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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


so gehörte es denn keineswegs zu den behaglichsten Situationen, hier Tag und Nacht auf der Lauer zu liegen und jede verdächtige Bewegung des eingeschlossenen Feindes, der die belagernde Armee überdies beständig in Athem zu halten suchte, zu beobachten. Ich erfuhr das bei meinem ersten Nachtquartier auf Schloß Montbel in Marly, welches den Gegenstand meiner dritten Darstellung bildet (s. S. 785). Das genannte Schloß gehört einem Grafen oder Baron von Montbel. Wie man aus den zerstreut umherliegenden Briefen ersehen konnte, hatte derselbe es erst Ende August schleunigst verlassen. Das dargestellte Zimmer war unser Nachtlager. Die erste Nacht, welche ich hier zubrachte, war, ich will es gern gestehen, etwas unheimlich für mich. Denn eben hatten wir eine treffliche Glühweinbowle geleert und standen im Begriffe unser Lager aufzusuchen, als mein Freund, Hauptmann R., den Befehl gab, daß Jeder seine Sachen neben sich zu legen und seine Waffen umzuschnallen habe, damit, wenn die Franzosen ausfallen sollten, Alles zur Stelle sei. Die Thüren mußten geöffnet bleiben, und vor dem Haupteingange blieb ein Meldeposten aufgestellt. Auf meine Bemerkung: „Sieht es hier so aus?“ erwiderte mein Freund: „Ja, gestern haben wir Metz beschossen und heute werden sich die Franzosen möglicherweise dafür revanchiren; wir müssen also jeden Augenblick bereit zum Abmarsch sein.“ Der Hauptmann machte noch seine Nachttoilette, indem er verschiedene Leibbinden sich um Kopf und Hals band, und ermüdet streckten wir Alle uns nunmehr auf das bereitgehaltene Strohlager. Als Decken benützten einige Herren außer unseren Mänteln noch mehrere Damengarderoben, welche sich in den von uns benutzten Zimmern vorfanden. Alle schliefen auch sofort ein, nur ich konnte den so nöthigen Schlaf lange nicht finden, mir gingen die aufregendsten Gedanken durch den Kopf.

Nach und nach duselte auch ich ein, und als ich Morgens zwischen drei und vier Uhr wach wurde, bemerkte mein Freund, daß wir jetzt noch einmal so ruhig unsern Schlaf fortsetzen könnten, denn jetzt würden die Franzosen nichts mehr untermehmen. Doch kaum waren wir fest eingeschlafen, als der Posten uns weckte und meldete, daß nach der Feldwache Nr. 3 zu stark geschossen würde! Seine Meldung wurde durch vielfaches „Paff, Paff!“ unterstützt. Wir sprangen auf und gingen zur Dorfwache, wo gerade die Meldung anlangte, daß die gegenseitigen Patrouillen aufeinander gestoßen seien und etwas heftiger, als sonst, auf sich schössen. Das Geknatter hörte bald auf, wir suchten schleunigst unser Lager wieder, denn es war sehr kalt und nebelig, der Tag dämmerte kaum und es war eine unheimliche Stimmung. Als wir eben wieder lagen, ging das Geknatter nochmals los, jedoch viel näher; dasselbe verstummte aber auch diesmal bald wieder, und als auch keine weitere Meldung kam, schliefen wir, namentlich ich, fest ein, und wurden erst durch die Burschen, welche uns schon einen ausgezeichneten Kaffee bereitet hatten, geweckt. Derselbe schmeckte uns aus den reich verzierten Tassen und Pokalen des Herrn von Montbel vortrefflich. Dies war die erste Nacht, welche ich so nahe, kaum achthundert Schritt, am Feinde verlebte. Die folgende Nacht schlief ich schon weit besser, obwohl wir wieder in derselben Weise gestört wurden, ich hatte mich aber an diese Neckereien des Feindes rasch genug gewöhnt und diese Gewöhnung kam mir später noch in mancher unruhigen Nacht vortrefflich zu statten.

Chr. Sell.




Deutsche Treue im Elsaß.
Von August Becker.

Seit den Pariser Friedensschlüssen, welche Deutschland um den Lohn seiner blutigen Anstrengungen gebracht, erregte bis in die jüngsten Tage herein kein geographischer Name uns Deutschen so schmerzliche Gefühle, als der des schönen Landes zwischen Rhein und Vogesen, welches unsere deutschen Heere siegreich nunmehr wieder zurückerobert haben, und jener der stolzen Stadt, welche einst als der Schlüssel des deutschen Reiches galt und die erst seit wenigen Wochen wieder der Obhut deutscher Tapferkeit zurückgegeben ist. Unvergessen ist es geblieben, daß das Elsaß Deutschlands schönstes Reichsland war, daß Straßburgs Münsterthurm des Reiches Sturmbanner trug, und daß das Volk daselbst auch immer treu und fest zum Reiche gestanden hat.

