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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


in meinen Traum sich eine ängstliche Sorge zu mischen: Adolph reiste viel, und wenn er heimkehrte, entging mir jedesmal eine gewisse Spannung nicht, welche zwischen ihm und seinen Eltern herrschte, bei denen ich längere Zeit zum Besuche war. Ich fand ihn selbst dann verstimmt, kleinmüthig, geneigt zu einer Selbstironie und Selbstverachtung, die mich in ihm, in dem ich nur Stärke und Selbstbewußtsein erblicken und verehren wollte, jedesmal ganz unglücklich machten und empörten. Mein Vater hatte die Zeit unserer Verbindung, die schon festgesetzt war, aus Gründen, welche mir mehr Vorwände, als wirkliche Gründe schienen, hinausgeschoben; kurze Zeit nachher wurde uns mein Vater durch den Tod nach kurzer Krankheit entrissen. Nachdem ich ihn verloren, mußte sich mein Gemüth desto weicher und inniger an meinen Verlobten schließen … aber ach, dieser kam erst nach Wochen, kam in einer seltsamen Verfassung – es war, als habe er eine Krankheit überstanden; er war bleich, matt, schweigsam, energielos in Allem, was er that und sagte; es war, als habe ihn aller Jugendschwung, aller Lebensmuth verlassen. Ich litt darunter, ich verlangte eine Aufklärung von ihm, von meiner Mutter – umsonst! Er kehrte zu den Seinigen heim, und ich quälte mich vergeblich, zu ergründen, was mit ihm geschehen. Da kam mir Etienne, mein Vetter, zu Hülfe. Er sagte mir eines Tages, als ich ihm meine Unruhe klagte, weil ich seit Wochen keinen Brief von Adolph erhalten:

‚Es wäre am besten, wenn Du nie wieder einen Brief von ihm erhieltest. In der That, Du bist Dir selbst schuldig, mit diesem Menschen zu brechen, und es ist nicht recht von Deiner Mutter, daß sie nicht längst den ersten Schritt dazu gethan. Die Hoffnung, daß er sich bessern werde, ist so thöricht, so kindisch …‘

‚Sich bessern werde? Wovon, von welchen Fehlern?‘

‚Von seinen Leidenschaften, deren jämmerlicher verachtungswürdiger Sclave er ist. Er ist ein Trunkenbold, ein Spieler und weiß Gott was Alles. Er hat tausendmal seinen Eltern die besten Versicherungen gegeben, sich selbst, wie ich nicht zweifle, die heiligsten Schwüre abgelegt, der Versuchung nicht wieder zu unterliegen. Aber so oft ihm sein Vater getraut und ihn aus seiner Aufsicht entlassen hat, ebenso oft ist er zurückgekehrt in der elendesten Verfassung von Paris, von Lyon, von Frankfurt, aus den deutschen Bädern – er hatte Unsummen verzecht, verspielt, im Saus und Braus weniger Tage verbraucht, und was heimkehrte, war – ein erbärmlicher armer Sünder!‘

Das war der Kern dessen, was Etienne mir enthüllte. Was bei allem Dem in mir vorging, brauche ich Ihnen nicht zu schildern, Sie werden selbst sich sagen können, wie es mich bei all’ der redlichen und heiligen Herzensstimmung traf, mit der ich mein Leben diesem Menschen hatte opfern wollen, und wie tief es mich jetzt schmerzte und innerlich vernichtete, seitdem ich meinen Vater verloren und auf den Blick in die Zukunft an der Seite Adolph’s alles Leben meiner Seele so zu sagen concentrirt hatte!“

„Und was thaten Sie?“ unterbrach ich sie voll Spannung.

„Ich schrieb seinem Vater, um mein Verhältniß zu lösen; sein Vater war ehrenhaft genug, um mit einer gewissen resignirten Würde mein Recht zu diesem Schritte gelten zu lassen. Adolph blieb stumm während dieser Verhandlung, und ich habe ihn nicht wiedergesehen!“

Die kurze Erzählung hatte mich tief bewegt; ich fand jedoch kein Wort, dies auszudrücken und sah sie schweigend an. Dann sagte ich: „Dieser Adolph war ein Deutscher?“

„Ja, sein Vater war aus dem Lande drüben, aus Baden; er besaß Etablissements im Elsaß und wohnt in Frankreich.“

„Und nach diesem einzigen Beispiel eines halbdeutschen jungen Mannes beurtheilen Sie nun die Deutschen und die Männer sammt und sonders?“

„Nein, ich bin nicht so thöricht. Aber ich habe durch diese Lebenserfahrung zu beobachten und zu sehen gelernt. Ich habe gelernt, Dinge zu sehen, für die ich früher blind war, und es zu meinem Glücke war; und zu diesen Dingen gehört eine bedauernswerth schwache Widerstandskraft aller Männer gegen ihre Neigungen, gegen die leichteste Versuchung, die an sie herantritt, eine, ich möchte behaupten, völlige Ohnmacht gegen ihre Leidenschaften!“

