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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

der Straße nach Gorze und Metz zu, und ebenso viele Fuhrwerke, angefüllt mit Verwundeten, begegnen ihnen auf demselben Wege, so daß man jetzt den ganzen Straßenverkehr eine einzige Stockung nennen könnte. Zwischendurch bewegen sich Militär- und Gefangenenzüge, und nur selten bemerkt man einen Civilisten; freilich haben sich die Letzteren, vornehmlich die besser situirten Einwohner, aus der Stadt entfernt, die Läden sind zum größten Theil geschlossen und blickt man durch die geöffnete Thür eines Schlächter- oder Bäckerladens, so sieht man nicht etwa Waarenvorräthe, sondern Soldaten, die sich dort einquartiert haben. Nicht anders sehen die Fenster der verschiedenen Etagen aus, die Gardinen sind daraus entfernt, die Fensterläden schmutzig und zum Theil zerbrochen, und überall blicken Soldatenköpfe heraus. Und nun erst in den Häusern – wie sehen die Zimmer aus! Wo sonst die waltende Hausfrau für Ordnung und Sauberkeit gesorgt, mit ängstlicher Sorgfalt die Möbel abstäubend und zurechtrückend, da haust jetzt der Soldat; kein Kanapee ist ihm zu gut, um sich nicht mit den Stiefeln darauf auszustrecken, kein Mahagonitisch zu schade, um nicht seinen Kaffee darauf zu kochen, seine Knöpfe daran zu putzen; er richtet sich in den besseren Zimmern häuslich ein, während der Besitzer der Wohnung mit der Küche oder einem Kämmerchen sich begnügen muß. Der Civilrock hat aufgehört eine Bedeutung zu haben, nur der Waffenrock ist noch maßgebend in diesem unglücklichen Lande, das ist eben der Krieg, und der einzige Trost für den Menschenfreund, der mit Schaudern aus diesen Jammer, dieses Elend herabsieht, ist der, daß die deutschen Armeen nicht freiwillig und etwa eroberungssüchtig in dieses Land gezogen, daß sie vielmehr gezwungen worden sind, die Grenze zu überschreiten; man hat sie von Paris aus gewaltsam invitirt, die französischen Provinzen heimzusuchen mit den Schrecken des Krieges.

Die Mairie in Pont à Mousson.


Die eigene Sicherheit auf feindlichem Boden macht es der Armee zur Pflicht, strenge zu sein gegen die Bewohner der Städte, die sie passirt, und so läßt sich die Proclamation erklären, welche in Pont à Mousson veröffentlicht wurde. Einige Artikel daraus lauten, wie folgt:

„Innerhalb zwei Stunden müssen die Waffen aller Art, welche sich in der Stadt befinden, nach dem Rathhause geschafft werden.

Nach dieser Zeit werden Patrouillen in die Häuser gesendet, und die Bewohner, welche noch im Besitz von Waffen, welcher Gattung sie auch seien, betroffen werden, werden verhaftet und nach der ganzen Strenge der Kriegsgesetze behandelt.

Alle Ansammlungen sind untersagt.

Die Thüren und die Jalousieen oder Fensterläden müssen Tag und Nacht offen bleiben.

Die Stadt muß in der Nacht erleuchtet sein, und zwar jedes Haus durch mindestens ein brennendes Licht.

Bis neun Uhr Abends müssen alle Gasthöfe, Kaffeehäuser und öffentlichen Orte von den Einwohnern verlassen sein.

Jeder Einwohner, dem es einfallen sollte, sich dem Durchmarsch der Truppen, durch welche Mittel es immer sei, zu widersetzen, wird unverzüglich verhaftet und erschossen werden.“

Wie strenge diese Maßregeln auch erscheinen mögen, so sind sie doch äußerst nothwendig, wie einige weiter unter angeführte Fälle beweisen werden.

