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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

„Fräulein Anna, wollen Sie nicht absteigen und mit uns in die Hütte treten? Sie wünschten doch auch die Wohnung des armen Joseph zu sehen!“

„In Gottes Namen!“ sagte Anna fast ärgerlich, in ihrem Gespräch mit Victor unterbrochen zu sein. Dieser sprang sogleich ab, um ihr zu helfen, und hob sie ohne Weiteres mit starken Armen vom Pferde. Sie lachte und erröthete. Alfred sah ihnen zu, wie sie sich neckten. – Dann wandte er sich bleich, aber ruhig zu seinem ehemaligen Patienten.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Johanniter-Depôt im jetzigen Kriege.
Von Fr. Gerstäcker.
Courcelles, 16. Septbr. 1870. 

Wir in Deutschland sehen, wie aller Orten Liebesgaben für unsere Verwundeten und Kranken im Feld sowohl, als auch für die wackere Armee gesammelt werden, aber wir haben keinen rechten Begriff davon, in welcher Art sie zur Vertheilung kommen, und es wird deshalb dem Leser vielleicht interessant sein, in kurzen Worten die Beschreibung eines solchen Depôts zu erhalten, das, in seiner Mannigfaltigkeit wenigstens, wahrlich nichts zu wünschen übrig läßt.

Courcelles ist ein Hauptort für den Zusammenfluß aller in’s Feld geschickten Waaren, da es gegenwärtig, von Saarbrücken aus, den Endpunkt des Eisenbahnstranges gegen Metz zu bildet. Hier findet man darum auch alle jene Vorräthe, deren Weitertransport nicht bewältigt werden konnte oder wenigstens nicht bewältigt wurde, so daß jetzt Hunderte von Fässern mit gutem Zwieback, Tausende von Säcken mit Mehl, Weizen, Bohnen, Reis, Erbsen, Speck, Rauchfleisch und Gott weiß was sonst, im Freien liegen geblieben sind und dort nicht allein verderben, sondern auch noch mit helfen die Luft zu verpesten.

Und was ist die Ursache dieser furchtbaren Verwüstung? Ich selber kann kein Urtheil darüber fällen, aber wie mir von Leuten gesagt wurde, die recht gut einen Einblick dahinein gewonnen haben konnten, so liegt es all der bureaukratischen Verwaltung der Intendantur einzig und allein. Unter diesen sind eine Menge höherer Beamten, sehr vornehm und sehr klug, aber – nichts weniger als praktisch und dabei außerordentlich vorsichtig keine Verantwortung selber zu übernehmen, die sie sich eben vom Halse halten können. An Fuhrwerken fehlt es nicht – einzelne sind, wie ich aus Erfahrung weiß, immer zu bekommen, und manches Werthvolle hätte gerettet werden können, aber dazu muß der Beamte erst den Befehl geben, ein anderer contrasigniren, ein dritter sein Gutachten abgeben, kurz es sind eine Masse von vollkommen unnützen Weitläufigkeiten nicht etwa nöthig, sondern sie werden verlangt, und darüber verfaulen Güter zum Werthe von Hunderttausenden, die ein praktischer Geschäftsmann, wenn er allein an der Spitze der Verwaltung stand, ohne größere Ausgaben gerettet und dem Heere erhalten hätte. Jetzt fängt man allerdings an Schuppen zu bauen, aber – über die schon halb verfaulten und verdorbenen Waaren, und was wieder gut und frisch ankommt, wird ebenfalls im Regen und auf den feuchten Boden abgeladen.

Doch darüber wollte ich jetzt nicht sprechen, sondern dem Leser eine kurze Schilderung eines der Depôts geben, die von sogenannten „Liebesgaben“ gefüllt und in Stand gehalten werden, und besonders unter der Oberaufsicht der Johanniter stehen. – Das in Courcelles ist das Musterbild eines solchen Waarenlagers im Felde, und wenn mich schon die an der Eisenbahn und den Schienenstrang entlang aufgespeicherten und verdorbenen Waarenvorräthe an das Jahr 1849 in Californien bei San Francisco erinnerten, so paßte dieser große Bretterschuppen mit seinen dort aufgespeicherten bunten und vielfältigen Massen ganz vortrefflich zu dem Bild aus jener Zeit, ja schien sogar unbedingt dazu zu gehören.

Es war in der That nichts weiter als ein Schuppen oder ein großes, aus rohen Brettern zusammengeschlagenes Holzhaus, das sogar mit einigen Fenstern versehen ist. Da drinnen aber sah es und sieht es bunt und wild genug aus, und der ganze, weitgedehnte Raum ist mit Kisten, Fässern, Säcken, Ballen, Paketen, Rollen, Werkzeugen, Blechgefäßen und sonstigen wunderlichen Dingen – die sich später als zum Verbandzeug gehörig herausstellen – angefüllt.

