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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Um fünf Uhr waren wir bereits wieder auf den Füßen. Ein süperber Kaffee, wie man ihn eben nur hier im Norden bekommt, stärkte uns zu einem kleinen Ausfluge zu Lande, den wir mit Hülfe eines Zollwächters unternahmen. Bekanntlich war Glückstadt ehedem eine ziemlich starke Festung, deren Werke jedoch 1815, auf Grund des Kieler Friedens, geschleift werden mußten. Jetzt waren diese nach der Elbseite zu in wenigen Tagen durch Tausende von emsigen Händen erneuert und nach Ivenfleth und Bielenberg zu durch flankirende Schanzen, mit schwerem Geschütz dicht besetzt, erweitert worden. Selbst die Glückstadt gerade gegenüber liegende, über eine Meile lange Insel Krautsand war mit dergleichen bedacht worden, so daß schwerlich eine Jolle sich hier durchwagen könnte, ohne gründlich zerhämmert zu werden. Die ganzen Anlagen hatten etwas Massives, Imposantes und befriedigten uns über die Maßen, zumal die sie besetzt haltende See- und Landwehr durchschnittlich dem erzkernigen Holstenstamme angehörte; ich will den Franzosen nicht rathen, sich unter diese herculischen Fäuste zu wagen! …

Während des Anheizens unseres Steamers heizten auch wir mit französischem Rebenblut auf dem Rasen am Strande, wobei uns unser Cicerone, der kundige Zöllner, gründlich half. Als hauptsächlichsten Dank ernteten wir eine Fülle von respectvollen Ehrenbezeigungen; freilich war Jens Hinrich in voller, goldbordirter See-Capitains-Uniform, und ich hatte meine alte Landwehrmütze und die Binde mit dem Kreuz, das Abzeichen der Neutralität, angelegt. Der Glockenschlag sieben Uhr machte dem improvisirten Ceremoniell ein Ende. Ein zärtlicher, etwas langer Abschied des Kaptein von der corpulenten Fährhauswirthin und meinerseits ein lautes: „Jens Hinrich, das Vaterland ist in Gefahr, alle Hände auf Deck!“ … und …

Dahin ging’s wieder in die klare, frische Morgenluft hinein. „The Outrigger“ schien sich auch über Nacht gekräftigt zu haben, denn er lief, daß der weiße Schaum an seinem scharfen Bug hoch aufspritzte. In einer halben Stunde hatten wir Störort erreicht, für uns, obgleich dort auch ein mächtiger Eckwall aufgeworfen war, nur deshalb merkwürdig, weil sich hier die Stör ergießt, an deren gesegneten Ufern Jens Hinrich’s „Vaterland“ Itzehoe liegt. Von hier ab hieß es vorsichtiger fahren, denn es beginnen sich wieder Watten zu zeigen (man erkennt sie an der kräuselnden Oberfläche des Wassers, das über ihnen steht), so daß der Kaptein sich wiederholt des Fernrohrs bedienen mußte, um sich durch nur ihm geläufige Merkzeichen an den entfernten Ufern zu orientiren. Zwischen St. Margareth (rechtes Ufer) und Krummendeich (linkes Ufer) liegt ein solches Watt, fast drei Viertel Meilen lang, mitten in der Elbe, die hier, obgleich circa eine halbe Meile breit, ein sehr gefährliches Fahrwasser hat. Wir hielten uns rechts von ihm, um Brunsbüttel anzulaufen, wo wir gegen zehn Uhr eintrafen. Hier begann das Ufer eine vollständig kriegerische Physiognomie anzunehmen. Nicht allein sehr starke und ausgedehnte Schanzen, mit den schwersten Positionsgeschützen ausgestattet, auch ein vollständiges Lager regulärer Truppen und freiwilliger Land- und Seewehr fanden wir hier vor. Unsere Flagge und unser Schiffchen wurden mit einem dreifachen „Hurrah“ begrüßt, da Salutschüsse untersagt sind, um nicht unnöthigen Alarm zu erregen. Man freute sich am Lande sehr, durch die Ankunft unseres originellen Fahrzeuges einmal eine Abwechslung in dem ewige Einerlei zu haben, denn man leugnete es nicht, daß nach der Aufregung der ersten Tage der Kriegserklärung und dann folgender Blokade man sich jetzt schon herzlich langweile. Es geschähe absolut nichts, und doch müsse man immer auf dem „Qui vive!“ sein mit Grüßen und einigen schnell geschriebenen Briefen für Cuxhaven beladen, gingen wir wieder ab vorläufig querüber (die Elbe ist hier bereits eine und drei Achtel Meile breit) nach Neuhaus, wo sich die ziemlich wasserreiche Oste ergießt. Wie überall fanden wir auch hier vorsorglich errichtete Vertheidigungswerke, trotzdem das linke Elbufer von hier ab bis an Ritzebüttel heran, durch ein einziges, langgedehntes Watt an sich schon geschützt ist. Von Otterndorf bis über Groden hinaus ist das Ufer überdieß moorig und brüchig, so daß die über Altenbruch hin beide Orte verbindende Kunststraße diesen Namen mit Recht trägt.

