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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


deshalb mache. Er unterhielt sich freundlich mit vielen der umstehenden Officiere – Civilisten werden natürlich bei solcher Gelegenheit als vollkommen unsichtbar betrachtet – und schritt dann eine ganze Weile umher, um die verschiedenen wichtigen Stellen in Augenschein zu nehmen. Erst gegen vier Uhr bestieg er seinen Wagen wieder, um nach Versailles zurückzukehren.

Da waren keine gemachten Hurrahrufe, keine vive l’empereur, wie sie sonst vielleicht an der nämlichen Stelle zu des verschollenen Kaiser Napoleon’s Ohren drangen, ihn in Sicherheit lullten und seinem Ehrgeiz schmeichelten, aber die Gesichter der Soldaten leuchteten freudig auf, als ihr alter König, von dem braven Moltke gefolgt, an ihnen vorüberschritt, und eine bessere Demonstration sprach aus ihren Augen, als sie hundert laute Ovationen hätten ausdrücken können.




Im Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl.
Von unserem Berichterstatter Georg Horn.
Zwölfter Brief.0 Unter dem Kreuze von Genf.

Le Mans! Von den Höhen von Pontlieue herab rückten die deutschen Truppen unter General von Voigts-Rhetz in unabsehbaren Colonnen in das Thal der Sarthe nieder, sie kamen auf drei Straßen zugleich, sie kamen zu Fuß und zu Roß, mit Wagen, mit Brücken und Geschütz, und auf dem Schneefelde bewegten sich die dunklen Massen immer näher der Stadt; die Bajonnete blitzten im Glanze der herrlichsten Wintersonne – und die Trommeln wirbelten. So ein Einmarsch in eine feindliche Stadt ist für die an der Spitze Marschirenden wie ein Gang in eine Pulverkammer; aus jeder Jalousieluke können die Kugeln geflogen kommen; mit jedem ihrer Schritte kann sich eine Mine entladen, ein gelegtes Torpedo Compagnien in Stücke zerreißen; der Volkskrieg hält Alles für erlaubt. Darum zogen auch die Unseren mit großer Vorsicht in die Stadt ein; es war das oldenburgische Regiment Nr. 91; das Gewehr im Anschlag gingen die Spitzen vor, die Augen nach rechts, nach links, nach vorwärts gerichtet; in den Straßen lagen zerbrochene Karren, todte Pferde, französisches Officiergepäck, zerbrochene Gewehre – die Franzosen waren erst kurz vorher desselben Weges gekommen, überall waren die Spuren der Verwirrung, Ueberstürzung, und Auflösung der Armee des Generals Chanzy erkennbar – und die Deutschen setzten über diese Trümmer hinweg ihren Marsch fort. Es kam keine Kugel, es sprang keine Mine, es entlud sich kein Torpedo, aber die Deutschen entfalteten sich immer mehr. Die Einwohner haben sich hinter Mauern und Fensterläden zurückgezogen – sie hören das Wirbeln der deutschen Trommeln, es klingt ihnen wie der Leichenmarsch ihrer Hoffnungen, sie wagen einen Blick auf die marschirenden Züge hinabzuwerfen und fragen sich ganz erstaunt, ob denn die Deutschen unter ihren Truppen auch Schwarze haben. Ja wohl, für heute, wo die Gesichter noch vom Pulverdampf des Gefechtes geschwärzt sind, aber nicht für immer. Halt!

Die Einundvierziger werden beordert, den Bahnhof zu besetzen – die Jäger marschiren nach dem Innern der Stadt weiter. Nach einer Viertelstunde fallen Schüsse – erst einzelne, dann mehrere, immer rascher, ein wahres Schnellfeuer – jetzt sogar eine Salve – auf der Place des Halles kommen die Kugeln aus allen Häusern, allen Etagen und Fenstern geflogen, die Jäger stürzen sich in die Häuser, andere werden nach den vom Platze ausmündenden Straßen dirigirt, um diese zu säubern, andere nach der östlichen Lisière von Mans, von dort dem Andringen gemeldeter feindlicher Truppenmassen zu wehren – folgen wir diesen.

