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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

hier meinem Schicksale; ich beschwöre Sie im Namen alles Dessen, was Ihnen heilig und theuer ist im Himmel und auf der Erde!“

„Sie erschweren mir meine Pflicht furchtbar, Madame; ich bitte Sie, thun Sie das nicht länger; ich werde meine Ordre erfüllen, Sie nach Courcelles bringen und dem dortigen Etappencommandanten zur weiteren Beförderung übergeben. Kutscher, fahren Sie weiter!“

So geschah es auch.

In Courcelles fanden sich für die arme Frau als Reisebegleiterinnen zwei Nonnen aus dem abgebrannten Kloster von Peltre, die ebenfalls nach Belgien gingen. Ihnen empfahl Oberst Kurt seine Schutzbefohlene, und unter heißen Dankesausbrüchen schied sie von ihm.

In dem Augenblicke, wo diese Zeilen ihren Abschluß erhalten, wird in dem Schlosse Frescaty vor Metz die Capitulation der Armee und der Festung unterzeichnet. Dieselbe öffnet auch dem Capitain T. F. die Thore der Festung, und hoffentlich wird es ihm gelingen, sich mit seiner Gattin zu vereinigen und in dem Glück der Liebe ihr den Lohn zu bieten für ein so erhebendes Beispiel der Treue und Aufopferung inmitten der Zersetzung und Zerrüttung ehelicher Verhältnisse, an denen Frankreich zu Grunde gegangen ist.




Aus eigener Kraft.

Von W. v. Hillern geb. Birch.
(Fortsetzung.)

Alfred hatte nicht weit von dem General und Feldheim gestanden und das Gespräch der Beiden gehört.

„Feldheim,“ sagte er vortretend, „wenn Du wirklich Garnisonsprediger in der Residenz werden sollst – werde ich Dich nimmer halten und nicht zum zweiten Male ein solches Opfer von Dir annehmen.“

„Ich bringe es dennoch!“ erwiderte Feldheim. „Ich lasse Dein Werk nicht im Stiche.“

„Nun,“ lächelte Alfred, „so bleibt mir nichts übrig, als Dich abzusetzen!“

Er wandte sich an den General: „Excellenz sind Zeuge, der Prediger Feldheim ist von Stund’ an seines Amtes entsetzt.“

Der General lachte und reichte den Beiden vom Pferde herab die Hände: „Wohl Jedem, der einen solchen Freund besitzt!“

Als er fortgeritten, schloß Alfred Feldheim in die Arme, er sah mit Begeisterung zu dem Freunde auf, seine ganze Seele strömte über in Liebe und Dankbarkeit für den großen Mann, den alle Welt bewunderte und an den Niemand ein Recht hatte, als er, der noch so wenig für ihn gethan.

In dem Augenblick erscholl ein Alarmsignal, die Vorposten waren auf den Feind gestoßen, und die Mannschaft, welche sich zum Abkochen gelagert hatte, fuhr empor wie ein aufgestörter Bienenschwarm. Der halb zum Munde geführte Bissen ward ungenossen weggeworfen. Die gefüllten Kessel wurden ausgeschüttet, die dampfende Suppe düngte den Boden und trockenen Gaumens – sie hatten seit zweiundvierzig Stunden nichts als Brod über die Lippen gebracht – trat die immer geduldige, immer leidensbereite Mannschaft an’s Gewehr, kaum einen flüchtigen Blick dem kostbaren Labsal nachwerfend, das dem erschöpften Leib Stärkung geben sollte und nun von der staubigen Erde eingeschluckt ward. Vorwärts ging es über die fleischduftenden Schollen hinweg mit Sturmschritt dem Feinde entgegen.

„Das wird ein heißer Tag, leb’ wohl!“ hatte Feldheim Alfred zugerufen und fort stürmte er mit seiner gehetzten Heerde.

„Was thun diese Alle – und wie wenig thue ich!“ dachte Alfred, als er mit der Ambulance der Truppe folgte. „Was würde Anna sagen, sähe sie den ‚Flickschneider‘ in sicherer Schußweite seine Bude aufschlagen; würde sie ihn nicht wieder verhöhnen um solcher Feigheit willen?“

Ein jähes Anhalten der Wagen schreckte ihn aus diesen bittern Gedanken empor. Die Feinde waren auf einander gestoßen, ein heftiger Kampf begann.