Den eigentlichen „Franzosen-Willkommen“, wie sie die in der That kolossalen Werke mit echtem niedersächsischem Humor getauft haben, sollten wir jedoch erst auf der letzten Etappe unserer Recognoscirungsfahrt, Ritzebüttel-Cuxhaven, finden. Das Fahrwasser drängt sich hier unmittelbar an das Ufer dicht heran; ein jedes Schiff, groß oder klein, muß die kaum ein Achtel Meile breite Norder-Elbe passiren oder liegt im Nu fest wie ein zappelnder Fisch auf dem Sande, ein Spielzeug für die Vierundzwanzig- und Achtundvierzig-Pfünder am Lande. Das scheinen denn auch die Franzosen, vermuthlich durch die oben erwähnten dänischen Lootsen, ausgekundschaftet zu haben und lassen ihre Finger von dem heißersehnten, aber auch heißgekochten, fetten Brei. Wie ungewiß die wälschen See-Dilettanten über unsere Stellungen und Befestigungen sein müssen, erhellt schon daraus, daß, wie man uns erzählte, vor zwei Tagen sich ein feindlicher Aviso-Dampfer ganz sorglos bis auf Kanonenschußweite an die Döser Schanze heranwagte, gleich darauf aber, nachdem er eine scharfe Visitenkarte, die seinen Besanmast traf, aus einem Vierundzwanzigpfünder empfangen, davondampfte, was die Belastung des Sicherheitsventils nur halten konnte ...

Die sehr zahlreiche Besatzung in und um Cuxhaven gewährt das getreue Bild eines modernen „Wallenstein’s Lager“. Keine Waffengattung des zehnten Armeeeorps, die hier nicht vertreten wäre. Ein französisches Landungscorps würde, falls es ihm gelänge, den festen Boden zu betreten, sicher in’s Wasser gejagt werden. Es scheint aber nicht, als sollte der Kampfeslust der hiesigen zahlreichen Detachements genügende Nahrung geboten werden.

Da es gerade Mittag (ein Uhr) war, wurden wir von einigen Officieren zu Tische gebeten, bei dem es an nichts gebrach. Wir konnten uns sämmtlich die Schadenfreude nicht versagen, in ausschließlich französischem Wein, Burgunder, Larose und Veuve Cliquot, auf das Wohl des Bundesfeldherrn, seiner Heerführer, seiner deutschen Armeen und auf die festgekittete deutsche Einigkeit zu toasten. Um dem Ganzen die Krone der Malice aufzusetzen, wurden diese Trinksprüche in französischer Sprache aufgeschrieben mitsammt den Etiquetten in die leeren Flaschen gethan und diese dann, fest verkorkt, mit abfließendem Wasser der Elbe übergeben, die notorisch dergleichen Posten pünktlich an die noch circa vier Meilen entlegene Stelle der „rothen Tonne“ befördert. Dort können sie die Franzosen auffischen und sich an dem Inhalte nach Belieben einen Gallenerguß holen. …

Der Leser wird sich durch diese mit gewissenhafter Sorgfalt ausgeführte Skizze überzeugt halten, daß nichts verabsäumt worden, unseren norddeutschen Hauptstrom, das reiche Hamburg und unsere Nordseeküsten vor feindlichen Handstreichen nachdrücklichst zu sichern. Desto besser, wenn, wie es ganz den Anschein hat, man hier gar nicht zur Action kommt und die übrigens sehr lax gehandhabte Blokade, die einem „Blocus sur papier“ verzweifelt ähnlich sieht; durch die glänzenden Erfolge der deutschen Armeen zu Lande aufgehoben wird. Wie die Sachen jetzt stehen, kann die confuse französische Regierung nicht einen Mann entbehren, namentlich für eine Expedition, die nicht allein höchst gewagt ist, sondern auch der zermalmendsten Lächerlichkeit (wovor sich der eitle Geck von Franzose am meisten scheut!) verfallen kann.

„Lieb’ Vaterland, kannst ruhig sein!“




Am Grabe der Mutter.

Es war eine seltene heilige Stunde, als nach der Riesenschlacht von Leipzig der König, nach seiner Hauptstadt zurückgekehrt, still und heimlich hinauswanderte nach einem dunklen Haine und dort unter heißen Thränen einen Lorbeerkranz niederlegte auf das Grab seiner Gattin, seiner Louise, die den großen Tag der von ihr so heiß ersehnten Vaterlandsbefreiung nicht erleben sollte. Allein mit Gott, kniete er zu den Füßen des geliebten Bildes und schmückte es in wehmütig dankbarer Erinnerung mit Blumen und mit dem Siegerkranze, den er ihr so gern – so sehr gern noch auf das lebende Haupt gedrückt. –

Mehr als ein halbes Jahrhundert war verflossen seit jenem Tage, und der kleine Tempel war immer mehr zu einem Wallfahrtsort geworden, seit auch Friedrich Wilhelm dort zur Ruh gegangen, und desselben Meisters Hand, die jenes holde Marmorbild

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_576.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)