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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Eine Taufe im Urwalde. Nach Jahr und Tag einer glücklichen Ehe ward in Washington unser erstes Kind geboren. Die üblichen Debatten über den Namen des kleinen Weltbürgers waren überflüssig, denn in der sicheren Voraussetzung, daß es ein Knabe sein würde, hatte er schon lange vor der Geburt den Namen Titus erhalten, zur Erinnerung an den Verfasser eines „hohen Liedes“. Unsere Freunde gratulirten und erwarteten bald die Einladung zu einer grandiosen Taufe, besonders da wir keine Gelegenheit vorübergehen ließen, ein Familienfest nach guter deutscher Sitte mit einer Bowle zu feiern. In diesem Falle aber wurden sie doch getäuscht. Eine Taufe, wie sie in Deutschland üblich ist, wäre mit unseren Ansichten nicht vereinbar gewesen; trotzdem aber durfte doch ein so wichtiges Ereignis wie die Geburt unseres Titus unmöglich mit Stillschweigen übergangen werden. Wie konnte er gedeihen, wenn nicht auf sein Wohl ein Glas geleert wurde? Wie sollte er sich geistig entwickeln, wenn er nicht durch eine gedankenschwere Rede mit dem Zwecke des Daseins bekannt gemacht ward? Ein Taufact sollte also doch stattfinden. Der Täufling war auch vorhanden; aber der rechte Johannes Baptista fehlte, und wir mußten deshalb in Geduld warten, bis der Zufall uns einmal einen solchen entgegenführen würde. So wuchs der kleine Republikaner nun ungetauft heran, war groß und dick und unternahm in meiner Obhut seine erste Reise, über Newyork nach Pennsylvanien, wo wir während der große Hitze übersommern wollten. Das Ziel war Bowers Station, ein kleiner Flecken an der Bahn zwischen Allentown und Reading. Wir hatten diesen Platz gewählt, weil ein Freund meines Mannes, Herr R.)[1], der als Gesandter der Vereinigten Staaten eben von Central-Amerika zurückgekehrt war, gleichfalls dort mit seiner Familie die heiße Jahreszeit zubringen wollte. Der Ort selbst, nur aus etwa einem Dutzend Häusern bestehend, bot uns nichts dar als gesunde Luft, einen klaren Bach zum Baden, prächtigen Wald in nächster Nähe mit der Fernsicht auf die blauen Alleghanies und gewährte somit die große Annehmlichkeit, sich überall natürlich gehen lassen zu können, ohne der Convenienz das geringste Opfer bringen zu müssen. Hinsichtlich des „Vergnügens“ waren wir freilich vollständig auf uns selbst angewiesen. Unsere Gesellschaft bestand aus einigen zwanzig Personen, sämmtlich gebildete Deutsche. Froh, der Hitze in den Städten entronnen zu sein, befanden sich Alle in der besten Stimmung; Ueberschuß an Humor war vorhanden, und so wurde schnell für Unterhaltungen gesorgt, die zuerst in Musik und kleinen Aufführungen bestanden. Doch bald begann die dramatische Kunst zu blühen, und uns gebührt der Ruhm, das deutsche Lustspiel in die pennsylvanische Wildniß verpflanzt zu haben, indem wir der erstaunten Bevölkerung unter großem Jubel kleine Stücke zum Besten gaben.

Ich bemerkte oben, daß es bis dahin an einem Täufer nach unserm Sinne gefehlt hatte. Als ich aber Herrn R. näher kennen gelernt, flößte mir sein trefflicher Charakter, sein liebenswürdiges Wesen verbundenen mit radicaler Gesinnung, eine solche Hochachtung ein, daß ich eines Tages die Bitte an ihn richtete, meinen lieben Kinde die Weihe eines freien Mannes zu geben, und er war mit Freuden dazu bereit. Als Gesandter hatte er in Costa Rica nicht lange zuvor seine eigene Tochter getraut.

