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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Schritte zurück folgte ein Diener und in der Nähe hielt des Fürsten Equipage, ein Tilbury, ein Phaëton oder sonst ein anderes Phantasiegefährt, mit zwei hohen Rossen der edelsten Race bespannt, die ungeduldig schäumten und in die Stangen bissen und mit den Hufen scharrten. Hatte der Fürst hier seine Uebersicht gewonnen, so stieg er ein und war im nächsten Augenblicke an einem andern Ende des Parkes, um dort weitere Untersuchungen anzustellen. Gestattete es ihm sein körperliches Leiden, so stieg er, seines hohen Alters ungeachtet, auch wohl zu Pferde und umkreiste mit der Schnelligkeit des Hirsches seine Besitzungen. Dann war er ein Anderer geworden, die Zeiten seiner Parforcejagden, seiner Fuchshetzen, seiner Wettrennen schienen zurückgekehrt und Mann und Roß ein Ganzes zu sein.

Der Fürst erfreute sich bis an seinen Tod eines frischen, klaren und lebendigen Geistes. Zehrend an den reichen Erinnerungen vergangener Jahre, lebte er in seiner letzten Lebenszeit ein durchaus regelmäßiges, wenn auch nicht pedantisch an die Stunde gebundenes Stillleben. Ihm verdankte er wohl mit sein hohes Alter. Ernstes Studium, besonders der Geschichte, Philosophie und Botanik, wechselte mit schöngeistiger Lectüre ab. Er zog es vor, die Zeit, während welcher die Welt draußen lärmte und sich geschäftig mühte, der Ruhe zu widmen, welche ihm so wohl that, und vermochte es dafür, zu jeder Stunde der Nacht zu erwachen, um mit voller Geisteskraft zu arbeiten oder zu studiren. Er that es oft allein, ohne seinen Vorleser zu wecken.

Ein Liebling der Höfe und Freund der Koryphäen aller Länder, beherbergte sein Dach nicht selten Könige und Prinzen und Träger gefeierter Namen in den Gebieten der Kunst und Wissenschaft. Es ist noch nicht allzulange her, daß Namen wie Varnhagen van Ense und Ludmilla Assing unter den letzteren genannt wurden. Der Fürst hatte ja einen so bedeutenden Ruf und in und um sich so viel Anziehendes, daß man gern bei ihm einkehrte. Neben seinen ernsten und Erholungsstudien folgte er aber auch den Ereignissen des Tages mit Interesse. Er liebte es in dieser Beziehung, das Urtheil Anderer zu hören. In den letzten Jahren großenteils an das Zimmer gefesselt, versammelte er zu diesem Zwecke jeweilig des Abends in seinem Schlosse größere oder kleinere Gesellschaften aus der Stadt zu frugalen, aber ausgesuchten Soupers. Er verstand es dabei vortrefflich, die Elemente des Kreises so zusammenzusetzen, daß eine zwanglose Conversation ermögliche wurde. Er schloß selbst Männer aus dem Volke nicht aus, wenn sie sich irgendwie im Dienste des Gemeinwohls hervorgethan hatten oder Züge der Originalität und des Strebens verriethen. Bei der Unterhaltung wartete er ruhig, bis der Gast sich ausgesprochen hatte, wenn dies auch einmal schwerer von Statten ging. Nie unterbrach er ihn und keine Miene des Gesichts verrieth Ungeduld oder Zweifel oder gar Ueberlegenheit, aber aus seinen Fragen und Einwürfen sah man dann wohl, wie er auf allen Feldern des Wissens zu Hause war und welches Vergnügen es ihm machte, sich in allen Dingen zu informiren und unter Umständen belehren zu lassen. Dann kam er wohl selbst auf seine Erlebnisse, seine Reisen zu sprechen, und man lauschte mit Vergnügen seinen Erzählungen. Der Fürst erschien bei solchen Gelegenheiten in der Regel in seiner beliebten häuslichen Tracht, einem kleidsamen, gänzlich orientalischen Costüme. Bei solchen Soupers standen die Bedienten in weißen Handschuhen, aufmerksam und des Winks gewärtig, hinter den Stühlen. Ihre Bewegungen, ihr ganzes Verhalten straff und fest eingeschult, ihre Gesichter kalt und eisern, kein Zug verrieth den geringsten Grad von Vertraulichkeit zwischen Herr und Diener, wie dies in ähnlichen Verhältnissen bei einem langjährigen Zusammenleben nicht selten vorzukommen pflegt. Es herrschte in Allem eine minutiöse Hausordnung.

