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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


„Ich reich?“ …

„Weshalb macht diese Frage Sie so bestürzt?“

„Weil sie mich in eine große Verlegenheit bringt.“

„In einige Verlegenheit … ja, das begreife ich,“ antwortete Blanche mit einem harten, fast zornigen Tone. „Sie müssen gestehen, daß Sie es sind, sehr, sehr reich – und dann auch gestehen, daß Ihr Schritt furchtbar taktlos und verletzend für mich ist. … Sie senden mir da eine Anweisung von hundertfünfundneunzigtausend Francs auf ein Baseler Bankhaus – Sie, mir! Und Sie glauben, ich würde solch ein Geschenk von Ihnen annehmen?“

„Ich dachte,“ fiel ich betroffen ein, „ich hätte Ihnen in meinem Briefe gesagt, daß ich nicht gemeint habe, Ihnen damit ein Geschenk zu machen! Es ist mir eine solche Kühnheit nicht eingefallen. Der Abbé hat mir gesagt, daß Sie diese Summe und damit Ihr ganzes Vermögen an den Staat hingeben müßten und würden; da ich aber der Unglückliche bin, der Sie in diese Nothwendigkeit gebracht, so habe ich nicht gezögert, Ihnen diese Summe wieder zu ersetzen. Sie sind bei der ganzen Sache doch unschuldig und Sie dürfen nicht darunter leiden! Vielleicht habe ich taktlos gehandelt. Es ist möglich. Ich kann es in meiner jetzigen Gemüthsverfassung nicht klar beurtheilen. Ich war in Verzweiflung über das, was mir der Abbé gesagt hatte, und ich wußte nicht, was Anderes thun!“

„Ich werde Ihre Anweisung wenigstens nicht annehmen!“

„Das betrübt mich mehr, als ich Ihnen sagen kann. Würden Sie sie annehmen, so würde ich denken, Sie verziehen mir, was ich hier thun mußte, Sie hätten keinen Argwohn irgend einer Art mehr gegen mich; Sie würden mich beruhigen, und ich würde Ihnen tief dankbar sein, daß Sie, wenn vielleicht auch mit Widerstreben, etwas gethan, um mir meine Ruhe wiederzugeben … thun Sie es, Fräulein Blanche, wenn es Ihnen auch schwer wird; haben Sie so viel Güte für mich, der sich sehr unglücklich fühlt, jetzt so von Chateau Giron scheiden zu müssen, und noch zehnmal mehr unglücklich sein würde, wenn Sie das zurückwiesen, womit er sich bei Ihnen wenigstens ein versöhntes Andenken erkaufen möchte!“

„Unglücklich?“ sagte sie mit verächtlich aufgeworfener Lippe, „wenn man ein junger Mann und solch ein Millionär ist wie Sie, so hat das Unglück nicht langen Bestand. Nehmen Sie Ihre Anweisung zurück.“

„Sie sind in der That sehr hart,“ versetzte ich mit zuckender Lippe. „Besinnen Sie sich, Blanche, ob es Ihnen nicht möglich ist, von mir wiederzunehmen, was ich Ihnen genommen habe.“ …

„Nein,“ sagte sie mit derselben Schärfe. „Gesetzt auch, Sie machten sich Vorwürfe, oder besser, es beunruhigte Sie, daß Sie ein Unheil über mich bringen mußten – so würden Sie doch gar zu verschwenderisch handeln, mit solch einem Geschenk eine kleine Unruhe von Ihrem Gewissen abschütteln zu wollen. Um eine Sache, die ihn ein wenig peinigt, von sich abzuschütteln, giebt kein verständiger Mann so viel Geld aus. Selbst für einen Millionär sind zweihunderttausend Francs eine große Summe, und ich will zu solcher Verschwendung nicht helfen!“

Sie sprach das mit einer außerordentlichen Bitterkeit.

„Hören Sie mich an, Blanche,“ versetzte ich. „Sie bedürfen des Vermögens. Eine junge Dame, in Verhältnissen aufgewachsen wie Sie, bedarf des Vermögens, für sie ist es eine Lebensbedingung! Für mich ist es ganz etwas Anderes. Wenn Sie diese Summe von mir annehmen, so bleibt mir noch völlig genug, um ein oder auch zwei Jahre lang bequem, ja glänzend leben zu können; mehr bedarf ich nicht, denn ich habe für Niemand zu sorgen und in einem oder zwei Jahren habe ich eine Anstellung im Justizdienste, und der Staat sorgt für mich!“

Sie sah fast erschrocken auf und mich an.

„Sind Sie denn kein Millionär?“ fragte sie hastig.

