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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

gemacht worden sind; denn diese Preußen haben nach Allem Appetit, auch nach Seelen.

Während dieses kleine Zwischenspiel auf dem Hofe vorgeht, herrscht in dem Bureau die Stille regster Thätigkeit. An einem großen runden Tische mundiren die Corpsschreiber die Befehle, die Berichte, die Ausarbeitungen die ihnen von einem in der Mitte der Dreißiger stehenden Manne in der Uniform der General-Stabsofficiere übergeben worden. Es ist der Major Schmidt. Ein geborener Kurhesse, früher auch in kurhessischen Diensten stehend, trat er nach dem Jahre 1866 in den preußischen großen Generalstab über, wo er wegen seiner ungewöhnlichen Fähigkeiten eine hervorragende Stellung erhielt. Er ist der Dirigent des Bureaus, an ihn gehen zunächst alle Meldungen, Depeschen, alle eingehenden Schriftstücke, und durch seine Hand und Direction ebenso wieder zurück. Für diese wichtige Stellung kommen ihm seine persönlichen Eigenschaften sehr zu statten, in denen sich geistige Klarheit und Schärfe mit der mildesten, liebenswürdigsten Form des Verkehrs vereinen. Major Schmidt hat eine Depesche erhalten – wahrscheinlich die Meldung eines commandirenden Generals über wahrgenommene Bewegungen des Feindes – er erbricht dieselbe, erhebt sich von seinem Sitze und geht damit in ein anstoßendes kleines Gemach, das Papier einem Herrn im Vollbarte überreichend, der in vollem Dienstanzug mit Schärpe und Säbel in reger Gedankenarbeit begriffen ist, denn darauf deutet der auf den Tisch und das Papier niedergebeugte Kopf, die eifrige Bewegung mit der Feder und der Umstand, daß er den Eintretenden nicht gleich bemerkt, bis dieser ihm die Depesche überreicht. Der betreffende Militär ist der Oberst v. Hertzberg, General-Quartiermeister der zweiten Armee, und der directe Vorgesetzte des Majors. In einem Garderegimente dienend, hatte sich v. Hertzberg große Verdienste um die Organisation des mecklenburgischen Contingents erworben, nahm 1864 im Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl eine wichtige Stellung ein und war bis zu diesem Kriege Generalstabschef des siebenten Armeecorps in Münster. Er liest mit Hülfe eines kleinen Augenglases das Schriftstück – er überliest es noch einmal und richtet gedankenvoll den Blick hinaus in das Grüne des Parkes. In seinen Zügen drückt sich lebhafte Spannung, geistige Schärfe und Subtilität aus – einige Momente des Nachdenkens und er ist mit sich über die Bedeutung der Depesche im Klaren, er theilte seine Ideen darüber in klarer Fassung und liebenswürdig verbindlicher Form dem Ueberbringer mit, der die Meinung seines Chefs zu theilen scheint.

Wir kehren in das Bureau zurück. Dort öffnete sich rasch die Thür – ein junger Mann in Generalstabsuniform, in der linken Hand den Säbel, in der rechten die Mütze haltend, erscheint, schreitet mit etwas hochgezogenen Schultern in langen, fast ungestümen Schritten durch das Bureau nach dem einzigen der leeren Arbeitstische, wirft sich ebenso rasch auf den Stuhl nieder, läßt den Säbel fallen und hat auch schon die Feder in der Hand; wie gejagt von Gedanken geht dieselbe über das Papier dahin – nur manchmal hält der Schreiber inne, rückt dann einige Male, die Blicke gedankenvoll hinaus in’s Freie richtend, mit dem Sessel, und dann geht der Gedankenflug auf dem Papier unaufhaltsam weiter. Menschen und Dinge scheinen für ihn nicht mehr da, nur die Sache lebt für ihn, die er unter den Händen hat. Mit derselben Verve, mit welcher er vielleicht eben einen gewagten Recognoscirungsritt gemacht hat, verfolgt er jetzt die feinsten Gedankencombinationen. Seine Gestalt ist in ihren Formen, ihren Bewegungen jugendlich, und doch sitzen auf den Schultern bereits die Achselstücke des Stabsofficiers; die hat sich dieser Kopf errungen, der in dem Ausdrucke geistiger Reife der Gestalt um zwanzig Jahre voraus ist. Die Lineamente dieses Kopfes sind scharf, fast nüchtern, aber wie Alles an dem seinem Taufscheine nach noch so jungen Manne bedeutend und außergewöhnlich ist, so gleitet auch der gewöhnliche Maßstab, ob jung oder alt, ob schön oder häßlich, an dem Ausdruck geistiger Energie und Schlagfertigkeit, an einem Zuge überraschender Unmittelbarkeit ab. Ich sprach eben vom Major Grafen Häfeler.