„Wenn ich bei einer Sache, welche Sie mit solchem Ernst erfüllt, scherzen könnte,“ sagte ich, „so würde ich sagen: um Sie mit uns Männern zu versöhnen, müßte man also damit beginnen, seine Leidenschaft für Sie zu bezwingen und Ihnen zu entsagen. Würden Sie das für einen Kraftbeweis nehmen, der uns in Ihren Augen rehabilitire?“

„Lassen wir diese Debatte fallen,“ versetzte sie, „ich habe Ihnen das Alles nur gesagt, weil ich nicht wollte, daß Sie mich für thöricht hielten. Lassen Sie mich zu etwas Anderem übergehen, das mir schwer auf dem Herzen liegt.“

„Und das ist?“

„Sie sind in jenem Weiler überfallen worden, es sind Schüsse auf Sie gefallen, Sie sind dadurch verwundet … Ihr Kriegsbrauch ist in solchen Fällen so barbarisch; Sie legen schwere Contributionen auf die feindlichen Orte; die Häuser, aus denen geschossen wurde, werden niedergebrannt …“

„Ah – und Sie fürchten, ich würde jenen Weiler so bestrafen lassen?“

„Wie sollt’ ich es nicht?!“

„Ist es nicht meine Pflicht, die Sache zur Anzeige zu bringen? Und wenn ich im Eifer, nur Ihren Wunsch, der Schonung jener Menschen von mir verlangt, zu erfüllen, diese Pflicht verletzte – würden Sie mich nicht wieder mit demselben Blick der Verachtung ansehen, der mir gestern Abend von Ihnen zu Theil wurde, weil ich mich so leicht von meinem Posten fern zu halten schien?“

„Sie sind grausam,“ antwortete sie lächelnd. „Nein, ich würde nur denken, Sie hätten über die Dienstpflicht eine höhere Pflicht, die der Menschlichkeit gestellt!“

„Und Sie würden mich gütig, sehr gütig ansehen, Blanche, trotz dieser Auswechslung der einen rauhen und sehr grimmig aussehenden schnurrbärtigen Pflicht gegen die andere, die so viel liebenswürdiger aussieht, mit ihren schönen Augen mich anblickt und mir Glück verheißt?“

„Gewiß würde ich es,“ antwortete sie mit unnachahmlicher Anmuth bittend die Hände zusammenlegend.

„Sie werden sich selber untreu,“ sagte ich, „indem Sie mir einen Lohn in Aussicht stellen für etwas, das Ihnen doch ein neuer Beweis für Ihre Theorie über Männerschwäche wäre.“

„O, Sie wollen so abscheulich grausam, so barbarisch sein …“

„Nichts von dem will ich sein – beruhigen Sie sich; Ihr Weiler bleibt ungehärmt. Ich bin nicht im Dienst dort gewesen, nicht von meinen Obern hingesandt, nicht als Soldat, nur als Ihr Gast. Wie Sie das Dorf für die Behandlung, die es Ihren Gästen zu Theil werden läßt, strafen wollen, bleibt Ihre Sache!“

„Ah,“ sagte sie aufathmend und mir in lebhafter Bewegung die Hand reichend, „Sie sind gut!“

„Wenn Sie das glauben, weshalb vertrauen Sie mir dann nicht ganz?“

„Thu’ ich das nicht? Sie flößen mir jedes Vertrauen ein.“

„Wie würde mich das erfreuen, wenn es wahr wäre!“

„Was beweist Ihnen, daß es nicht so ist?“

„Sie haben mich geflissentlich in Colomier über Nacht halten wollen. Wozu? Was sollte geschehen in dieser Nacht, wenn ich nicht heimgekehrt wäre?“

Blanche veränderte plötzlich ihre Farbe; es war ein scheuer Blick der Verlegenheit, den sie auf mich warf; dann aber sah sie mich fest und offen an und sagte: „Ich kann nicht unwahr sein und es würde mir am Ende nicht nützen, wenn ich leugnete. Sie würden mir nicht glauben. Nun wohl denn, es ist so!“

„Und was bezweckten Sie durch diese kleine List, in der für mich so viel Demüthigendes liegt? Ich war froh über Ihre Güte, über diesen Beweis von Freundschaft, mich zu Ihrem romantischen Besitzthum zu führen, über das Glück, so lange in Ihrer Nähe sein zu dürfen; wie tief es mich kränkte, die Entdeckung machen zu müssen, daß Sie einen besondern und geheimen Beweggrund dabei hatten, will ich Ihnen nicht schildern.“

Sie sah zu Boden und legte die Hände in den Schooß.

„Ich that es nicht gern!“ sagte sie mit einem Tone, der tief aus ihrer Seele zu kommen schien, wie überhaupt Alles, was sie sagte, heute einen so ganz andern Ton hatte, als gestern; gestern war etwas Feindseliges, Spöttisches in ihrem Tone, wenigstens bis zu unserer Wanderung auf die Burgruine – sie schien über das Bewußtsein, daß in mir ein Feind ihr gegenüberstehe, nicht fortzukommen und wie mit sich selbst im Hader zu sein, daß sie diesen Feind anhöre, und ihn mit anscheinender Güte anhöre; heute dagegen war sie, wohl durch das Ereigniß der Nacht umgewandelt, in einer eigenthümlichen Weise milde und ernst, als ob eine Bewegung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_075.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)