„Nein. Ich bin ein jüngerer Sohn; mein älterer Bruder hat von meinem Vater ein einträgliches Gut ererbt; ich von meiner Mutter beinahe sechsundfünfzigtausend Thaler. Die Anweisung dort beträgt ungefähr zweiundfünfzigtausend Thaler – Sie sehen, daß von Millionen bei mir nicht die Rede ist.“

Sie sah mich mit einem Blick unverhohlenster Bestürzung an, dann erblaßte sie noch tiefer und nahm langsam die Anweisung von ihrem Tische und begann diese ebenso langsam in kleine Stücke zu zerreißen. Ihre Hände zitterten dabei; die Muskeln ihres Gesichtes zuckten – es war ein eigenthümliches Spiel in ihren Mienen, dessen Bedeutung mir vollständig entging.

„Blanche!“ sagte ich mit flehender Stimme, und von einer plötzlichen Rührung übermannt, über deren Grund ich mir in diesem Augenblicke schwer hätte Rechenschaft geben können. Ich stand auf, um ihre Hand zu ergreifen.

Mit Heftigkeit entriß sie mir ihre Rechte und drückte beide Hände vor das Gesicht. Ich sah, daß sie weinte, daß die Thränen zwischen ihren Fingern hindurchquollen; sie brach in Schluchzen aus und wandte sich, um fortzueilen.

Ich hielt sie fest, indem ich meinen Arm um ihre Schulter legte und an mich ziehen wollte. Aber sie entzog sich mir mit äußerster Heftigkeit. „Nein, nein, gehen Sie, sagen Sie mir nichts, nichts!“ rief sie aus … „o, gehen Sie, gehen Sie!“

Dann eilte sie davon und war im nächsten Augenblick zum Zimmer hinaus.

(Schluß folgt.)




In den Ruhmeshallen Frankreichs.


Nur wenige Monate sind vergangen, seit Frankreichs Stolz nach Malern und Bildhauern suchte, welche die zu gewinnenden Schlachten malen, die Büsten und Statuen der Sieger meißeln sollten; seit man nicht Platz genug zu haben fürchtete, den neuen gewaltigen Zuwachs, den der eben ausgebrochene Krieg versprach, der Menge älterer Ruhmeszeugen anzureihen: und heute liegen in den prangenden Sälen des Schlosses von Versailles, einst Residenz der stolzesten Könige und dann Sammelplatz von tausend und abertausend Gemälden und Statuen, die den Ruhm und nur den Ruhm Frankreichs verkünden, unsere deutschen Krieger, die in siegreichen Schlachten ehrenvolle Wunden empfangen haben; Genesende wandeln umher und bestimmen scherzend die Stellen, an welchen dereinst die Gemälde der Schlachten von Wörth und Sedan aufgehangen werden sollen. Unter Meynier’s großem Bilde, Napoleon’s Einzug in Berlin am 27. October 1806 darstellend, pflegt seine Wunden ein Sohn der Mark, dessen Roß im raschen Siegesfluge die Wasser der Mosel, Marne, Seine und Loire trank; ein deutscher Maler, der Studien sammelte zu Bildern, die den Ruhm des Vaterlandes verewigen sollen, stand neben mir und flüsterte mir, von der wundersamen Scene nicht minder ergriffen, die Worte zu: „Welche Künstlerphantasie vermöchte Aehnliches zu erfinden?“

Es ist allerdings eines jener merkwürdigen und jener bedeutsam zusammentreffenden Momente, an denen der gegenwärtige Krieg so reich ist, daß gerade hier, in dem stolzen Ruhmestempel Frankreichs, unmittelbar vor den Thoren der Hauptstadt deutsche Soldaten von deutschen Aerzten gepflegt werden müssen, jene Wunden zu heilen, die sie sich im siegreichen Kampfe und zur Ehre Deutschlands geholt haben. Diese Thatsache bildet eine ironische Illustration zu der bekannten prahlerischen Inschrift auf dem Gebäude; daß dieses letztere aber in seiner Bestimmung von so vornehmer Höhe herabsinken mußte, deutschen Barbarenhorden als Lazareth zu dienen, das machte sich auf sehr einfache und natürliche Weise.

Als nämlich mit Beginn der Cernirung von Paris die Errichtung größerer stabiler Lazarethe in nicht zu großer Entfernung von den Hauptstationspunkten der einzelnen Truppenkörper nöthig wurde, richtete sich der Blick des Chefarztes des zwölften Feldlazarethes fünften Armeecorps, Dr. Kirchner, auf den Palast zu Versailles, der durch seine Ausdehnung, seine Lage in einer größeren und wenigstens das Allernöthigste darbietenden, überdies vor feindlichen Ausfällen ziemlich gesicherten Stadt, zu diesem Zwecke besonders geeignet erschien. Neben diesen Vortheilen aber, welche für die Wahl des Schlosses sprachen, machten sich nicht geringe Bedenken geltend, welche eben diese Wahl widerriethen.

Der erfahrene Mann, welcher die Aufgabe seines Lebens darin gefunden hat, die allgemeinen Bedingungen, unter denen die menschliche Gesundheit erhalten und nach einer widernatürlichen Störung wiedergewonnen werden kann, zu erforschen, und der sowohl während seiner Wirksamkeit als Universitätslehrer, als auch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_108.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)