Schon frühzeitig lag aber die anwachsende Macht des großen Nachbarstaates wie ein Alp auf dem Lande am linken Oberrhein. Zwar im vierzehnten Jahrhundert, während Frankreich unter den englischen Bedrückern litt, wagten sich nur einzelne räuberische Haufen über das Gebirg, um mit blutigen Köpfen wieder zurückgeschickt zu werden. Sobald sich jedoch Frankreich der Engländer entledigt hatte, fing es auch an seine Annexionspläne bis an den Rhein zu erstrecken. Mit jenem heuchlerischen und gewissenlosen Ludwig dem Eilften, dem Frankreich seine Einheit dankt, und den uns Walter Scott im Quentin Durward so treffend schildert, beginnen die französischen Uebergriffe. Schon als Dauphin sprach er seine Gier nach den schönen Rheinlanden unverhohlen aus, da er mit den Banden der Armagnacs, den sogenannten „armen Gecken“, mordend und brennend über die Vogesenpässe herunter in’s reiche Elsaß fiel, um gegen die Schweizer zu marschiren und jene Schlacht von St. Jacob zu schlagen, wo ihn der unterliegende Heldenmuth des helvetischen Volkes zum Rückzuge zwang.

Er selbst sprach es damals in einem noch vorhandenen Manifeste geradezu aus, daß die natürliche Grenze Frankreichs der Rhein sei, und er sei gekommen, das, was im Laufe der Zeiten verloren gegangen, wieder an sich zu bringen. Aber das elsässische Volk, obwohl ganz auf sich selbst angewiesen, erhob sich muthig gegen seine Dränger und trieb sie mit Karst und Flegel über die Vogesen zurück. Der Unmuth des Volkes kehrte sich deshalb in Liedern und Sprüchen vor Allem gegen die damaligen Reichsfürsten, die dem Unrecht nicht gewehrt hatten:

„Das sind die Kurfürsten von dem Rhein,
Die wirken wenig nach Ehren.
Sie lugen durch die Finger gar
Und lassen das römisch Reich untergahn,
Deß sollten sie nun wehren.“

Aber auch dem Dauphin und seinem Vater ruft der elsässische Dichter zu:

„Delphin, was hast Du gedacht,
Daß Du die Mörder her hast ’bracht?
Schäm’ Dich, Du edles Blut!

Bist Du ein König von Frankreich? ..
Du thust einem König gar ungleich! ..
Es steht einem König gar übel an,
Daß er läßt morden Weib und Mann.
Dein Lob hört man nicht mehren.“

Am heftigsten wenden sich jedoch diese „Cantilen von den armen Gecken“ gegen den Kaiser selbst, der die Franzosen gegen die Schweizer zu Hülfe gerufen hatte:

„Bist Du ein König von Oesterreich,
Des römischen Reichs ein Herre?
Du solltest mehren das römisch’ Reich,
Nun willst Du es zerstören.
Du hast die Mörder hergeladen
Allen Städten auf ihren Schaden,
Schäm’ Dich der großen Unehren! ...

Und nun ruft der schneidige Sänger den Städten zu:

„Daran gedenkt ihr Städte gemein,
Die zu dem Reich gehören!
Kommt deß überein,
Wie ihr das Uebel woll’t zerstören.
Ihr sollt ihrer keinen leben lan,
So mag das Land in Frieden stahn!
Ihr könn’t euch wohl noch wehren.“

Doch genug der derben Reime, welche von der Entrüstung und dem vaterländischen Ehrgefühl des elsässischen Volkes vor vierhundert Jahren Zeugniß geben. Aber nach diesen Versen handelte man auch, wie mein demnächst in Leipzig bei Günther erscheinender Roman „Thurmkätherlein“, eine elsässische Geschichte, darthun wird, und deutsche Fäuste, Schwerter und Spieße waren für die Franzosen noch gründlich gefürchtete Dinge. Unter dem gewissenlosen König Ludwig dem Eilften und seinen Nachfolgern blieb man in den Landen am Oberrhein gut deutsch. Die Zusammengehörigkeit mit dem Reiche gebar patriotischen Stolz, und die nämliche Stimmung, welche heute Fürst und Volk erfüllt, war damals schon, vor vierhundert Jahren, auch im Elsasse lebendig. Das Wort Nation wurde damals und später, wie auch Hutten’s patriotische Lieder zeigen, vorzugsweise von dem deutschen Volke gebraucht, und dieses war von einem kriegerischen Stolze erfüllt, von dem man einige Jahrhunderte später keine Ahnung mehr hatte. Erst als die Macht des Reichs mit den Reformationsstreitigkeiten durch innere Kriege lahm gelegt ward,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 786. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_786.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)