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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


zur „Musikalisch-declamatorischen Soirée“ in den Officierswagen erhalten. Im Sanitätszuge? Allerdings, und es gab auch große Tafel dabei und war die originellste Lustbarkeit. Wer von den dreißig Officieren nur irgend sein Lager verlassen konnte, der humpelte, hinkte oder schlich in den mittleren der drei von ihnen besetzten Wagen. Alle Schemel und Stühle aus der Wagennachbarschaft waren in den engen Gang zusammengeschleppt zu Sitzen für ein hochansehnliches Publicum. Eine Laterne mit einem Talglicht hing an der Wagendecke; in, an und zwischen den äußersten vier Betten war die Capelle versammelt, und die getheilte Portière stellte den Vorhang für die scenischen Ueberraschungen vor. – Das Programm war reichhaltig. Erst die große Frohnleichnamsmusik vom ersten Trompetenstoß bis zum letzten Trommelschlag nebst allen Ehrensalven; dann eine Capuzinerpredigt über die Frauensleut’; die Ouverture zum „Tannhäuser“, dann Vorstellung eines Käsperles-Theaters, die üblichen Charakterpuppen des Todes und des Teufels aus einem Stiefelknecht und einer kurzen Tabakspfeife fein hergestellt; Solo mit Brummchor, dann diverse Declamationen – und mittendrin überraschte die Abendmahlzeit auf den großen hölzernen Präsentirtellern Darstellende und Publicum. Wer sich nicht in einem der zehn Betten befindet, nimmt die liebe Gottesgabe in die Hand und ißt sie aus freier Faust; die in den Betten benutzen ihre Beine als Tisch, wenn sie deren noch zwei haben. Das ist aber nicht immer der Fall, denn gleich der Capellmeister, ein bairischer Hauptmann, und sein Nachbar, Husarenrittmeister und Trompetenvirtuos, haben jeder nur noch ein Bein – und mehrere andere Künstler müssen das Essen mit einem Arme lernen. Aber es geht, im Nothfall mit Hülfe getreuer Nächstenliebe. Der Wein muß nicht immer aus Weingläsern getrunken werden; es thun dazu auch andere Gefäße gut; man ist ja im Kriege. Und nach der Tafel das Programm noch einmal von hinten mit Variationen, und „Bravo!“ – „Hier bleiben!“ – „Zulage kriegen!“ bis zur Mitternacht. Wenn die Franzosen draußen im hellen Mondenschein solchen Jubel hinter dem rothen Kreuze hörten, sollten sie nicht auf den Gedanken kommen: „Wenn die deutschen Kranken so sind, was ist da gar mit den Gesunden anzufangen?“

In Chaumont, das wir am nächsten Nachmittag wiedersahen, wimmelte der Bahnhof von Reconvalescenten aller deutschen Völker und Waffen, wie sie der Krieg in die Lazarethe zusammengeworfen hatte. Für sie wurden noch drei Personenwagen dem Zuge angehängt. Viele trugen Wollendecken und ihre ganze Armatur bei sich und alle sahen noch ziemlich hinfällig aus; einige mußten sogar auf den noch freien Betten des Sanitätszuges untergebracht werden.

Bei Fontenay passirten wir die letzte gesprengte Brücke; der Ort lag niedergebrannt da, und diesem Bezirk Französisch-Lothringens kostete die Heldenthat der Besatzung von Langres zehn Millionen Franken Strafe – auf kaiserlich deutschen Befehl.

In Nanzig blieben wir nur wenige Nachtstunden; der Morgen des zwölften Februar führte uns den Vogesen und dem neuen und alten Deutschland zu. Auf der ganzen Bahn lauerte ich auf die Station, wo das Volk zuerst deutsch sprechen werde. Das war in Saarburg. Ein hübsches Mädchen kommt mit einer Flasche und mit einem Glas daher.

„Was giebt’s da, Mädel?“

„En Cognac!“

„Ist er gut?“

„Ei ja, mein Herr! Wollen’s Einen?“

„Hurrah, da geht Deutschland los! Gieb Einen her!“ –

Durch die herrlichen Vogesen war’s jetzt eine ganz andere Fahrt: sie waren nun unwiderruflich deutsch und auf allen Bahnhöfen flatterten die deutschen Fahnen. – Aber erst im alten Vaterlande begann für unsere Kranken wieder die Freude der Liebesgaben: in Landau, Neustadt an der Haardt etc.; jenseits des Rheins, den wir am frühen Morgen des Dreizehnten wieder begrüßten, nahm der Abgang vom Sanitätszug seinen Anfang. Viele Officiere begaben sich nach Wiesbaden; in Babenhausen und Darmstadt blieben die Hessen, in Würzburg die Baiern zurück, und als wir am Vierzehnten die sächsische Grenze wieder erreichten, bestand die Besetzung des Zuges noch aus etwa hundert Kranken, darunter siebenzehn Officiere. Sie Alle wurden von den Jungfrauen der Stadt Plauen im Voigtland mit schönen Sträußchen geschmückt, und ein grünes Blättchen rief allen zu: „Den deutschen Siegern über französischen Uebermuth freundlichsten Gruß!“

Um zehn Uhr Nachts fuhren wir im Magdeburger Bahnhof zu Leipzig ein, und meine große Fahrt mit dem Sanitätszuge war vom Anfang bis zum Ende glücklich vollbracht.