Ohne nennenswerten Widerstand marschiren sie durch die engen, dunklen Straßen der alten Stadt, die Magazine sind geschlossen; daß Menschen noch vorhanden sind, beweisen die ausgehangenen weißen Fahnen mit dem rothen Kreuz. Es kommen ihnen eine Reihe zweirädriger Karren mit Militärgepäck entgegen; beim Anblick der Preußen wenden die französischen Fahrer flugs um und hauen wie besessen auf die Pferde ein, um den Feinden zu entgehen. Es gelingt ihnen auch, bis sie an eine Kreuzstraße kommen, wo wenigstens zwanzig solcher Fuhrwerke zu einem unentwirrbaren Knäuel zusammengefahren sind. Ein paar Jäger sind mit ihrem kräftigen Arm und ihren drohenden Büchsen genügend, die Fliehenden zum Stehen zu bringen. An dieser Stelle sammeln sie sich und rücken weiter vor, immer die Richtung nach Osten einhaltend; aus den engen, älteren Straßen hinaus in weitere, neue, in denen schon die Gärten anfangen. Plötzlich kommt ein Geräusch durch die Luft, die Jäger halten still und horchen – jetzt wieder derselbe Ton – sie kennen denselben recht gut, auf dem ganzen Wege von Vendôme bis hierher hörten sie diese Melodie pfeifen, die Melodie der Kugeln, die jetzt immer dichter über ihren Köpfen wegfliegen. Aber woher? Sie können nur dort oben aus jenem Hause kommen, das erhöht in einem Garten liegt, anders ist es nicht möglich. Aber aus dem Dacherker des Hauses weht die weiße Fahne mit dem rothen Kreuze von Genf, das Haus ist ein Lazareth. Sollte man dieses heilige Zeichen der Menschlichkeit so entwürdigen, diese Stätte durch einen so fluchwürdigen Frevel entweihen? Es ist nicht denkbar; die Franzosen sind doch keine Nation von Wilden, und selbst diese würden diesen Ort der Wunden und der Schmerzen als eine Stelle heilig achten, an welcher aller Kampf verstummen und das Mitleid und die Barmherzigkeit in ihre unantastbaren Rechte eintreten muß. Die Kugeln kamen aber doch von dort. Man will in den Garten eindringen, die eiserne Thür zu demselben ist verschlossen.

„Die Thür eingeschlagen!“ ruft der commandirende Officier, Lieutenant Kramer-Möllenberg. „Auf die Canaillen in dem Hause los! Vorwärts!“

Im Nu flog die Thür auf, hinten vom Hause aber auch gleich zwei Schüsse. Durch den Garten stürmten die Jäger nach dem Hause vor – sie kamen auf einen Hof; sie traten in einen großen Thorweg, dessen nach der Straße führender Eingang verschlossen war. Niemand ließ sich sehen. Der Officier vertheilte seine Leute, um das Haus zu durchsuchen, in der ersten Etage bis hinauf in die Bodenräume. Er selbst trat, begleitet von einigen seiner Leute, mit gezogenem Säbel in ein Zimmer des Erdgeschosses mit vier nackten kahlen Wänden – an denselben standen drei eiserne Bettstellen und aus den Kissen derselben schauten Köpfe mit den üblichen weißen Nachtmützen. Aus ihren Mienen sprach Furcht und Angst.

„Wer sind Sie?“ frug der Officier die Kranken.

„Mobile der Bretagne!“

„Verwundet?“

„Ja, mein Capitain.“

„Wo?“

Da hob der Eine seine wunde verbundene Hand, der Andere ein Bein aus dem Bette, seinen durchschossenen Fuß zeigend, ein Dritter deutete auf die Schulter und die Wunde in derselben.

„Ich meine nicht, an welchem Theile des Körpers, sondern bei welcher Gelegenheit Sie Ihre Blessuren bekamen.“

„Bei Artenay. – O, wie wird es uns ergehen!“ jammerte Einer. „Wir haben die Schüsse aus dem Hause wohl gehört, und Sie, mein Capitain, werden blutige Revanche nehmen.“

„An den Unschuldigen niemals. Sind denn noch französische Soldaten in dem Hause versteckt?“

„Wir wissen gar nichts, wir haben nur die Schüsse fallen hören. Schonen Sie unser!“

„Haben Sie keine Furcht!“ sprach dann der Officier zu ihnen, „es wird Ihnen kein Leids geschehen – wir sind keine Barbaren, wie man uns von Seite Ihrer Landsleute dargestellt hat, uns ist die Stätte der Schmerzen und der Wunden heilig. Beruhigen Sie sich – fürchten Sie nichts.“

Damit verließ der Officier mit seinen Mannschaften das Krankenzimmer; im Erdgeschosse links war nur noch ein Wohnungsraum, der nach der Straße zu gehen schien, aber er war verschlossen. Der Officier gab Befehl, die Thür mit Gewalt zu öffnen, und die Jäger machten sich eben daran, als von außen plötzlich ein heftiges Gewehrfeuer vernehmbar wurde. Die Hausthür war verschlossen, sie gab auch den eifrigsten Anstrengungen der Jäger nicht nach, man hatte sonst keinen Ausblick nach der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_148.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2020)