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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

zu Elberfeld, sonst widmete ich mich ganz der Literatur. Ich habe in Köln vierunddreißig Stücke geschrieben, dabei einige Opern und einen Roman „Bilder aus dem Schauspielerleben“. Die Musikschule in Köln übertrug mir den Unterricht in Literatur und Declamation. Dies veranlaßte mich, mein Lehrbuch „Der mündliche Vortrag“ auszuarbeiten. Dieses Werk hat mich sechs Jahre lang in Anspruch genommen, es enthält eine Lehre, die fast unbeachtet geblieben ist, die Betonung der Sprache, unabhängig von der grammatischen Satzbildung. So mühsam dieses Werk war, hat es mir doch große Freude gemacht, denn in den Betonungsgesetzen der Sprache liegen die größten, fast unbekannten Feinheiten, welche zu erforschen einen hohen Genuß gewährte.

Von Köln aus machte ich mehrere Reisen nach den Hauptstädten Deutschlands, nach der Schweiz, nach Belgien, London und Paris. Ich habe viel, viel Schönes gesehen – habe aber in keiner Form eine Reisebeschreibung drucken lassen.

Im Jahre 1855 hatte sich in Frankfurt am Main eine Actiengesellschaft gebildet, welche das dortige Stadttheater übernahm. Man bot mir die Leitung desselben an, die ich als Intendant auch drei Jahre führte. Dann legte ich sie nieder, denn ich sehnte mich aus dem Theaterbureau nach meiner stillen Studirstube. Ich ging nach Leipzig. Hier, in einer Universitätsstadt, hatte ich endlich Gelegenheit, mir den Doctortitel zu erwerben, wozu mich der Wunsch veranlaßte, nicht mit einer Lüge in der Welt herumzulaufen, da man mich immer Doctor nannte, ohne daß ich es war. Hier verheirathete ich mich auch zum zweiten Male und gründete mir ein neues Heim.

Da haben Sie die Grundzüge meines äußeren Lebens. Soll ich meinen, damit Ihrer Aufforderung Genüge geleistet zu haben? Ist es mir doch, als müßte ich Ihnen eine Abrechnung meines Lebens geben, eine Rechenschaft. Wenn ich diese Abrechnung mache, so muß ich sagen, daß ich meinem Geschicke zu großem Danke verpflichtet bin. Zwar hat es mir äußeres Glück, was man so Glück gewöhnlich nennt, nur in bescheidenstem Maße gewährt, aber die Fähigkeit, die es mir verliehen, wiegt das vielfach auf. Es ist ein hoher Genuß, ein Dichtwerk hervorzubringen. Man empfängt im Geiste den ersten Gedanken, man lässt ihn in sich wachsen und reifen, die Gestalten, die man zeichnen will, gewinnen mehr und mehr an Lebensfülle, die Fäden des Werkes knüpfen sich immer mehr zu festem Gewebe, bis das Ganze Vollendung gewonnen hat und zum Niederschreiben fertig ist. Wer diesen Genuß nicht kennt, ahnt ihn nicht, und er wäre mir durch nichts zu ersetzen. Und mir ist er oft gewährt worden, denn neben anderen Arbeiten habe ich hundert Stücke geschrieben. Und ich will es Ihnen offen bekennen: in der Arbeit habe ich immer volle Befriedigung gefunden.

Auch ein günstiger Erfolg meiner Arbeiten ist mir zu Theil geworden. Der vierte Theil meiner Stücke hat ungewöhnlichen Beifall gefunden und ist über alle deutschen Bühnen gegangen. Lassen sie mich Ihnen einzelne in’s Gedächtniß zurückrufen. „Das bemooste Haupt“, „Doctor Wespe“, „Weiberfeind“, „Steckbrief“, „Vetter“, „Eigensinn“, „Alter Magister“, „Proceß“, „Hochzeitsreise“, „Eifersüchtigen“, „Liebesbrief“, „Gefängniß“, „Lügen“, „Mathilde“, „Dienstboten“, „Concert“, „Störenfried“, „Doctor Treuwald“, „Zärtliche Verwandte“, „Aschenbrödel“, „Relegirte Studenten“, „Neujahrsnacht“ etc. Ein anderes Viertel meiner Stücke ist ziemlich unbeachtet geblieben, die übrigen haben an vielen Bühnen gefallen, sind aber keine Cassenstücke geworden. Meine Stücke haben auf den ersten Bühnen Deutschlands Eingang gewonnen, die größten Hoftheater haben mehr als dreißig derselben auf dem Repertoire. Ebenso haben die kleinsten Theater bis zu den Privattheatern sich von meinen Stücken genährt. Auch über die Grenzen Deutschlands haben meine Arbeiten ihren Weg gefunden. Ich besitze Uebersetzungen in englischer, französischer, vlämischer, holländischer, dänischer, schwedischer, russischer, finnischer, polnischer, czechischer, magyarischer, rumänischer, serbischer Sprache. Sie sehen: dieser Erfolg hat mir nicht gefehlt.

Da ich nun einmal im Beichten bin, so lassen sie mich auch über die Grundsätze Rechenschaft geben, die mich geleitet haben. Jeder Künstler hat eine gewisse Eigenthümlichkeit, die er nicht verleugnen kann, und an der er immer zu erkennen ist.

