Seite:Die Gartenlaube (1871) 090.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


im Schloß, die Thür öffnete sich, und ich stand in dem geheimnißvollen Zimmer.

Es war ein mittelgroßer Raum; links das vergitterte Fenster – jetzt weit geöffnet; rechts an der Wand erhoben sich Repositorien mit Papieren, Handlungsbüchern, Acten gefüllt; im Hintergrunde, mir gegenüber, ein großer Schreibtisch. Ueber das Alles glitt nur mein Auge, um in den zweiten anstoßenden Raum zu dringen, der rechts sich öffnete; denn hier rechts war die Wand nur halb so weit wie die Wand links, worin sich das Fenster befand, vorgezogen; dann sprang sie im rechten Winkel ein; um es deutlicher zu machen, das ganze Zimmer war in seiner hintern Hälfte doppelt so breit wie in seiner vordern. In diesem hintern zurückliegenden Raume sah ich zwei eiserne Geldschränke an den Wänden; zwischen ihnen, auf dem Boden eine Anzahl von vielleicht einem Dutzend oder mehr kleiner neuer Fässer; und mitten dazwischen stand Fräulein Blanche, einen Leuchter in der Hand und mich anstarrend, als ob sie ein Gespenst sähe! Ein anderes brennendes Licht stand oben auf einem der eisernen Schränke.

„Fräulein Blanche!“ rief ich überrascht aus – „mein Gott, Sie … und was beginnen Sie hier?“

Sie schien in einer Weise über mein plötzliches Auftauchen vor ihr erschrocken, daß sie keine Worte fand, daß das Licht in ihrer Hand schwankte, als ob sie es fallen lassen wolle.

Ich trat zurück und legte meinen Revolver auf den Schreibtisch; dann mich wieder zu ihr wendend, rief ich:

„Sprechen Sie, Blanche, was bedeutet dies, bei welchem Werke finde ich Sie hier …?“

Ich sah, daß ihr Busen wogte, als ob das Herz ihn sprengen wolle … noch starrte sie mich mit demselben entsetzten Blicke an, blaß wie eine Leiche, aber kein Wort rang sich von ihrer Lippe los.

Ich trat einen Schritt näher – jetzt plötzlich erhob sie den Fuß und trat auf eines der aufrecht stehenden kleinen Fässer – ich sah nur noch, daß der Deckel davon gesprengt war; im nächsten Augenblick hatte sie den obern Theil desselben mit dem Saum ihres Kleides bedeckt.

„Nicht näher,“ schrie sie dabei mit einem Angstschrei auf – „keinen Schritt näher, oder Sie, wir Alle sind Kinder des Todes …“

„Weshalb … wodurch?“ rief ich stehenbleibend aus … „Blanche, ich muß wissen, was Sie hier thun, weshalb mein Erscheinen Sie zu Tode erschreckt, was in diesen Fässern ist …“

„Gehen Sie zurück, und Sie sollen es wissen, sollen Alles wissen,“ hauchte sie mühsam hervor … „nur zurück, bis an den Schreibtisch dort.“

„Wohl, so sprechen Sie,“ sagte ich, ein Paar Schritte zurücktretend.

„Sie wollen wissen, was in diesen Fässern ist? Es ist Pulver darin. Die Franctireurs, welche neulich von Ihnen verfolgt wurden, waren beauftragt, diesen Vorrath den Mobilgarden des Doubs zu bringen, denen es daran fehlt und die mit Schmerzen darauf harren. In der Angst, von Ihnen aufgehoben zu werden, flüchteten die Leute ihren Transport auf unsern Hof. Wir hatten eben die Zeit, die Fässer in diesen Raum zu bergen, den nächsten besten, der sich bot. Da kamen Sie mit Ihrer Truppe und zu unserm größern Erschrecken nahmen Sie diese Zimmer in Besitz; umsonst suchten wir Sie daraus zu entfernen, und doch verlangt das Bataillon stürmisch, in den Besitz seiner Munition zu kommen …“

„Ah,“ sagte ich, „das also ist das ganze Geheimniß; und Sie, Blanche, sind damit beschäftigt, jetzt dies Pulver zum Fenster hier hinauszulassen, während draußen Leute stehen, die es in Empfang nehmen? Sie glaubten, weil ich müde und verwundet, und Friedrich – wo bleibt er? – einen so festen Murmelthierschlaf hat, wäre die richtige Nacht dazu gekommen; Armes Fräulein Blanche … es thut mir unendlich leid, daß ich diese Berechnung zerstört habe, weil ich nicht schlief, sondern wachte, und daß die Mobilgarde des Doubs noch immer ihr Pulver nicht erhalten wird und sich nach einer andern Bezugsquelle umsehen muß; denn dies hier bin ich nun einmal gezwungen, als Eigenthum der französischen Regierung in Beschlag zu nehmen. Lassen Sie mich es sehen!“

Zusammenfahrend, mit einer heftigen Bewegung streckte sie den Arm vor.