Der nächste Sonntag wurde zu dem Tauffeste bestimmt, welches Nachmittags in dem nahen Gehölze stattfinden sollte. Es schien, als hätte der Wald an jenem Tage sein Feierkleid angelegt. Schweigend bereiteten die alten Eichen ihre knorrigen Arme über uns, ein dichtes Laubdach bildend, durch das nur hie und da ein glänzender Sonnenstrahl schlüpfte, um goldene Arabesken in den weichen Rasenteppich zu weben. Um zwei Uhr zogen wir hinaus. Alle waren festlich geschmückt. Clara R., die Pathin, und zwei kleinere Ehrenjungfrauen mit Eichenlaub bekränzt, eröffneten den Zug; dann folgte ich mit dem zehn Monate alten Täufling, der schon ganz verständig in die Welt hineinschaute und sich über den schönen Kranz von Hopfenblüthen, der das blonde Köpfchen krönte, so freute, daß ich schon fürchtete, sein Jubel würde die Feierlichkeit stören. Nach uns kam Herr R. mit sämmtlichen Sommergästen und einigen Auserwählten der eingeborenen Bevölkerung. Im Walde war schon am frühen Morgen ein passender Ort mit Laubguirlanden, Bänken und Stühlen zum Festplatz eingerichtet worden. In der Mitte stand ein Katheder, dessen sich die Methodisten, die dort kurz zuvor ein camp meeting gehalten, als Kanzel bedient hatten. Vor demselben befand sich der Sessel für Täufling und Pathin. Zur Seite des Platzes loderte ein mächtiges Feuer und drei von Rauch umhüllte weibliche Gestalten rührten emsig in einem großen Kessel; gegenüber dieser Gruppe waren Andere beschäftigt im Waldesgrün eine Bowle zu brauen. Nachdem sich die Damen im Halbrund niedergesetzt, schlossen die Uebrigen den Kreis und auf ein gegebenes Zeichen begann der Chor das Lied: „Wer hat Dich, Du schöner Wald etc.“ und mit den deutschen Tönen unter alten Eichen trat die liebe Heimath vor unsere Seelen, wir vergaßen, daß wir einem fernen Welttheile angehörten, wir fühlten uns „Deutsche“ auf „freiem Boden“. Als der Gesang verstummte, bestieg Herr R. die Kanzel und begann an den Täufling die Anrede, deren Sinn ich kurz wiederzugeben versuche:

„Heil Dir, Du deutsches Kind! denn Dir ist es vergönnt, von zwei Welttheilen ein Erbtheil zu empfangen – von Deiner geistigen Heimath die Schätze der Gedankenwelt, von Deiner leiblichen das stolze Bewußtsein der Freiheit! Dir ist damit ein großes Vorrecht geworden – lerne auch die Pflichten begreifen, die Du dagegen einst zu erfüllen hast. Vorurtheilsfrei wirst Du erzogen werden, auf daß Du einst Vorurtheile ausrotten mögest, wo immer sie wuchern; in die Natur wird man Dich führen, damit die Erkenntnis ihrer Gesetze Dich vor Aberglauben bewahre; die Gebilde der Kunst wird man Dir zeigen, auf daß Du die Schönheit begreifest und selbst strebest Schönes zu schaffen. Du sollst lernen die Lüge hassen, um einst für die Wahrheit zu streiten – und Dich selbst streng zu richten, um der Gerechtigkeit willen. Der edle Stolz leuchte auf Deiner Stirn und in Deiner Brust glühe die Menschenliebe! So taufe ich Dich denn im Namen der Freiheit, der Wahrheit, der Gerechtigkeit, und weihe Dich zu einem Zukunftshelden, der für diese heilige Dreieinigkeit kämpfen und siegen möge! Sei mit dem Namen Titus in den Bund der freien Menschheit aufgenommen und suche diesem Bunde Ehre zu machen, damit ein späterer Tacitus auch von Dir einst sagen möge – wie vom römischen Titus –: amor et deliciae generis humani!

So schloß die Rede, und in den Häuptern der Eichen rauschte gewaltig ein feierliches „Amen“!

Und wieder hub der Chor ein Lied an, das auf mich einen überwältigenden Eindruck machte, weil mein verstorbener Großvater dasselbe einst in froher Stunde gedichtet: „Vom hoh’n Olymp herab ward uns die Freude“ etc. mit dem Refrain: „Feierlich schallet der Jubelgesang fröhlicher Brüder beim Becherklang!“ – Da aber brach ich in Thränen aus und mir war, als schwebte der Geist des Urgroßvaters um das Kind – seinem ersten Urenkel! – So schloß die seltsame Taufe. – Der Kessel spendete nun seinen braunen Inhalt: Chocolade; die Bowle wurde geleert und fröhliche Toaste auf das Kind schlossen sich an, auf die deutschen Brüder, das Gedeihen deutscher Sitten auf amerikanischem Boden.

Ich aber zog mich zurück und wiegte mich mit stolzen Plänen und Hoffnungen für des Kindes Zukunft. Ob sie erfüllt werden? Ja! denn es taucht auch hier über dem Ocean eine Morgenröthe auf, die den Tag verkündet, an welchem Deutschlands Söhne die Früchte der Arbeit, der Wissenschaften, der Künste im Sonnenlichte der Freiheit ernten werden! –

Eine deutsche Frau.