Alfred errichtete den Verbandplatz auf einer steilen Anhöhe, von wo aus er die Schlacht im Thale ohne Gefahr übersehen konnte. Die Träger standen mit ihren Bahren bereit. „Vorwärts,“ commandirte Alfred und da schritten sie hin, je zwei und zwei eine Bahre tragend, hinein in das heiße Schlachtgewühl und die kleinen Wagen, eigentlich Betten auf Rädern, folgten ihnen. Alfred sah zu seinem Schrecken, daß sie sich nach rechts wandten, denn dort waren bereits Johanniter und Sanitätspatrouillen, während der linke Flügel noch aller Hülfe zu entbehren schien. Er warf sich auf ein Pferd und ritt den Trägern nach. Der nächste Weg führte ihn über den Hügel, von wo aus der General mit seinem Stab die Schlacht leitete. Alfred’s Blick hing bewundernd an dem greisen Kriegsmann, der stramm und hoch zu Roß dasaß, als wäre er bereits seine eigene in Erz gegossene Statue. Nichts regte sich an der eisernen Gestalt als die Lippen, die seinen Adjutanten Befehle ertheilten. In dem Augenblick aber, da Alfred vorüberritt, streckte der General in hastiger Bewegung seinen Arm aus, nach einem entfernten Punkte deutend. „Dort ist Einer gefallen, um den’s schade ist!“ rief er. „Und dort gerade ist weder ein Sanitätssoldat noch ein Freiwilliger in der Nähe! Zum Teufel, wo bleiben die Schlafmützen? Sehen Sie nicht?“ rief er Alfred zu, „dort drüben, wo die Cavallerie anrückt, Feldheim ist gefallen!“

Er wandte den Kopf zu Alfred um – aber Alfred sprengte schon den Hügel hinab. „Feldheim – Feldheim gefallen!“ schrie er, und der Schmerz und die Angst machte ihn taub, daß er das Gebrüll der Schlacht nicht mehr hörte. Als seien mit dem Wort „Feldheim ist gefallen“ alle Bande zerrissen, die ihn gelähmt, so jagte er jetzt auf dem schäumenden Renner, ohne das Gleichgewicht zu verlieren, über Hecken und Gräben weg, als wäre er eins mit dem leichtfüßigen Thier, und stieß ihm die Sporen in die Weiche, daß es dahinschnellte in beflügelter Angst vor dem furchtbaren Reiter, der so fest saß, als wären die sonst so machtlosen Schenkel plötzlich angeschmiedet. Einzelne Kugeln sausten an ihm vorbei – aber es war, als ständen sie still und er sause an ihnen vorüber. „Nur vorwärts,“ war sein einziges Gefühl – sein einziger Gedanke.

Kaum zehn Minuten hatte der tolle Ritt gedauert, als er bei der Abtheilung anlangte, in deren Mitte Feldheim gefallen. Der Kampf stand; keinen Zoll breit vor, keinen zurück war das Bataillon in den wenigen Minuten gerückt. Feldheim mußte noch auf demselben Flecke liege, wenn ihn Niemand aufgehoben. Ein heftiges Gewehrfeuer ward unterhalten, und von feindlicher Seite sah Alfred durch die Rauch- und Staubwolke ein Regiment Dragoner über den weiten Plan heransprengen. Es war die höchste Zeit! Er stieg vom Pferde. Die Hände, welche die Zügel gehalten, zitterten, der Schweiß troff ihm von der Stirn in die Augen, der ganze Körper bebte, das Blut kreiste ihm wild durch die Adern. Aber weiter, er mußte weiter. Er mußte! Und Schritt für Schritt drang er ein in die dichten Reihen. Jetzt schwirrten die Kugeln um ihn her wie ein Haufe schwärmender Mücken, die ihr Opfer suchen, und die athemlose Lunge sträubte sich, die verdickte Pulveratmosphäre einzuathmen, in welcher sich diese fürchterlichen tödtlichen Mücken erzeugten. Und jetzt war er plötzlich wieder sehend und hörend geworden, und da stand er inmitten des Schlachtgewühls, umringt von den tausend Gestalten, in denen hier die Vernichtung wüthete, allein, so furchtbar allein, zwischen diesen Tausenden, die sich durch Nichts stören ließen in dem gräßlichen Geschäft des Tödtens. Der schwache, hülflose Mann, er mußte zermalmt werden inmitten dieser kämpfenden Gewalten. Die Kraft verließ ihn, die Kniee brachen – er fühlte sich verloren, er gab sich auf, und nackte, zitternde Todesangst schüttelte ihn. Aber dort, noch zwanzig Schritte vor ihm, that sich eine Lücke auf, es waren drei nebeneinander gefallen, er konnte durch die traurige Bresche in die vordersten Reihen sehen. Da lag eine Gestalt im schwarzen Priesterrock am Boden, – nun hatte er sein Ziel vor Augen, nun gab es kein Zögern, kein Zweifeln mehr. Vorwärts!

Und weiter strebte er der offenen Stelle zu, durch die er am besten hinzugelangen hoffte, die sich jedoch wieder schloß, bevor er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 782. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_782.jpg&oldid=- (Version vom 18.11.2019)