauung der Comtesse Ernestine Adelgunde Felicitas von Maurach mit meinem Bruder Ignaz Wilhelm Lohoff, dazumal Procuraturgehülfen und nebenbei Musiklehrer zu Maurach … es muß noch ein drittes Document da sein,“ fuhr der Pastor fort, „der Taufschein der aus dieser Ehe geborenen Annette Lohoff …“

„Das, wie Sie sehen, habe ich nicht,“ sagte Graf Ulrich lakonisch.

„Die beiden vorliegenden genügen,“ bemerkte der Richter.

„Allerdings,“ entgegnete Graf Ulrich, „sie genügen, um mich vollends zu vernichten! Ich war in der Nacht abwesend. Ich bin auch – meine gnädigste Cousine hier bezeugt es – ein Mann, von dem man sich der That versehen kann. Ich hatte das dringendste Interesse, diese Ernestine Maurach und ihre Tochter aus der Welt zu schaffen, um im Besitze des Erbes des Grafen Walram Maurach zu bleiben. Diese Urkunden hier, die Beweise, daß ich nicht der rechtmäßige Besitzer bin, werden in meinen Händen gefunden. Herr Pastor Demeritus wird auch wohl bereits die Erklärung abgegeben haben, daß er am gestrigen Morgen zu mir kam, um mich zu warnen, um mir zu sagen, daß ich in meinem Besitze bedroht sei; daß er mir den Anstoß, den Wink gegeben, nicht zu zögern, wenn ich handeln wollte. In der Nacht darauf ist der Mord erfolgt. Es würde sehr thöricht von mir sein, wenn ich noch leugnen wollte! Die ganze Reihe der Indicien greift in der schönsten Weise ineinander; es liegt Alles klar vor Augen, mit einer Klarheit, die für einen guten Juristen, wie wir in dem Herrn Richter zu verehren haben, vollständig ärgerlich sein muß, da sie ihm nichts übrig läßt, zu entdecken, zu combiniren, aufzuhellen und durch eigenen Inquisitorscharfsinn an’s Licht des Tages und der Wahrheit zu bringen.“

„Sie irren, Herr Graf,“ versetzte der Richter kühl, „wenn Sie voraussetzen, es sei mein Wunsch, mich durch inquisitorischen Scharfsinn in dieser Angelegenheit bemerklich zu machen. Es ist das meines Amtes nicht. Meines Amtes ist nur, die ersten Erhebungen zu machen. In der Wohnung der Ermordeten ist das geschehen. Ich werde jetzt ein Protokoll über den Befund der Sachen und das hier soeben Stattgefundene aufnehmen, sodann einen Verhaftsbefehl wider Sie ausfertigen lassen. Damit hören meine Functionen auf, das Uebrige geht die Herren vom großherzoglichen Hofgerichte an, die mit dem Gerichtsarzt wohl im Laufe des Tages hier eintreffen und das Weitere anordnen werden. Ich, was mich angeht, habe Ihnen nur noch eine Frage vorzulegen, das ist die nach der verschwundenen Tochter der Frau Wehrangel. Was haben Sie über sie für Aufklärungen zu geben?“

„Keine, Herr Richter.“

„Sie weigern sich, nachdem Sie den Mord der Mutter eingestanden über die Tochter ...“

„Ich warte ab, bis man mir eine solche Reihe niederschmetternder Beweise, wie für meine Schuld am Tode der Mutter, auch dafür giebt, daß ich die Tochter getödtet habe oder irgendwo in einem Verließe dieses Schlosses geborgen halte. Dann, wenn man mir diese Beweise giebt, werde ich reden.“

„Bleiben Sie bei dieser Antwort, auch wenn ich Ihnen sage, daß man nach dem armen Mädchen eifrig und unablässig suchen wird, bis man es gefunden hat – todt oder lebendig – und daß ein Wort von Ihnen viel Mühe ersparen könnte, wenn Sie mit derselben Offenheit …“

„Ich bleibe bei der Antwort,“ unterbrach ihn Graf Ulrich, sich ungestüm abwendend, „machen wir ein Ende, schreiben Sie Ihr Protokoll, Ihren Verhaftsbefehl, und unterdeß erlauben Sie mir, mir mein Frühstück in meinem Schlafzimmer serviren zu lassen, wo ich Toilette machen werde, um würdiger Ihre erwarteten Gerichtsherren empfangen zu können.“

Der Graf winkte gebieterisch Joseph, der ihm in sein Schlafzimmer folgte. Der Richter trat mit ihm auf die Schwelle, um sich zu überzeugen, daß das Gemach keinen andern Ausgang hatte. Als er sich wieder gewendet und zurückbegeben, schloß Graf Ulrich hinter ihm das Zimmer. Und nun, wie mit einem Male, hatte ihn alle seine trotzige Kraft verlassen. Er brach wie unter einer plötzlich auf ihn fallenden Wucht zusammen. Er setzte sich auf das Ende seines Bettes. Seine Züge waren todtenbleich geworden. Und während seine Hände krampfhaft neben seinen Knieen das Holz seiner Bettstatt umfaßten, während sein Auge sich stier auf die gegenüberliegende Wand richtete, sagte er mit bebender Lippe leise für sich hin: „Ein Gottesgericht, ein Gottesgericht! Aber mögen sie mich zehn Mal guillotiniren, ehe ich ihr, ihr gestehe, wo ich war, was ich gethan in dieser Nacht!“



14.

Es war in der frühen Morgenstunde gewesen, als die in der Gesindestube auf Schloß Maurach um das Frühstück versammelte Dienerschaft durch die Nachricht aufgeschreckt worden war, daß sich in der verflossenen Nacht ein so entsetzliches Ereigniß zugetragen, daß ein Mord begangen worden, ein Mord an der Frau Wehrangel,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 530. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_530.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)