Ein stilles Hauptquartier kann, in gewissen Beziehungen wenigstens, das des Kronprinzen Albert von Sachsen in Margency genannt werden. Zwar fehlen auch hier die Ordonnanzen nicht, welche Tag und Nacht mit Meldungen kommen, mit Ordres gehen; ringsherum macht sich das geräuschvolle Treiben geltend, dem das Hauptquartier einer jeden Armee zum Mittelpunkte dienen muß, und zu jeder Stunde mag man hier, wie den Herzschlag eines Organismus, die ruhelose, nie pausirende Thätigkeit zu beobachten, welche einen ganzen großen Körper belebt, beherrscht und jedem einzelnen Gliede seine Functionen anweist. Aber in Margency fehlt der Glanz von Versailles, wo der Oberfeldherr der deutschen Armee wohnt, wo die Minister zu finden sind, wo sich die Militärbevollmächtigten fremder Staaten, wo sich die Gesandten aufhalten, und wohin alle die anderen hochgeborenen „Amateurs“ folgen, deren Anwesenheit und buntes Treiben dem ausgedehnte Gastfreundschaft übenden Hauptquartiere ein immer wechselndes Bild verleihen. Anders ist es, wie gesagt, in Margency, einem auf der Nordseite von Paris gelegenen Städtchen. Hier wohnt der Kronprinz von Sachsen, allein umgeben von den Officieren seines Generalstabes, mit denen er tagüber arbeitet, mit denen er sich in die Erfüllung angestrengter Pflichten theilt, und die auch seine einzige Tischgesellschaft bilden.

Jeden Morgen verläßt er seine nahe bei Margency, in waldiger Umgebung gelegene Villa, um, nur begleitet von einzelnen Officieren und Cavalieren und gefolgt von einer Escorte Garde-Kürassieren, einen ausgedehnten Spazierritt zu machen, mit welchem in der Regel irgend ein militärisches Interesse, wie die Recognition nach den Forts hin oder dergleichen, verbunden ist. Unser Feldmaler F. W. Heine hat einen solchen Moment zur Darstellung des Hauptquartiers der IV. Armee gewählt; im Gefolge des Kronprinzen befinden sich der Johanniterofficier Prinz Reuß, der dem Ersteren zur Linken reitet, der Fürst von Schönburg, der Generalmaior v. Schlottheim und die beiden Majore v. Schweinsel und Freiherr v. Welck. Die längs des Weges vor dem vorüberreitenden Kronprinzen Front machenden Officiere sind die Hauptleute v. Wurmb und Edler v. d. Planitz, der Major Schurig und der Secondelieutenant Graf Arnim. Den Dienst in der unmittelbaren Umgebung des Kronprinzen versah an jenem Tage, an dem die Skizze aufgenommen wurde, das Füsilierbataillon vom Regiment Nr. 93 (Anhaltiner).


„Der Arzt der Seele“. Wir haben diesen vortrefflichen Roman unsrer geehrten Mitarbeiterin, Frau Wilhelmine von Hillern, jetzt gerade vor einem Jahre in ausführlicher und auszeichnender Weise besprochen und stellen uns, an dieser Stelle mitheilen zu können, daß das genannte Buch unter dem Titel: „Only a girl“ seinen Weg nunmehr auch nach Amerika mit solchem Glücke gefunden hat, daß es dortselbst unlängst in fünfter Auflage erschienen ist. Wir zweifeln nicht, daß unsere damalige Aufforderung viele unserer Leser veranlaßt hat, nach dem geistvollen Buche zu greifen, und daß es sie darum interessiren wird, auch eine Stimme aus der amerikanischen Presse über „den Arzt der Seele“ zu vernehmen; der „Pittsburg Dispatch“ sagt: „Dies ist ein prächtiges Buch, vorzüglich geschrieben und Niemand, der es liest, wird es weglegen, ohne von dem hohen Talent der begabten Verfasserin einen mächtigen Eindruck empfangen zu haben. Als ein Werk voll Phantasie kann es nach Styl und Stoff den besten Werken unserer tüchtigsten Schriftsteller füglich gleichgestellt werden, während es in der Reinheit seines Tones und in der gesunden Moral, die es lehrt, den meisten Werken, die uns in dieser Art seit Jahren zur Kenntniß gekommen sind, ebenbürtig, wenn nicht überlegen ist.“ Uebrigens ist auch von dem jüngst in unserm Blatte zum Abschluß gekommenen Roman Aus eigener Kraft bereits eine englische und holländische Uebersetzung in Vorbereitung, während eine der ersten amerikanischen Behandlungen eine Gesammtausgabe der Werke der Frau von Hillern in englischer Sprache in Aussicht genommen hat.


Berichtigung. Der Schreiber des Briefes aus Villiers in Nr. 1 unseres Blattes, Rudolf Krauße, ist nicht Unterofficier, wie wir aus Versehen angaben, sondern Einjährig-Freiwilliger.


Kleiner Briefkasten.

X. in Dresden. Bereits früher haben wir in der Gartenlaube erklärt, daß die Quittung über eingegangene Schmucksachen später erfolgen werde – wir müssen also auch Sie um Geduld ersuchen. Die Tuchnadel ist eingegangen.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
  1. doch wohl unser alter Mitarbeiter Herr Riotte?
    Die Redaktion.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_036.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2021)