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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Es war wirklich zum Verwundern, wie rasch sich Jeder zurecht und das Plätzchen herausfand, das ihm am behaglichsten dünkte. Auf und am Hauptaltar wurde sofort Brod, Kaffee, Erbswurst für unsere Corporalschaft ausgepackt und durch den Führer von den Stufen herab mit Stentorstimme an die hungernden Mannen vertheilt. Gegenüber hatten auf Bündeln Stroh unter einem an der Säule hochragenden Crucifix sofort unsere eifrigsten Scatspieler Platz genommen, und um den Taufstein drängte sich Einer um den Andern, Hals und Kopf den nicht ganz zu umgehenden Geboten der Reinlichkeit zu unterziehen, und weit im Umkreis die Steinplatten mit dem unsauberen Naß beplätschernd. Oben auf der Kanzel aber hatte der Lustigste von Allen Platz genommen, der in Leipzig wohlbekannte Studiosus M. aus R. Er war fast zuletzt gekommen, da Gänge und Stühle schon alle besetzt waren. Sein Blick fiel auf die Kanzel.

„Halt,“ rief er lachend, „nun kann ich meiner Mutter doch noch einen alten Wunsch erfüllen. Sie wollte ihren Sohn immer auf der Kanzel sehen. Ich widersetzte mich, ich schwur, nie eine Kanzel zu betreten, ich wollte Medicin studiren. So geschah es auch. Aber heut’ will ich meinen Schwur brechen, heut’ will ich die Kanzel betreten; schade nur, daß es mein altes Mütterchen nicht sehen kann.“

Sprach’s und eilte, unter dem Jubel der Cameraden, die Wendeltreppe hinauf; wie er aber oben mit Helm und Bajonnet erschien, ertönte plötzlich ein voller stolzer Klang durch die Kirche – ein Anderer hatte den Weg zur Orgel gefunden, ein Blasebalgtreter hatte sich auch gleich herangemacht, und nun brausten die mächtigen Töne herunter in das Schiff der Kirche, und alle die kräftigen Stimmen fielen in die wohlbekannte Melodie mit ein und aus wohl über hundert Kehlen scholl es: „Fest steht und treu die Wacht am Rhein.“ Studiosus M. aber, dem offenbar nicht entging, daß er zur Zeit nicht die wünschenswerthe Aufmerksamkeit für die von ihm beabsichtigte Predigt finden werde, verlegte sich auf eine praktischere Beschäftigung, und klopfte sich, die Cigarre zwischen den rothbebarteten Lippen, die staubigen Hosen aus, selbstverständlich nicht am Leibe.

Durch das Fenster aber fiel der volle Strahl der Nachmittagssonne und beleuchtete die in ihren Gegensätzen wahrhaft abenteuerliche Scene so wirkungsvoll, daß ich, wie gesagt, Stift und Skizzenbuch aus der Tasche zog, die Hauptumrisse des Bildes in aller Eile festzuhalten.

Inzwischen ist es Abend geworden und die Nacht ist hereingebrochen, die Gesänge der Leute sind verstummt, Einer um den Andern hat sich ermüdet in das Dunkel der Gänge und Chorstühle zurückgezogen, mir selbst sind die Augen so schwer, daß ich kaum diesen Brief an Sie vollenden kann. Dort in der Ecke nur, nahe am Altare, hat die alte unverbesserliche Scatgesellschaft ihren Platz noch immer nicht geräumt. Die schweren silbernen Kirchenleuchter spenden das nöthige Licht zu dem unheiligen Spiel, Karte um Karte fliegt aus der Hand der Spieler, mancher unchristliche Ausruf preßt sich durch die Lippen des Verlierenden, als Tisch aber dient, nur von den Knieen der einzelnen Umsitzenden getragen, ein großes Oelbild, auf dem eine Menge Namen verzeichnet stehen und das als Ueberschrift die Worte trägt: ‚Association des enfants de Marie.‘“


Prinz Friedrich Karl. Zu einer städtischen Deputation, die dem Feldmarschall Prinzen Friedrich Karl eine Dankadresse in seiner Wohnung im königlichen Schloß zu Berlin überreichte, that derselbe unter Anderm folgende Aeußerung: „Ja, es ist in diesem Kriege denen daheim doch nicht immer rasch genug mit den Siegen der Armeen und ihrer Führer gegangen. Haben mir doch meine eigenen Kinder mal geschrieben: ‚Warum hast Du denn so lange nicht gesiegt, Papa? Siege doch mal wieder!‘“