Charpie und Bandagen nehmen dabei den größten Raum ein, und werden trotzdem jetzt wenig verlangt. Dann kommen zahllose Kisten mit Cigarren, von denen freilich ein großer Theil nur zur Desinfection bestimmt scheint, denn man findet Sorten darunter, die den besten Menschen böse machen könnten. Da stehen Blechgefäße für Arm- und Kniebäder, Schienen für alle möglichen Gliedmaßen, Krücken sogar, Kisten mit Instrumenten ganze Wände voll Speckseiten und Schinken, Zwieback, getrocknete Aepfel und Pflaumen, Tonnen mit Häringen, Chocolade, Fässer mit gebranntem Kaffee, Massen von Ueberzügen, wollene Decken, Leibbinden, Matratzen, Stockfisch sogar, Kisten mit Wein und Spirituosen – wenn auch diese in geringem Maße, obgleich die größte Nachfrage danach ist. Seife kann man ebenfalls bekommen, Hemden, Kämme, Streichhölzchen und tausenderlei andere Kleinigkeiten – aber Nichts für Geld.

Ein Mann mit hundert Thalern in der Tasche kann hier mit größter Bequemlichkeit verhungern, wenn er sich nicht Lebensmittel auf andere Weise zu verschaffen weiß. „Armer reisender Handwerksbursche; seit drei Tagen keinen warmen Löffel im Leibe gehabt“ – damit kommt man durch. Wie die Handwerksburschen existirt man hier nur von „Liebesgaben“, und solche Zustände muß man wirklich sehen und sie selber mit durchmachen, um sie zu glauben.

Die Johanniter haben die Oberaufsicht über dieses Depôt, und es ist vielleicht gut, vorher ein Wort über die Johanniter selber zu sagen, die schon in vieler Weise angefeindet und sogar mit dem Namen „Schlachtenbummler“ belegt worden sind.[1]

Thatsache ist, daß die gesunden Officiere und Soldaten ihnen nicht besonders grün sind, weil sie besonders gute und bequeme Quartiere für sich in Anspruch nehmen, keine Noth leiden und in vielen Stücken bevorzugt sind. Die Verwundeten dagegen haben wohl sämmtlich ihren wohlthätigen Einfluß gefühlt, und im Ganzen bin ich fest überzeugt, daß sie viel Gutes gestiftet haben und noch stiften.

Treten wir zum Beispiel[WS 1] in das Depôt von Courcelles, so fällt uns zuerst die kleine schmächtige, in einen grauen Mantel oder Ueberzieher geknüpfte Gestalt eines jungen Mannes mit dem Johanniterkreuz vorn in die Augen, der, mit einer Brieftasche in der Linken, einem Bleistifte in der Rechten, vom frühen Morgen bis zum späten Abend mit unzerstörbarer Geduld und Gutmüthigkeit dem Andrange der Bittenden oder Hülfsbedürftigen gegenübersteht und jeden Wunsch erfüllt, den er erfüllen kann. Es ist der junge Baron von Cramm, der diesen wahrlich nicht leichten Geschäftszweig unternommen hat und wie ein Commis in einem Waarengeschäft durchführt, nur daß er kein Geld einnimmt oder Rechnungen ausstellt.

Ein Soldat tritt herein – er hat draußen jetzt über drei Wochen im Bivouac gelegen und sieht bleich und abgerissen aus. „Ach, wenn ich Sie um ein Hemd bitte dürfte und vielleicht eine Leibbinde, die Nächte werden sonst gar so kalt draußen.“

Er erhält gar keine Antwort, aber ein freundliches Kopfnicken und einen Zettel, auf dem sein Bedarf als Quittung steht.

„Ach, Herr Baron,“ kommt ein Anderer, „dürfte ich wohl um eine wollene Jacke bitten?“

„Wollene Jacken sind nicht mehr da, aber noch einige paar Strümpfe und Leibbinden – die –“

„Cigarren hätten Sie wohl nicht mehr?“ kommt ein Dritter, „unsere ganze Compagnie hat keine mehr – oder ein Bischen Tabak?“

Er erhält eine ganze Kiste Cigarren und etwas Tabak.

„Bin Lieutenant von So und So,“ stellt sich ein Officier vor, „und bitte um Liebesgaben für das oder das Lazareth.“

„Was brauchen Sie?“

„Ja, was haben Sie?“

„Das, das, das und das und das.“

Ein ganzer Zettel wird jetzt ausgefüllt: Verbandzeug, Kisten

  1. Haben wir selbst gethan, aber geben ebensogern einer andern Meinung Raum. D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Beispeil
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 664. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_664.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)