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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 15.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Ein Held der Feder.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


„Mit diesem letzten Opfer schien das Unglück endlich erschöpft,“ fuhr Forest in seiner Erzählung fort, „von dem ersten Schritt an, den ich auf amerikanischen Boden that, folgte mir das Gelingen. In New-York traf ich mit Atkins zusammen, den dort ein Schreiberposten nur nothdürftig nährte, er rettet mich und meine kleine Habe vor einer Bande von Schwindlern, die den Unerfahrenen schon halb in ihren Netzen hatten. Dankbar bot ich ihm an, mit mir nach dem Westen zu ziehen, er hatte nichts zu verlieren und folgte mir hierher, damals noch in die Wildniß. Wir haben die erste Axt an den Urwald gelegt, das erste Blockhaus gezimmert; vielleicht erinnerst Du Dich noch aus Deiner frühesten Kinderzeit, daß Dein Vater selbst mit Axt und Hacke auf’s Feld hinausging, und die Mutter im Hause die Arbeit der Mägde that, aber es dauerte nicht lange. Unsere Colonie wuchs mächtig und schnell, der Boden, die Lage waren unendlich günstig, die Stadt entstand, der Hafen ward gebaut, die Ländereien, die ich zu einem Spottpreise gekauft, stiegen bald auf das Zwanzig- und Dreißigfache ihres früheren Wertes, Unternehmungen, zu denen ich mich mit Anderen verband, hatten einen ungeahnten Erfolg. Auch die einst so heiß ersehnte Teilnahme am öffentlichen Leben und Wirken, die Bedeutung darin, die Anerkennung dafür ward mir im reichsten Maße zu Theil, und jetzt, Jane, lasse ich Dich in einer Stellung und in Verhältnissen zurück, die es selbst einem Mr. Alison als eine Ehre erscheinen lassen, wenn er Deine Hand erringt.“

„Ich weiß es, mein Vater!“ Das Selbstbewußtsein in Jane’s Haltung trat in diesem Moment schärfer als je hervor, aber es lag kein gewöhnlicher Hochmuth darin, ihr Stolz wurzelte augenscheinlich in dem Bewußtsein, die Tochter ihres Vaters zu sein.

Mit einer Anstrengung, die deutlich bewies, daß seine Kräfte im Sinken waren, eilte Forest zum Schlusse.

„Daß ich die Nachforschungen nach Deinem Bruder nicht aufgab, daß ich sie immer und immer wieder erneuerte, und später, als mir die Mittel zu Gebote standen, mit allem Aufwande von Geld und Verbindungen fortsetzte, noch jahrelang, brauche ich Dir nicht erst zu sagen. Das Resultat blieb das gleiche, ich fand schließlich Ersatz in Dir, Deine Mutter konnte den Verlust ihres Sohnes nie verschmerzen. Sie klammerte sich bis zu ihrem Ende an die Hoffnung seines Lebens, seines Wiederauftauchens, die mir längst geschwunden war, und noch auf dem Sterbebette nahm sie mir das Versprechen ab, nach ihrem Tode selbst nach Europa zu gehen, um persönlich noch einen letzten Versuch zu machen. Ich habe es ihr zugesagt, da die jüngste Amnestie den Bann gelöst hatte, der mir bis vor Kurzem noch verbot, die Heimath wieder zu betreten, und ich war eben im Begriff, die Vorbereitungen zu einer längeren Abwesenheit zu treffen, als die Krankheit mich niederwarf. Aber der letzte heiße Wunsch Deiner Mutter soll nicht unerfüllt bleiben! Nicht, als ob ich auch nur die leiseste Hoffnung hätte, eine Spur, die sich zwanzig Jahre lang den angestrengtesten Nachforschungen entzog, könne jetzt wiedergefunden werden – Du sollst einfach eine Pflicht der Pietät erfüllen, indem Du das Versprechen einlösest, das ich nicht mehr zu halten vermochte, Du sollst einer Form genügen, indem Du Dich, ehe mein gesammtes Vermögen Dir zufällt, versicherst, daß Du in der That die einzige Erbin bist, und einzig und allein deshalb sende ich Dich nach dem Rhein. In Bezug auf die geschäftlichen Schritte, auf die zu erlassenden Aufrufe und dergleichen wird Dein Oheim Dir gern zur Seite stehen, Du sollst nur die Leitung, die Energie dazu hergeben, deren er nicht fähig ist. Unsere hiesigen Kreise wird es nicht befremden, wenn Du das Trauerjahr um Deinen Vater bei seinen Verwandten, in seiner Heimath zubringst. Wenn Alison es wünscht, so kann er am Schluß seiner europäischen Reise Deine Hand dort empfangen und mit Dir zurückkehren, indessen das überlasse ich Euch allein. Ich lege nur einzig jene Pflicht in Deine Hände, Jane, Du wirst sie erfüllen.“

Jane erhob sich und stand dem Vater aufgerichtet, mit der vollen Energie ihrer ganzen Erscheinung gegenüber.

„Wenn eine Spur meines Bruders zu finden ist, so werde ich sie finden, Vater! Ich weiche nur der Unmöglichkeit, nimm meine Hand darauf!“

Forest schloß ihre Hand in die seinige, auch jetzt trat das eigenthümlich Ernste in dem Verhältniß zwischen Vater und Tochter hervor, kein Kuß, keine Zärtlichkeit – ein Händedruck wie unter Männern besiegelte das gegebene und genommene Versprechen. Einige Secunden lang herrschte tiefes Schweigen, dann sagte der Kranke plötzlich mit gepreßter Stimme.

„Und jetzt ziehe die Vorhänge auf, ich kann die Dämmerung nicht mehr ertragen! Laß das Licht herein!“

Jane gehorchte, sie schlug die schweren grünen Damastvorhänge zurück, und durch das breite Erkerfenster strömte der volle, blendende Glanz der Mittagssonne in’s Zimmer. Der Kranke hatte sich aufgerichtet und blickte unverwandt hinaus in die weite Aussicht, die sich seinen Blicken darbot. Da lag die Stadt mit ihren Straßen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_241.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2020)