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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Daß ich dem ununterbrochenen Kanonendonner, der bald klar und deutlich von unseren Batterien hinüber nach den feindlichen Forts, bald dumpf und grollend von dort zu uns herüber dröhnte, nicht lange aus der Ferne zuhören mochte, läßt sich denken.

In Lagny hatte man mir allerdings auf der Commandantur gesagt, daß mein ganzer Weg vergeblich sei, denn seit wenigen Tagen sei strenger Befehl gekommen, Niemanden, wer es auch sei, in die Batterien mehr zu lassen, selbst nicht Officiere, wenn sie ihr Dienst nicht selbst dort hielt, da so viele Unglücksfälle vorgekommen wären, aber ich verließ mich auf mein gutes Glück. Prinz Georg von Sachsen, der hier commandirt, und bei den Truppen nicht allein seines leutseligen Wesens, sondern auch seines Muthes wegen überall beliebt ist, empfing mich in so liebenswürdiger wie ehrender Weise. Nicht allein, daß er mir die erbetene Erlaubniß augenblicklich ertheilte, nein, einige der Herren vom Generalstab erboten sich sogar, mich zu führen, und auf wackeren Thieren trabten wir dem Schall der Geschütze entgegen.

Die verschiedenen Hauptquartiere liegen allerdings überall außer dem Bereich der feindlichen Geschütze, Le Vert galant ist aber trotzdem kaum mehr als eine halbe Stunde von unseren Batterien von Rancy entfernt, und je weiter wir ritten, desto deutlicher wurde der Donner der Geschütze, der immer mächtiger zu uns herüberdröhnte. Die Gegend hier war, wenn auch nicht sehr coupirt, doch so von den verschiedenen Parks und Gehölzen umschlossen, daß man keinen recht freien Blick gewinnen konnte, bis wir endlich das ziemlich hochgelegene Dorf Rancy erreichten, und von dort den ersten Ueberblick gewannen.

Ich sage Dorf Rancy, das wäre aber jedenfalls ein falscher Ausdruck, wenn wir den Begriff damit verbinden wollten, den wir uns daheim unter einem sogenannten Dorf machen. Rancy liegt in der nächsten Nähe von Paris und dies Dorf schon besteht aus einer Anzahl der reizendsten Landsitze, die sich auf der Welt nur denken lassen. Kleine Parks und Villen wechseln miteinander ab, und die Straße bilden die elegantesten Gebäude, die nur einen schlechten Geschmack in dem Anstrich zeigen. Die Ecken derselben sind nämlich – was gerade keinen angenehmen Eindruck auf das Auge macht, roth und weiß gemalt – ebenso die Pfeiler, welche die Gärten umgeben, während die eisernen Gitter grün angestrichen stehen und die einzelnen Namen der Straßen auf einem lilla Untergrund prangen. Das Ganze ist viel zu bunt, um einen guten Eindruck zu machen, aber das vergißt man bald, sowie nur die Bäume vorn eine weitere Aussicht gestatten, und dort, unmittelbar vor uns liegt die hohe Hügelkette, die Paris umschließt, und klar und deutlich – denn ich traf glücklicher Weise in dieser ewig regnerischen und trüben Zeit einen hellen Tag – lassen sich die Forts Rosny und Romainville, besonders durch die eigenthümlich hohen und plump darauf erbauten mächtigen Casernen erkennen, die allerdings einen prachtvollen Zielpunkt bieten.

Noch aber war das Ganze zu undeutlich, zu sehr von Gebüsch und Bäumen bedeckt, um einen vollen Ueberblick zu gewinnen; außerdem donnerten die Geschütze zu verlockend nahe, um nicht zu ihnen hinüber zu dringen, und deshalb die Pferde hier in dem Schutz der Gebäude lassend, stiegen wir ab und gingen zu Fuß nach den Batterien hinüber.

Armes Rancy, welch ein bewegter Platz mag es früher gewesen sein, wie mag es von fröhlichen Menschen, besonders in Sommerszeit gewimmelt haben, und wie verlassen, wie öde lag es jetzt! Keines der Häuser war mehr bewohnt, ja auch nur eingerichtet, denn nicht, etwa unsere Truppen, sondern die Franctireurs und anderes Gesindel aus Paris hatten schon vor Eintreffen unserer Armee die ganze Umgegend von Paris durchzogen und verwüstet, um den „deutschen Barbaren“, wie sie meinten, jede Hülfsquelle, jeden Schutz abzuschneiden. Den einzigen Schaden thaten sie aber nur sich und ihren eigenen Landsleuten, denn gerade diese den feindlichen Batterien zu sehr preisgegebenen Plätze wurden von unserer Armee nur allein durch die nöthigsten Posten besetzt gehalten.

Uebrigens fanden wir hier schon im reichsten Maße die Spuren eingeschlagener Granaten, theils an den Häusern, theils im Wege selber, theils an den Bäumen, und manchen Centner Eisen haben die Franzosen, seit sie hier Deutsche wußten, herübergeworfen, ohne vielen Schaden anzurichten – wenigstens im Verhältniß zu der Masse von geschleuderten Geschossen.