Erinnerungen aus dem heiligen Kriege.[1]
Nr. 1. In der Gefangenschaft.


Am 11. November vorigen Jahres, wie ich Euch von Nantes aus in der höchsten Eile geschrieben, wurde ein Zug meiner Escadron beordert, einen Patrouillenritt nach Bonneval zu unternehmen. Meinen schriftlichen Gruß an Euch, den vielleicht letzten für dieses Leben, hatte ich in die Hände eines meiner Cameraden gegeben, denn ein Patrouillenritt ist ein Ritt auf Tod und Leben. Vor Bonneval Morgens elf Uhr angekommen, beorderte mich mein Zugführer in das freundlich gelegene, von zwei Chausséen rechtwinklig durchschnittene Städtchen, indem er mir zwei Husaren zur Begleitung gab. Er wies mich an, von links her in die Stadt zu reiten, er selbst wollte mit dem Rest des Zuges geradeaus gehen und mit mir auf dem Marktplatze wieder zusammentreffen.

Hätte ich doch beachten wollen und mit Rücksicht auf den mir gewordenen Auftrag meines Zugführers beachten dürfen die freundliche Warnung einer Dame, die, aus Bonneval kommend, den guten Preußen zur schleunigen Umkehr rieth, da Chasseurs und Franctireurs die Stadt besetzt hielten, ich hätte mir viel Noth und Schmerz erspart! Aber den Befehlen meines Vorgesetzten gehorchend, führte ich meinen Auftrag aus, nahm unterwegs von einem Bauer, der uns wiederholt mit „bon Prussien“ begrüßte und unseren Pferden liebkosend den Hals streichelte, ein Glas Madeira dankend an, erfuhr von ihm, daß weit und breit keine Seele von seinen bewaffneten Landsleuten zu finden sei, fand auch wirklich keine Spur derselben und ritt mit meinen Begleitern wohlgemuth nach dem Kreuzungspunkt der Chausséen. Mein Officier war noch nicht angekommen, was mich befremdete, da er den kürzeren Weg reiten wollte. Jetzt ahnete mir nichts Gutes und nachdem ich etwa fünf Minuten gewartet hatte, beschloß ich, meinem Lieutenant entgegen zu reiten. Kaum hatte ich hundert Schritt zurückgelegt, als ich im Stande war, die Straße bis zum freien Felde zu übersehen, aber auch mit Schrecken gewahr wurde, daß drei Züge Chasseurs aus einem Hinterhalte hervorbrachen und gestreckten Laufes meinen Cameraden auf den Fersen waren. Dies sehen, Kehrt machen und im Galopp den Weg, den ich gekommen, wieder zurückreiten, war das Werk weniger Augenblicke. Ich wußte den Weg frei und einmal im freien Felde hätten die schwerfälligen Chasseurpferde Mühe gehabt, uns behende Husaren einzuholen. Aber meine Rechnung war falsch. Wir waren noch fünfzig Schritte vom Thore entfernt, als, wie aus der Erde gewachsen, zwei Compagnien Franctireurs uns den Weg versperrten und eine volle Salve auf uns abgaben. Einer meiner Cameraden fiel vom Pferde von fünf Kugeln im Kopf getroffen, wie ich später sah. Wir wollten abermals Kehrt machen, aber unsere Pferde standen vor Schreck wie versteinert. Wir stießen ihnen die Sporen tief in die Seiten, aber sie rückten und rührten sich nicht! Eine zweite Salve streckte meinen zweiten Cameraden nieder, indeß mein Pferd durch den Hals geschossen wurde. Kurz darauf stürzte mein Pferd, an dessen Steigbügel sich mein Camerad angeklammert hatte, und ehe ich meinen Säbel fest fassen konnte, um mein Leben so theuer wie möglich zu verkaufen, war ich fast erdrückt von Franctireurs.

  1. Wir beginnen mit der heutigen Nummer die Reihenfolge der angekündigten „Erinnerungen aus dem heiligen Kriege“ und bitten, obwohl Material in umfassendster Weise bereits vorliegt, doch alle Freunde der Gartenlaube, namentlich Jene, welche selbst die Waffen getragen und den Sieg haben miterringen helfen, uns in unserer Aufgabe zu unterstützen. Interessante persönliche Erlebnisse und anregende Episoden aus den Erzählungen der heimgekehrten Freunde und Cameraden sind uns in hohem Grade willkommen.
    Die Redaction.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_248.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)