Von großem Interesse war, was der prinzliche Führer über die neu gestifteten französischen Armeen sagte. Es wäre ganz bewunderungswürdig, wie ihre Herstellung mit solcher Schnelligkeit und Sicherheit möglich gewesen; gewiß wäre das nirgendwo einem geschulten Kriegsminister gelungen, es gehörten dazu revolutionäre Elemente mit ihrem eigenthümlichen Einfluß auf die Menschen. Das wäre auch in ähnlicher Weise von den Generalen zu sagen, die aus der Mitte dieser Armeen hervorgegangen seien; sie hätten in der That Erstaunliches geleistet, und hätte man den Mann Gambetta in eine Generalsuniform gesteckt, er würde ohne Zweifel sie noch weit übertroffen haben. Auch in dieser Richtung sei die Bedeutung des revolutionären Geistes stark hervorgetreten. Beim ersten Anprall seien gerade auch die neu formirten Armeen sehr gewaltig gewesen, wie man das ja schon von Cäsar’s Zeit her kenne, und hier um so mehr, als die meist so jugendlichen Soldaten von den Gefahren des Kampfes keine Vorstellung gehabt hätten. Um so schneller wäre freilich auch die Muthlosigkeit gewesen. Uebrigens müsse immer wieder hervorgehoben werden, daß seine Armee mit alleiniger Ausnahme des 18. August stets gegen die größte Uebermacht, meistens eine dreifache, gekämpft hätte. Um so bewunderungswürdiger wären ihre Leistungen.


Die Parkirung der Bourbaki’schen Armeepferde. Nachdem wir bezüglich des Ueberganges der Bourbaki’schen Armee über die Schweizer Grenze in Bild und Wort bereits ausführlich berichtet haben, lassen wir – weil sie für das entsetzliche Elend der französischen Südarmee gar so charakteristisch ist – als begleitenden Text zu unserer heutigen Illustration aus Neuenburg noch nachstehende Mittheilung folgen:

Mannschaft und Officiere der in die Schweiz gedrängten Bourbaki’schen Armee waren vertheilt nach den verschiedenen Cantonen der Schweiz, die Nachzügler selbst hatten allmählich Obdach in einem Verpflegungsort gefunden, dem menschlichen Elend war nach Kräften gesteuert; allein nicht so stand es um die Pferde, um diejenigen nämlich, welche nicht Privat-, sondern Staatseigenthum waren und unter eidgenössische Verpflegung kamen.

Wir sahen die Train-, die Artilleriepferde mühsam ihre Last ziehen, die Reiterpferde unter ihren Reitern keuchen. Gleich den Soldaten war auch ihr erstes Ziel Neuenburg, um von da längs dem See nach dem sonst so lieblichen Colombier gebracht zu werden. Dort und auf der Neuenburger Promenade im Winterschmucke fanden die erschöpften, halb ausgehungerten Pferde, von denen viele noch rotzkrank waren, ein Unterkommen unter freiem Himmel. In dem Zustande, in welchem sich die meisten Thiere befanden, schon mehr oder minder gewöhnt an die Schneeluft der Berge, wäre eine zugleich auch ausgedehnte Räumlichkeiten erfordernde Bestallung den Thieren schädlich gewesen; die Verwahrlosung in ihrer Ernährung während der letzten Zeit hatte auch bei vielen den inneren Organismus gestört, sie vermochten die gewöhnliche Nahrung der Pferde nicht zu ertragen. Sie benagten die Bäume, die Bänke der Promenaden. Hunderte brachen verendend zusammen und mußten verscharrt werden.

Weder Trainsoldaten, noch irgend einer der Berittenen der Armee fanden sich verpflichtet, in irgend einer Weise des oder der ihnen anvertrauten Pferde sich anzunehmen, und so fiel die Sorge für diese Thiere, deren Zahl bis zu mehreren Tausenden anwuchs, allein den schweizerischen Mannschaften zur Last. Der Raum, wo die Thiere parkirten, war durch Wachmannschaften umstellt, welche keinem Unberechtigten den Eintritt gestatteten.

Schon in den ersten Tagen kamen von allen Seiten mit der Bahn Kauflustige, Speculanten, um für billigen Preis Pferde anzukaufen; allein nur solche, welche erwiesenermaßen das Privateigenthum Einzelner waren, durften von diesen verkauft werden, also einzig nur Officierspferde. Die meisten Officiere jedoch, welche noch diensttaugliche Pferde hatten, behielten dieselben. Eigenthümlicher Weise schienen die Pferde höherer Officiere, trotz dem doch allgemeinen Futtermangel bei der Armee in letzter Zeit und den Spuren der erlittenen Strapazen der Staatspferde, in sehr gutem Zustande; bei manchen bemerkte man kaum, daß sie einen Feldzug mitgemacht.

Es machte einen betrübenden Eindruck, dieses weithin ausgedehnte, „Pferdelager“, das klagende Wiehern der Thiere durch die kalte Abendluft, der verendende Kampf, das Zusammenbrechen – und wenn mit dem Morgengrauen die Runde ging, da lagen wieder Dutzende todt und starr!

