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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 12.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die Zuwider-Wurzen.
Eine Geschichte aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


„Ah nein – es ist nit der Müh’ werth,“ sagte die Alte, indem sie sich über die Augen fuhr. „So was geschieht alle Tag’, und es kümmert sich kein Mensch darum als der, den’s halt gerad’ angeht. Kannst Dir wohl denken, ich bin auch einmal jung gewesen und sauber und eine lebfrische Dirn’; ich hab’ gejuchzt, wenn die Sonn’ heraufkommen ist, und hab’ einen Kreuzsprung gemacht, wenn sie untergegangen ist. Ich bin auch da heroben gewesen als Sennerin auf der Brettenalm, vor so ein vierzig Jährl’n bin ich da gesessen, wo wir jetzt sitzen, hab’ gesungen und Cither gespielt und gemeint, die ganze Welt gehört mein. Einmal, wie ich in der Fruh die Hütt’n aufgemacht hab’, ist auf der Schwell’n, auf’m Antritt – siehst? gerad’ da, wo jetzt das Feuer hinscheint – ein Buschen gelegen von Edelweiß und Steinräutel, die wachsen nirgends schöner als an der Brettenwand, die gleich hinter der Hütt’n in die Höh’ geht, und der Buschen war so frisch, daß der Thau noch d’rangehängt ist, und mir ist so eigen um’s Herz worden, wie noch niemals zuvor; es ist mir heiß aufgestiegen, und doch ist mir wieder gewesen, als wenn ich anfangen wollt’ zu frieren. Ich hab’ mir wohl einbilden können, von wem der Buschen sein könnt’; ich hätt’ ja blind sein müssen, wenn ich nit gesehen hätt’, daß mir der Jagdg’hilf’ von der Jachenau schon lang’ zu Gefallen ’gangen ist! Er hat sich in der Kirch’ alleweil’ so gestellt, daß er mich hat sehen können, und beim Tanz bin ich die Erst’ und die Einzige gewesen, die er aufgezogen hat. Und wie ich den Buschen aufgehoben hab’ und hab’ herumgeschaut um mich, ist er, der Jäger, auch schon vor mir dagestanden … gerad’ dort, wo der Zaun ist und wo das Bergbachl ’nuntergeht in die Tiefen. Nachher ist er zu mir herkommen und bei mir gesessen, und nachher haben wir miteinander geschwatzt, und so ist er oft und nachher jeden Tag ’kommen, bis es Herbst ’worden ist und bis wir abgetrieben haben von der Alm. Da ist’s aus gewesen mit der ganzen Glückseligkeit, die ist abgefallen wie die Lauber von unsere Kerschbäum’. Der Vater hat nix hören wollen davon, daß ich ein’ Jäger heirathen sollt’; Dein Vater aber, mein Bruder, der Lipp, der ist noch wilder gewesen und hat gescholten und gedroht: wenn er den Jäger treffen thät’, so thät’s ein Unglück geben. So lang’ man denkt, hat er gesagt, hat keine Jachenauerin einen Fremden geheirath’t; das wär’ eine Schand’, und bei so was sollt’ auf dem Kurzenhof nit der Anfang gemacht werden. Erst hab’ ich mich auf’s Bitten gelegt, dann auf’s Weinen und zuletzt auf’s Trotzen – aber es hat Alles nix geholfen; bei mir ist’s wahr gewesen, es hat sich Niemand angenommen um mich – ich hab’s ’nunterschlucken müssen in mir, und wie der Auswärts wiederkommen ist, da hat’s geheißen, der Jäger, dem’s verleid’t gewesen ist in der Jachenau, der wär’ fort – wohin, weiß ich nicht; ich weiß nur, daß ich ihn nimmer gesehen hab’ und daß die Zeit da heroben auf der Brettenalm meine letzte fröhliche Stund’ gewesen ist … So, jetzt weißt meine ganze Lebensgeschicht’,“ schloß die Alte, indem sie sich erhob. „Jetzt überleg’ Dir’s, Madel, ob Du eine Ursach’ hast, so feindselig und trotzig zu sein! Und jetzt, denk’ ich, wird’s auch Zeit sein, Du löschest das Feuer aus und machst die Hütt’n zu … Ich will mich derweil’ niederlegen – ich bin ordentlich müd’, und morgen vor’m Tag muß ich wieder unterwegs sein, damit ich drunten bin, wenn die Arbeit losgeht.

Sie that, wie gesagt, und lag bald still auf dem Heulager, während Stasi noch eine Weile am Herd und in der Hütte beschäftigt war und dann vor die Thür trat, um in den klaren sternigen Nachthimmel hinauszublicken – ein Hauch unendlicher Ruhe und unsäglichen Friedens wehte ihr daraus entgegen; sie athmete ihn begierig ein, mit ihm die Ahnung eines ungekannten, sehnsüchtig erwarteten Glücks. Spät erst ging auch sie zur Ruhe und nahm ihren Platz neben der Mahm ein, die entweder fest schlief, oder, weil ältere Leute der Schlaf nicht mehr so dauernd besucht, in stillem Sinnen und Beten lautlos verharrte, als ob sie schliefe; noch ehe aber drunten in den Dörfern die Hähne sich zu regen begannen, war sie schon wieder rüstig auf den Beinen und wanderte den Weg in die Jachenau hinunter; Stasi ließ sich nicht nehmen, sie eine Strecke zu geleiten, nachdem sie noch im Stalle nachgesehen und die hintere Thür geöffnet hatte. Als sie von einander schieden, geschah es zum ersten Male ohne Streit; kein gereiztes Wort ging hin und wieder. Stasi sah lange der sich Entfernenden nach; es war ihr immer zu Muthe, als müsse sie sie zurückrufen, als habe sie etwas Wichtiges vergessen, um das sie nothwendig fragen müsse.

Langsam kehrte sie wieder zurück; gesenkten Blickes der Hinterthür zu, ging durch den Stall in die Hütte und stieß die Thür auf, trat aber sogleich mit einem leichten Aufschrei zurück: auf der Schwelle lag ein Busch von Edelweiß und Steinraute, so schön, wie er nur auf den höchsten Graten der Brettenwand vorkommt, so frisch, daß der rings aufsteigende Morgenschein in den daran

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verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1871, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_189.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)