Einen eigentümlichen – einen traurigen Eindruck macht der Marktplatz von Pont à Mousson, der über und über mit Wagen voll Verwundeter angefüllt ist; der Boden ist bedeckt mit Stroh, auf welchem die durchziehenden Sachsen bivouakirt hatten, und die vis à vis dem Rathhause nebeneinander liegenden Hôtels, Croix blanche, Hôtel de Cygne, Hôtel de Commerce etc. sind geschlossen und verlassen. Die Mairie (Rathhaus) ist ein schönes großes Gebäude in der Mitte des Platzes, und gar bunt sind die Scenen, die sich hier in den Räumen der ersten Etage, dem Sitz der Mairie, jetzt täglich abspielen. Ueber eine breite Treppe gelangt man zu einem großen Saal, in dessen Mitte an einem Tische der Etappencommandant placirt ist, während links eine Unmasse Waffen, die von den Einwohnern abgeliefert wurden, aufgehäuft liegen. Ebendaselbst befindet sich der bekannte Berliner Staatsanwalt Simon von Zastrow, der hier als Etappen-Auditeur fungirt, und die Fälle sind unzählbar, die ihm zur Schlichtung vorgetragen werden. Hier nur einen:

Ein französischer Bauer wird ihm vorgeführt, er soll preußischen Verwundeten die Finger abgeschnitten haben, um Ringe zu stehlen. Der Mann ist bereits gräßlich zugerichtet, hat blutunterlaufene Augen, zerrissene Kleider, zerschundene Hände und sieht einem wilden Thiere ähnlicher, als einem Menschen. Zähneklappernd betritt er den Saal, vorgeführt von zwei Gensd’armen, die der französischen Sprache nicht mächtig sind, während er kein Wort Deutsch versteht, eine Verständigung zwischen ihnen ist daher unmöglich, und sie stoßen ihn die Treppe hinauf; er betheuert dem Auditeur seine Unschuld und zum Glück für ihn waren keine genügenden Zeugen für seine Schandthat zu schaffen, die Sache beruhte nur auf einem Gerüchte, das nicht mehr zu erweisen. Es machte einen peinlichen Eindruck, als Herr von Zastrow auf Befragen des Commandanten, was hier zu thun sei, erklärte: „Hier giebt es nur zwei Fälle, entweder todtschießen oder freilassen,“ und mir wurde leichter um’s Herz, als man sich für die letztere Alternative entschied; der Mann wurde wieder abgeführt und verließ mit schlotternden Knieen den Saal der Mairie, um nach kurzer Zeit zu seiner eigenen Sicherheit in’s Gefängniß zu wandern. Noch immer in Ungewissheit über sein Schicksal, hatte er doch Veranlassung genug, für sein Leben zu zittern, im Hinblick auf das furchtbare Exempel, welches die Truppen einige Tage früher ebenfalls an einem Bauer in Gorze statuirt hatten, der auf Verwundete gefeuert hatte, und den man dafür an einem Baume hängend und von fünfundvierzig Kugeln förmlich durchlöchert fand.

Neben der Mairie spielen die Lazarethe augenblicklich eine große Rolle, und welcher Segen letztere für die Menschheit sind, hatte ich im Kloster der barmherzigen Schwestern zu beobachten Gelegenheit. Dieses Kloster, dessen momentane Bestimmung durch eine am Thurme befestigte weiße Fahne mit rothem Kreuz gekennzeichnet ist, befindet sich am Ende der Rue de l’Hôpital, und durch eine kleine Thür gelangt man über einen schmalen Corridor in die inneren Räumlichkeiten. Rechts von letzterem befindet sich zunächst die Küche, ein Muster von Sauberkeit und Ordnung, bedienstet von den Frauen Schwestern dieses Klosters, die sich opferwillig den schweren Pflichten dieses Hauses unterziehen; in allen Zimmern, in allen Corridoren sieht man diese Damen emsig beschäftigt, theils die Bedienung der Kranken, theils die Verrichtung der verschiedenen häuslichen Arbeiten besorgend. Das sehr große Gebäude umfaßt einen prächtigen Garten, angefüllt mit den schönsten Pflanzen, sowie zahlreichen Obstbäumen, zwischen welchen man jetzt leicht verwundete oder auf dem Wege der Besserung befindliche Officiere lustwandeln sieht. Ich betrat einen der vielen großen luftigen Säle; es lagen schwer Verwundete darin, unter ihnen Baron von Rhaden, Gatte der berühmten Berliner Sängerin Pauline Lucca. Und wie hier im Lazareth, so steht es in allen Häusern Pont à Mousson’s aus; die Stadt ist ein einziges großes Krankenhaus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_604.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)