Nach dem Souper zog man sich in das Rauchzimmer zurück, wo Pfeifen und Cigarren, nach dem Belieben der Gäste, bereit lagen und der Mokka eingenommen wurde. Hier war die Unterhaltung noch freier und ungebundener und es bildeten sich zu diesem Zwecke auch wohl Gruppen. Immer aber blieb der Fürst der Mittelpunkt des Gesprächs. Er war in jeder Beziehung mäßig im Genuß. Nach dem Souper pflegte er aus einer Houka, einem Tschibuk oder Nargileh türkischen Tabak zu rauchen, nahm auch den Mokka nach der Art der Orientalen: eine kleine Tasse voll, ohne jede Zuthat, aber sehr stark, denn das Mehl der Bohne blieb in dem Aufguß und wurde vor dem Schlürfen darin aufgerührt. Es ist dies nicht Jedermanns Geschmack, der Fürst aber freute sich, wenn er einmal einen Gast fand, der ihm darin Bescheid thun und mit ihm türkisch rauchen und Kaffee trinken konnte. Nicht weit über zehn Uhr trat dann in der Regel ein Diener ein und meldete lakonisch: „Der Wagen ist angespannt!“ – es war das Zeichen, daß der Abend beendet und der Gast entlassen war. In Ausnahmefällen, wenn der Fürst sich nicht wohl oder ermüdet fühlte, die Gesellschaft aber noch munter war, zog er sich um diese Stunde auch wohl zurück, die Gäste freundlich einladend, sich ohne ihn noch weiter zu amüsiren. Beim Abschied war der Fürst so angenehm, wie beim Empfange, und wer dann in der prächtigen Equipage Seiner Durchlaucht nach der Stadt zurückkehrte, der schwelgte unterwegs noch im Nachgenuß der eben erlebten Stunden.

Wen der Fürst bei sich empfing, den verließ jener erste Eindruck der Unnahbarkeit in der ersten halben Stunde der Unterhaltung, um dem Gefühl des Wohlseins und der Sicherheit Platz zu machen. Ich erinnere mich noch sehr wohl dieses Gefühls, als ich zum ersten Mal dem Fürsten auf seinem Schlosse begegnete. Es war ein wunderschöner Maientag mit „seidenen Lüften und seidenen Düften“, da ich in Begleitung eines Freundes, der den Fürsten gleichfalls noch nicht persönlich kannte, durch den im vollsten Schmuck prangenden Park ging und über die von den prächtigsten Blumen gezierte Rampe die Treppe des Schlosses empor stieg. Der Diener meldete uns Seiner Durchlaucht und öffnete vor uns die Thür, um auf einen Wink seines Gebieters augenblicklich wieder zu verschwinden. Wir waren in ein kleines Gemach getreten. Eine tropische Hitze umwirbelte uns. Trotz des sonnigen Wetters draußen war das Zimmer stark geheizt. Zu Anfang glaubten wir uns in den Orient entrückt, so fremd war die ganze Scene, welche sich uns darbot, Wohin das Auge fiel, traf es die sonderbarsten Gegenstände, meist orientalischen Ursprungs. Dicke Teppiche von bunten Farben und merkwürdigen Zeichnungen brachen das leiseste Geräusch des Fußes. Schwere dunkle Jalousien vor den Fenstern wehrten den Sonnenstrahlen. An den Wänden überall Vorhänge und kostbares fremdländisches Geräth, Möbel aus überseeischen Hölzern, kunstvoll geschnitzt, vergoldet. Hinter einer Portière ein schräges Feldbett, in Lanzenstangen hängend, mit rothseidenen Decken, davor eine Löwenhaut, darüber ein großer Sombrero mit niederhängenden Straußenfedern, türkische krumme Säbel, indische Yatagans, Flinten, Revolver und Pistolen aus allen Reichen der Welt und von den erdenklichsten Constructionen; Oelgemälde, Miniatur- und Pastellbilder, Aquarellen von Studien im Orient. Wenn jetzt Scheherazade mit ihrem Gefolge von Odalisken aus irgend einer Wandtäfelung lautlos eingetreten wäre, um uns ein neues Märchen zu erzählen, es hätte mich nicht befremdet. Auch mein Begleiter schien von diesen Betrachtungen noch ganz befangen, da winkte uns der Fürst freundlich, näher zu treten und auf einem Divan ihm gegenüber Platz zu nehmen. Er selbst saß auf einer Ottomane am Fenster, neben ihm stand ein Tisch von herrlicher Mosaikarbeit, auf welchem die verschiedensten Gegenstände zum bequemen Gebrauch bereit lagen. Seine Kleidung war ganz orientalische ein schwarzseidener Kaftan, rothseidene Pantalons, gelbe Maroquinpantoffeln.

Wir hatten ein Gespräch über die verschiedensten Gegenstände, aber schon nach wenigen Minuten fühlte ich mein Herz weniger heftig pochen, als ich immer wieder in des Fürsten wundervolle blaue Augen blickte, welche, je länger wir uns unterhielten, ich weiß nicht wovon mehr strahlten, ob von Freude und Erinnerungsseligkeit, oder von Güte, oder von Sanftmuth oder von dem Feuer der Jugend. Auf seiner hohen faltenlosen Stirn lag der echteste Seelenadel, seine Stimme hatte einen außerordentlich weichen, melodisch lieblichen Klang, seine Gedanken waren so originell, wie genial, und was er sprach, zeugte von Wärme und Empfindungsfülle einer edeln Brust, wie von der philosophischen Gelassenheit seines Gemüths. Er hatte soeben Schopenhauer gelesen und das Buch aus der Hand gelegt.

„Sie sehen,“ sagte er, meinem auf das Buch gehefteten Auge folgend, „ich rüste mich zu der letzten Reise – es wird Zeit. Aber ich bin gefaßt und ruhig, ich habe nichts mehr auf unserer Mutter Erde zu vollbringen, ich habe sie gründlich studirt und bis auf das letzte Geheimniß überall die Winke der Allmacht verstanden – bald werde ich auch dieses verstehen. Das Leben an sich“ – äußerte er im weitern Verlauf – „ist nichts Werthvolles, ich habe mich mit ihm abgefunden, ich habe es betrachtet wie ein angenehmes Geschenk von einer unbekannten freundlichen Hand –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_165.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)