Eine neue Erscheinung lenkt unsere Aufmerksamkeit auf sich. Aus den Zimmern des Oberbefehlshabers, die unmittelbar mit dem Bureau in Verbindung stehen, trat eine hohe schlanke, schon durch ihre körperliche Größe und Haltung imponirende Persönlichkeit. Dieselbe trägt die preußische Generalsuniform und ist jedenfalls einer der an Jahren jüngsten preußischen Generale, vielleicht achtundvierzig Jahre alt. Mit leichtem elastischem Tritt nimmt er seinen Weg nach dem bereits erwähnten kleinen Gemach. Er kommt vom Vortrage beim Oberbefehlshaber – es ist der Chef des Generalstabes, der erste militärische Beirath des Höchstcommandirenden, der General v. Stiehle. Was man so die Carriere eines Militärs zu nennen pflegt, begann bei diesem Manne, der jetzt nach dem Urtheile aller Urtheilsfähigen eine der bedeutendsten Capacitäten der preußischen Armee ist, im Anfange der Sechsziger Jahre. Früher war er aus einem Linieninfanterieregimente in das topographische Bureau des großen Generalstabes gekommen, und hatte hier die alte schwere Laufbahn desselben durchgemacht. Schon damals wurden seine hervorragenden Fähigkeiten anerkannt; denn eine Anerkennung derselben war ein Commando als Adjutant bei dem Generalfeldmarschall v. Wrangel, welchem er auch während des Feldzugs 1864 in Schleswig beigegeben war.

Von da wurde er in einer Mission an den König gesandt; der Bericht, den er dem obersten Kriegsherrn über die Lage der Dinge im Norden, über gewisse Verhältnisse im Obercommando abstattete, war so entscheidend für seine Zukunft, daß der König ihn nach Beendigung des Feldzuges zum Flügeladjutanten ernannte und ihm den Adel verlieh. Für den zweiten Theil des Feldzuges in Schleswig war er im Generalstabe des Obercommandos der Alliirten bei dem Prinzen Friedrich Karl geblieben. Der klare durchgreifend logische Verstand, die feine geistige Combination, vor Allem das straffe soldatische Element, alle diese glänzenden Eigenschaften, die sich mit den elegantesten, mildesten und gewinnendsten Formen verbinden, hatten bereits Gelegenheit gefunden, sich durch die That zu bewähren; eine neue Seite seiner geistigen Begabung trat nach dem Kriege bei den Friedensverhandlungen in Wien, zu denen er beigezogen wurde, hervor, sein diplomatisches Talent. Den Feldzug 1866 machte er bei dem General von Herwarth mit; nach dem Kriege trat er in sein Verhältniß als Flügeladjutant des Königs zurück, später wurde er Commandeur des Königin-Augusta-Regimentes in Coblenz, darauf Abtheilungschef im großen Generalstabe; bei Uebernahme des Obercommandos wählte ihn Prinz Friedrich Karl zu seinem Generalstabschef; in Alzey erhielt v. Stiehle die Nachricht von seiner Beförderung zum General. Er tritt in dem kleinen Arbeitszimmer zu den beiden Stabsofficieren, man reicht ihm die Depesche, über seine Züge fliegt ein feines Lächeln und jener Ausdruck innerer Genugthuung über eine richtige Berechnung gewisser Bewegungen des Feindes und den glücklichen Erfolg der dagegen getroffenen Dispositionen.

Das sind die Männer, welche Prinz Friedrich Karl um sich versammelt hat; ein hochbegabter Mensch zeigt sich am deutlichsten in der Würdigung anderer bedeutender Menschen. Die Schlachten von Vionville oder Mars la Tour, von St. Privat waren Entscheidungsschlachten von erster Bedeutung, denn ohne sie wäre die französische Armee nicht getrennt worden, hätte sie sich gesammelt und aus Chalons sur Marne zurückgezogen, wäre kein Sedan möglich gewesen und wäre Paris auch nicht so schnell und unbedingt in den Bereich unserer militärischen Macht gekommen; die Kriegsgeschichte wird das noch klarer und überzeugender, als es der Tagesgeschichte möglich ist, zu Tage bringen. Wenn dem Oberfeldherrn allein die eiserne Consequenz, der beherrschende Ueberblick, die schlagfertige Dispositionsfähigkeit und die persönliche Bravour bleiben muß, so haben diese Männer mit und unter ihm die gewaltige Arbeit dieses Feldzuges der zweiten Armee gemacht, so wetteifern sie auch jetzt im Verein mit dem Höchstcommandirenden, eine Aufgabe vor und um Metz zu erfüllen, welche die nicht militärische Welt vielleicht für eine undankbare halten möchte. Wenn es auch einem so feurigen, thatenkräftigen und thatenschöpferischen Naturell, wie das des Höchstcommandirenden ist, gerade nicht sehr erwünscht sein muß, sechs Wochen mit einer so großen Armee vor einem Bollwerk wie Metz fest zu liegen, so lernt eben der preußische Soldat keine dankbare und keine undankbare Aufgabe, sondern nur die Pflicht.

In dem kleinen bereits geschilderten Vorgemach vor dem Eingange zu den Gemächern des Oberfeldherrn und zu dem Bureau treffen so im Laufe eines Tages die verschiedensten, die interessantesten Persönlichkeiten zusammen. Ein stattlicher Mann, mittlerer Größe, mit grauem Barte und Brille, kommt aus den Gemächern des Höchstcommandirenden. In seinem gleichmäßigen Gange, in dem ruhigem, sichern Ausdruck seiner Züge kündigt sich ein auf sicherer Grundlage beruhendes Dasein an. Sollte uns

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 731. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_731.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)