Endlich schlug aber auch für die Thiere, welche der Tod nicht von ihren Leiden befreit, die Erlösungsstunde, die Stunde der Internirung, um nach einigen Cantonen vertheilt an die Meistbietenden versteigert zu werden. Schon waren manche zu vergleichsweise hohen Preisen losgeschlagen, als der unterzeichnete Friede die Versteigerungen hemmte und so die Uebrigbleibenden der Heimath, ihrer „Nationalität“, zurückgegeben wurden.

v. Cl.

Der Werth geographischer Kenntnisse hat schlagender als je sich dargethan in dem soeben vollendeten großen Kriege zwischen Deutschland und Frankreich. Während unsere Gegner bis zur höchsten Führerschaft hinauf sich durch Unkenntniß sogar ihres eigenen Landes auszeichneten, hatte fast jeder deutsche Soldat seine Karte vom Kriegsschauplatz in der Tasche und wußte Bescheid darin. Der geographische Unterricht wird daher auch jetzt mehr, als früher, in der Volksschule Platz finden. Soll er aber mit Erfolg betrieben werden, so darf der Zögling nicht auf die große Wandkarte der Schule angewiesen sein, sondern muß seinen Atlas auch daheim vornehmen können. Dieser Wunsch gehörte zu den schwer ausführbaren, so lange der Preis der Atlanten sich noch nach Thalern berechnete. Wir müssen deshalb ein Unternehmen mit Freuden begrüßen, welches im Stande ist, dem ärmsten Kinde seinen Atlas, und zwar in Farbendruck und in vierundzwanzig Karten, in die Hand zu geben. Das ist der „Volks-Atlas über alle Theile der Erde für Schule und Haus von Dr. E. Amthor und Wilhelm Ißleib“ im Verlag von Ißleib und Rietzschel in Gera, der nur 7½ Sgr. oder 27 Kreuzer s. W. kostet. Diese Karten sind nicht nur die billigsten, welche der Schulbuch-Handel kennt, sondern sie zeichnen sich auch durch gewissenhafte Arbeit in Entwurf, Schrift und Colorirung aus und verdienen die Verbreitung, die ihnen zum Theil jetzt schon in zwölf Auflagen geworden ist.


Vermißte Landsleute. Ist es uns auch noch nicht möglich, die regelmäßige Rubrik der Fragen und Auskunft über vermißte Deutsche schon jetzt wieder aufzunehmen, so wollen wir doch mit den dringenderen Fällen beginnen und bitten heute für folgende um die Theilnahme unserer freundlichen Leser.

Der Zimmermann Friedrich Koch, ansäßig in Zeitz, Sohn des Kaufmanns Karl Koch daselbst, ist vor ungefähr zwölf Jahren nach Nordamerika ausgewandert und hat seit länger als neun Jahren keine Nachricht von sich gegeben. Nach Mittheilungen Dritter soll er im Secessionskriege gefallen sein. Amtliche Ermittelungen haben ergeben, daß ein Mann des Namens Friedrich Koch in der Gegend von Glenhope gewohnt, verheirathet gewesen sei und Kinder gehabt habe; später wurde ermittelt, Friedrich Koch aus Zeitz sei bei Richmond gefallen und habe einen in der Nähe von Gem-Hope oder Glen- oder Glam-Hope wohnenden Sohn hinterlassen. Bei welchem Truppentheil Koch gestanden, ist ebensowenig ermittelt, als die genaue Adresse seines Sohnes. Es fehlt also die amtliche Bescheinigung seines Todes und die Feststellung der Existenz seines Sohnes – die beide unentbehrlich für eine Erbschaftsregelung sind. Ist einer unserer Leser im Stande, hierüber Andeutungen zu ertheilen, so bitten wir, dieselbe dem deutschen Consul in Philadelphia zugehen zu lassen, der darauf weitere Schritte zur Aufklärung der Sache thun wird.


Ein Sohn sucht seine Mutter! Die Schauspielerin Emilie Schneider, geborene Zimmermann, aus Berlin, hat vor sechszehn Jahren mit dreien ihrer Kinder, Marie, Albert und Antonie, sich plötzlich von der Conradi’schen Truppe in Schlesien entfernt, aber einen Sohn, Otto, bei dem Director Conradi, dem Oheim des Knaben, zurückgelassen. Dieser Sohn hat seitdem Mutter und Geschwister nicht wieder gesehen und bittet nun dringend, ihm durch die Gartenlaube Nachricht zu geben, wer von seinen verschollenen Angehörigen noch am Leben sei und wo er es auffinden könne. Der Fall ist so seltsam, daß ihm die allgemeine Theilnahme nicht entgehen wird.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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