Wie in der Malerei sich scharf das historische Bild von dem Genrebilde scheidet, so scheint es mir auch in der Dichtkunst zu sein. Wenn die Dichtkunst historische Bilder behandelt, so müssen dieselben in einer gewissen Vergangenheit stehen, in der wir alles aus der Ferne ansehen, in der namentlich die kleinen Züge schwinden. Die Genrebilder dagegen müssen Lebenswahrheit bringen und damit namentlich das Ausmalen in die kleinen Züge. Sie müssen in der Gegenwart wurzeln, in der das volle Leben des Volkes pulsirt. Für jene ist das politische Leben, für diese das Kleinleben in Familie und Gesellschaft Gegenstand. Ich bin immer nur Genremaler gewesen. Auch scheint es mir ein, allerdings sehr verbreiteter, Irrthum zu sein, daß das Lustspiel die Aufgabe habe die Thorheiten der Zeit zu geißeln. Das ist immer Sache der Satire, diese aber gehört nur sehr bedingt in die Poesie. Die Satire kann daher ein Mittel für das Lustspiel sein, nicht aber dessen Zweck, dessen Hauptzweck. Irgend einen sittlichen, socialen Gedanken, eine Lebenswahrheit soll ein Stück haben, aber er muß nicht immer geradezu satirisch sein. Einen solchen Gedanken werden Sie aber in allen meinen Stücken finden.

Wer über die Menschen lachen will, muß sie lieben. Darum habe ich nie Menschen gezeichnet, die man verlachen kann; man darf über ihre Schwächen und Thorheiten lächeln, es dürfen ihnen aber die Züge nicht fehlen, die sie liebenswerth machen. Es ist ein feiner Unterschied zwischen lächerlich und komisch. Ueber ersteres lacht man auch, aber es gehört nicht in die Kunst. Darum habe ich meine komischen Wirkungen nie in Carricaturen, in sogenannten komischen Rollen oder in bitterem Wortwitze gesucht, sondern in den Verwicklungen, die aus den Eigenthümlichkeiten der Charaktere hervorgehen. Man hat dies Situationskomik genannt, ich nehme gern diesen Namen an.

Meine Stücke nehmen ihre Stoffe meistens aus dem Bürgerthum, weil mir in diesem der Kern unseres Volkes zu ruhen scheint. Die vielgeschilderte geistreiche Salonwelt, uniformirt in Frack und Glacéhandschuhen, existirt wenig und ist ebenso eine Fiction, wie auf der andern Seite die gemüthliche Biederkeit der Bauern in der Idylle. Im Bürgerthum wurzelt der Fortschritt, der Fortschritt der ganzen Menschheit in Einsicht und Sittlichkeit, und darum, glaube ich, sei im Bürgerthume der Volksgeist am klarsten ausgesprochen. Dabei meine ich nicht eine besondere Classe des Volkes aufzustellen, denn zum Bürgerthum sind Alle zu rechnen, weß Standes sie seien, welche im Schaffen und Arbeiten ihre Aufgaben erkennen. Und ich habe nur aus dem deutschen Bürgerthume meine Stoffe genommen, weil der Dichter national sein soll, und weil das deutsche Volk etwas besitzt, was anderen Völkern bis auf den Namen abgeht – Gemüth. Ich habe die Saiten desselben oft neben den komischsten Verwickelungen angeschlagen und gern auch eine Thräne der Rührung hervorgerufen.

Der Gedanke ist mir ein erhebender, daß die Menschheit aus den rohesten Anfängen durch viele Jahrtausende hindurch sich zu immer höherer Stufe entwickelt, daß ein Geschlecht dem andern die Erbschaft der Weiterentwickelung abgenommen hat, und weil ich an den ewigen Fortschritt glaube, habe ich meinen Stücken stets eine sittliche Grundlage gegeben. Ich habe jede Frivolität gemieden und bilde mir zuweilen ein, durch meine Werke dem Eindringen und der Ueberwucherung ausländischer Frivolität mit gewehrt zu haben. Ist diese Einbíldung eine trügliche, so hat mich meine Eigenliebe getäuscht.

Ferner habe ich an dem Grundsatze festgehalten, nur durch die größte Einfachheit zu wirken. Alle Bühnenmittel, welche nur die Schaulust anregen, Pomp in Decorationen und Costumen, Wirkung durch Glanz und Feste etc. habe ich niemals angewandt. – Auch habe ich niemals übersetzt oder fremde Stoffe benutzt.

Schließlich erlauben Sie mir ein Wort über meine Stellung. Ich stehe allein, ohne alle literarischen Verbindungen und habe so mein Leben lang gestanden. Die Schuld davon mag an mir liegen. In meiner Natur ist, wenn nicht geradezu Schüchternheit, doch das Gegentheil von Dreistigkeit. Ein Phrenolog fand in meiner Schädelbildung Mangel an Selbstbewußtsein. So habe ich es nie verstanden mich geltend zu machen, mich vorzudrängen, meinen Vortheil zu wahren.

Aber ich fühle, daß es Zeit ist, zum Ende zu kommen. Wenn Ihre Leser mein so gelungenes Bild ansehen, werden sie in dessen ernsten Zügen wohl kaum das Wesen eines Lustspieldichters erkennen. Doch nur mein Streben ist ein ernstes gewesen, meine Beurtheilung der Menschen war immer eine milde und versöhnliche, meine Lebensanschauung eine heitere.

 Mit bestem Gruße Ihr

Roderich Benedix. 



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_006.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)