„Keinen Schritt näher,“ sagte sie … „ich habe den Leuten, die es mir anvertrauten, mit meinem Worte dafür gebürgt; ich lasse dies Eigenthum meines Vaterlandes nicht in die Hände seiner Feinde fallen! Gehen Sie, vergessen Sie, was Sie gesehen, lassen Sie mich ungestört ausführen, was ich im Begriff war zu thun!“

„Aber Blanche,“ sagte ich mit bittendem Tone, „Sie können das nicht von mir verlangen … Sie wissen, daß es meine Pflicht ist –“

„Ach … Ihre Pflicht. Ihre Leute haben Munition genug … für uns handelt es sich um mehr als das … wenn das Bataillon keine Cartouchen zu seinen Waffen erhält, so wird es unwillig sich zerstreuen … deshalb gehen Sie, gehen Sie – ich flehe Sie darum an – ich bitte Sie darum – ich beschwöre Sie bei Allem, was Sie mir gesagt, ich fordere es als einen Beweis jener Leidenschaft, die Sie mir gestanden und deren Sprache ich angehört habe …“

„Blanche, es ist unmöglich, was Sie verlangen! Sie selber fordern von einem Manne die Stärke, seine Pflicht über seine Leidenschaft zu setzen. Nein, nein,“ rief ich nähertretend, „Sie können unmöglich mir darum zürnen, wenn …“

„Nun, wenn Sie denn unerbittlich sind,“ rief sie in einer ganz unbeschreiblichen Bewegung, mit einer barschen Stimme wie von Verzweiflung und Muth – so komme das Verderben über Sie und über mich und über uns Alle …“

Sie zog den Fuß von dem geöffneten Fasse zurück und senkte das Licht.

„Wenn Sie nicht im Augenblick gehen,“ rief sie dabei, „so entzünde ich das Pulver und wir fliegen sammt Allem im Hause in die Luft!“

Sie hielt das flackernde Licht dicht über der Oeffnung der kleinen Tonne.

„Was Sie meiner Liebe für Sie nicht abringen, werden mir Todesdrohungen auch nicht abringen,“ sagte ich ruhig, die Arme über der Brust verschlingend und sie fest ansehend. „Im Pulverdampf für seine Pflicht zu sterben, ist Soldatenloos. Werfen Sie das Licht in das Pulver, Blanche, wir sterben dann zusammen!“

Sie zitterte plötzlich so, daß es dieser Aufforderung gar nicht bedurfte; im nächsten Augenblick hätte sie das Licht ohnehin müssen fallen lassen … rasch trat ich näher und nahm ihr den Leuchter aus der Hand.

„Uebrigens, Fräulein Blanche,“ fuhr ich dabei fort, „täuschen Sie mich; in diesen Fässern ist gar kein Pulver, mit dem Sie uns Beide mitsammt Ihrer armen Mutter und Ihrem schönen Chateau-Giron in die Luft sprengen könnten, wenn Sie wirklich solchen Frevelmuth besäßen; es ist etwas Anderes darin, in diesen hübschen Tönnchen, und zwar Gold!“

Ich beugte mich zu dem Fasse, auf das ihr Fuß getreten, und von dem der Deckel abgehoben war … das gewaltsame Oeffnen mit einem langen eisernen Meißel, den ich neben dem Deckel am Boden liegen sah, hatte ohne Zweifel das Geräusch verursacht, das mich herbeigerufen. Es lagen obenauf in der kleinen Tonne mehrere Schichten grauen Papieres; als ich sie beseitigt, fand ich darunter jene kleinen pyramidenförmigen Pakete, zu denen man Geldrollen zusammenzupacken pflegt; sie waren an den Seiten mit großen amtlichen Siegeln verschlossen und der Betrag des Inhalts darauf geschrieben.

„Sehen Sie, Fräulein Blanche, Ihr Pulver ist Gold!“

Ich nahm den zerbrochenen Deckel auf und las darauf: 10,000 Frcs. en p. de 20 et de 5. Ein rascher Ueberblick zeigte mir, daß der kleinen Fässer achtzehn da waren, die ganze Summe konnte also hundertachtzigtausend Franken betragen.

Fräulein Blanche hatte sich mit dem Rücken an einen der eisernen Schränke gestellt; mit großen geisterhaften Augen, bleich, keinen Blutstropfen im Gesichte, sah sie mir zu.

„Es ist Gold,“ preßte sie mühsam hervor … „was werden Sie jetzt thun? Wenn Sie das Gold rauben, so bin ich unglücklich auf ewig!“

„Blanche,“ sagte ich mit zitternder Stimme, „glauben Sie nicht, daß, wenn dies wahr, auch ich unglücklich auf ewig sein würde … daß ich bis an’s Ende meines Lebens die Stunde verfluchen würde, in der ich dieses Gold finden und Sie verlieren mußte?“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_090.jpg&oldid=- (Version vom 19.5.2019)