Unmittelbar vor uns aber donnerten jetzt die Zwölf- und Vierundzwanzigpfünder, ohne daß von drüben herüber bis jetzt eine einzige Kugel gekommen wäre, und durch einen kleinen Wald – eine Art Park – mit ziemlich hohen Bäumen schreitend, standen wir plötzlich unmittelbar hinter der Batterie Nr. 1 und vielleicht zwölf Schritt höher als diese. Aber mein Blick suchte zuerst nicht etwa die mächtigen vor uns stehenden Geschütze, die in drohender Reihe vor uns eingegraben und feuerbereit standen, sondern schweifte hinüber nach dem Ziele unserer Sehnsucht – Paris, und konnte sich nicht losreißen von dem prachtvollen Bilde.

Die Stadt Paris war nun allerdings von hier aus noch nicht zu erkennen, denn erstlich beträgt die Entfernung von dieser Höhe bis zu der äußersten Enceinte derselben in gerader Richtung noch voll eine deutsche Meile; dann aber auch legte sich der ziemlich hohe Hügelrücken dazwischen, auf dem die Forts gebaut sind, und schnitt die Aussicht ab; aber interessant genug war schon das, was das Auge erreichen und überfliegen durfte.

Dicht und unmittelbar vor uns lag der langgestreckte, sich nach rechts zu Thale neigende Mont Avron, dessen so glückliche Beschießung den Parisern zum ersten Male die Augen öffnete, daß die ganze Sache mit der Belagerung der „Hauptstadt der Welt“ doch eigentlich kein bloßer muthwilliger Scherz der „deutschen Barbaren“ sei, sondern in blutigen Ernst auszuarten beginne. Dahinter erhob sich voll und deutlich Fort Rosny, dem Romainville mit eben solchen Casernen und Wällen folgte. Rechts davon in der Ebene, aber noch ziemlich weit entfernt, lag das Dorf Bondy, das von uns jetzt stark beschossen wird und aus dem wir die Franzosen schon ein paar Mal hinausgejagt haben, ohne daß sie es bis jetzt ganz aufgeben mögen, indem sie wenigstens noch den westlichen Theil desselben besetzt halten.

Wie donnerte das um mich her, während ich meinen Blick noch immer nicht von der Hauptstadt da drüben abwenden konnte, indeß in den Batterien selber Alles seinen geregelten Gang nahm!

Die Batterien, die immer in einer bestimmten Entfernung von einander liegen, sind, wie vorher erwähnt, an dem äußersten Hange des Berges, von wo aus sie einen vollkommen freien Ueberblick haben, eingegraben, und liegen nach außen zu so versteckt und in dem gleichfarbigen Erdboden umher so unsichtbar daß sich ihre Stellung nur durch das Aufblitzen der Geschütze und den nachher emporsteigenden Pulverrauch erkennen läßt. Es stehen dort sechs bis acht Geschütze – selten mehr – nebeneinander (meist Vierundzwanzigpfünder, aber auch einige Zwölfpfünder) und werden auf das Commando des darüber wachenden Unterofficiers in nicht zu langen Zwischenräumen abgefeuert.[1]

Hat das Geschütz seinen Schuß abgegeben, so reinigt es die Mannschaft erst wieder und das Rohr bekommt eine kurze Zeit Ruhe, um sich abzukühlen, dann wird die Kugel – es sind sämmtlich Hinterlader – vorsichtig eingehoben und Alles steht bereit, um den Befehl zum Feuern abzuwarten. Das Geschütz befindet sich dabei nicht auf der bloßen und jetzt weichen Erde, denn schon das Gewicht desselben wie der Rückstoß würden es da tief hineintreiben. Die Kanonen haben alle einen starken Unterboden von Planken, auf welchen sie nach abgegebenem Schuß an dem sie haltenden Seil eine Strecke zurückfahren und dann leicht wieder vorgeschoben und gerichtet werden können und unübertrefflich ist die Ruhe, mit der hier Alles gehandhabt wird.

„Bombe!“ tönt da plötzlich der monotone Ruf des wachhabenden Postens, der besonders auf die feindlichen Batterien aufzupassen und sie im Auge zu behalten hat, und die eben noch so ruhigen, fast regungslosen Gestalten der Soldaten heben sich und gewinnen Leben und Bewegung. Theils richten sie sich empor und spähen aufmerksam nach dem Feind hinüber theils drücken sie sich hinter die schützende und fest aufgewallte Brustwehr – und jetzt kommt es durch die Luft in dumpfem unheimlichen Zischen und Rauschen, lauter und lauter mit jeder Secunde und jetzt – ein dumpfer Schlag auf den Boden, in dem Moment fast ein dröhnender Knall und nun kommt der gefährliche Augenblick, denn besonders nach vorn, aber auch etwas zur Seite spritzen die Stücke des gesprungenen Geschosses, und wehe dem, den sie mit ihren scharfen zerrissenen Kanten streifen oder treffen!

Es schien das nur ein Probeschuß gewesen zu sein, aber er war nicht schlecht gewesen und hatte unmittelbar neben der Batterie

  1. Wir verweisen an dieser Stelle auf den nachfolgenden Artikel, der das von Fr. Gerstäcker hier nur kurz berührte Thema über den Batterienbau in eingehender Schilderung behandelt.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_114.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)