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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


„Sie wollen nach Paris? Man spricht ja von einem möglichen Kriege mit Frankreich.“

Alison zuckte die Achseln. „Ich glaube nicht daran, sollte es aber dennoch dazu kommen, so würde ich natürlich zurückkehren, um Ihnen zur Seite zu sein, und Sie fortzuführen, wenn die französischen Heere den Rhein und ganz Deutschland überschwemmen.“

„Setzen Sie das so ganz bestimmt voraus?“

„Ja! Nehmen Sie etwas Anderes an?“

Jane hob mit dem ihr eigenen trotzigen Ausdruck den Kopf. „Es könnte doch sein, daß wir unsern Rhein vertheidigen!“

Wir? Unseren Rhein?“ wiederholte Alison scharf. „Ich dächte, Miß Forest hätte bisher ihren Stolz und ihre Ehre darein gesetzt, eine Tochter des Landes zu heißen, dem sie in Allem angehört – die ersten kurzen Lebenstage ausgenommen.“

Jane biß sich so heftig auf die Lippen, daß ein leichter Blutstropfen hervordrang. Wer hieß diese unvorsichtigen Lippen auch gerade hier eine Reminiscenz wiederholen, die nicht aus ihrem Gedächtniß wollte. „Wir! Unser Rhein!“ Ihre eigenen Worte waren das freilich nicht, und die Erinnerung an den Moment, wo sie dieselbe so glühend und begeistert aus einem andern Munde gehört, trieb ihr unwillkürlich eine helle Röthe in’s Antlitz; sie wandte sich rasch ab und beugte sich über die am Fenster stehenden Blumen.

Alison beobachtete sie schweigend, aber scharf und unverwandt. „Es scheint, Sie haben hier bereits deutsche Sympathien eingesogen?“ sagte er endlich.

„Ich?“ Jane wandte sich mit einer halb zornigen Bewegung ihm wieder zu. „Sie irren, Henry! Ich fühle mich hier überall beengt, gepeinigt, ich bringe täglich und stündlich ein neues Opfer mit diesem Aufenthalt! Es ist kaum zu ertragen!“

Es lag trotz aller Beherrschung doch eine eigenthümliche Heftigkeit in ihrem Tone, und Alison, der sie stets so kalt gesehen, entging dies nicht, aber er deutete es falsch; seine Augen leuchteten plötzlich auf in tiefster innerster Genugthuung, er trat ihr ganz nahe und ergriff auf’s Neue ihre Hand.

„Nun denn, Jane, es steht ja nur bei Ihnen, dies Opfer abzukürzen! Geben Sie mir schon jetzt das Recht, das Sie mir erst nach Jahresfrist zugestehen wollten, und das zu erreichen mein größter Wunsch ist. In wenig Wochen können die nöthigen Formalitäten abgemacht sein, wir treten dann zusammen die Weiterreise durch den Continent an, oder ich führe Sie, wenn Sie es wünschen, sofort nach Amerika zurück.“

„Nein, Henry, nein! Das ist unmöglich!“

Alison ließ ihre Hand fallen und trat finster einen Schritt zurück. „Unmöglich!“ wiederholte er schneidend, „und weshalb?“

Jane mochte wohl fühlen, daß ihre fast ungestüme Abwehr eine Erklärung nothwendig machte.

„Ich trage noch die Trauer um meinen Vater!“ sagte sie milder, „und ich folge überhaupt in dieser ganzen Angelegenheit einzig seiner Bestimmung und seinem Wunsche.“

„Es war Ihr Wunsch, Jane, nicht der des Mr. Forest. Ich begriff es, daß Sie im Angesicht eines sterbenden Vaters nicht Braut heißen mochten, und meine eigene Reise war es, die den Zeitpunkt unserer Vereinigung so weit hinausschob. Jetzt existirt jener Grund nicht mehr, und diesen hat der Zufall aufgehoben, der uns bereits nach Monaten wieder zusammenführt. Sie wollen während des Trauerjahres keine Vermählung feiern – sei es, ich will Sie nicht dazu drängen, aber ich bitte jetzt, ich fordere es, daß Sie unsere gegenseitigen Beziehungen nicht länger mit diesem strengen Geheimniß umhüllen, daß Sie sich öffentlich als meine Braut bekennen und mir das Recht geben, als Ihr Verlobter Sie im Hause Ihrer Verwandten aufzusuchen.“

Es lag eine solche Energie in seinem Tone, eine solche Entschiedenheit in seiner doch nur berechtigten Forderung, daß eine Zurückweisung derselben unmöglich schien, und eine Andere hätte dies auch schwerlich gewagt, aber Alison vergaß, daß Jane ihm gewachsen war, daß ihre Energie der seinigen nichts nachgab, und daß dieser Ton am wenigsten geeignet war, sie nachgiebig zu stimmen. Das „ich fordere“ klang sehr ungewohnt und unhold in den Ohren des stolzen Mädchens, ihr ganzer Trotz brach hervor.

„Sie vergessen, Mr. Alison, daß die Zeit noch nicht da ist, wo Sie ‚fordern‘ dürfen,“ sagte sie kalt. „Ich habe Ihnen eine Bedingung auferlegt, die Sie zu erfüllen versprachen, die Gründe dafür unterliegen jetzt wie damals einzig meiner Beurtheilung. Ich entlasse Sie Ihres Versprechens nicht. Ich will nicht!“

Die ganze energische Willenskraft der jungen Dame lag in diesem „Ich will nicht!“ und es klang genau so herausfordernd und beleidigend, wie vor wenigen Tagen ein anderes Wort aus ihrem Munde. Vielleicht wollte sie auch hier zum Aeußersten treiben, aber diesmal war die Wirkung eine andere.

Auch Alison schwieg einige Secunden lang. Wäre Jane blos schön, nicht reich gewesen, das verletzte Selbstgefühl des Mannes hätte ihm vielleicht eine Antwort eingegeben, die bei der Schroffheit dieser beiden Charaktere unvermeidlich zum Bruch hätte führen müssen. Aber der junge Kaufmann verstand zu rechnen, er wollte diesen kostbaren Besitz nicht aufgeben einer Frauenlaune wegen und wußte zu gut, daß er hier noch keine Macht geltend machen dürfe. Er fügte sich, aber es lag eine drohende Wolke auf seiner Stirne.

„Sie sind unzugänglich und hart, Jane, wie ein Fels! Sei es denn nach Ihrem Willen, aber,“ seine Stimme bebte in verhaltenem Groll, „vergessen Sie nicht, daß auch ich ein Versprechen empfangen habe, und daß ich es seiner Zeit ebenso unerbittlich einfordern werde, wie Sie jetzt das meinige.“

Jane war bleich geworden, aber ihr Auge begegnete fest und furchtlos dem seinen. „Mein Wort hat die Bedeutung eines Schwures, ich breche eins so wenig wie den anderen.“

„Und Sie wiederholen mir diesen Schwur jetzt mit freiem Willen?“ Sein Auge ruhte durchbohrend auf ihrem Antlitz, es schien als zögere sie eine Secunde, nur eine einzige, dann legte sie ihre Hand rasch in die seine.

„Ich wiederhole ihn – freiwillig!“

Alison athmete tief auf, er preßte ihre Finger mit kernhaftem Druck. „Ich danke Ihnen, Jane! Im Frühjahr kehre ich zurück, um mein Weib zu fordern; bis dahin seien Sie frei, wie Sie es gewünscht haben!“ – Es trat eine Pause ein, drückend für Beide; Jane war es, die zuerst wieder sprach.

„Ich fürchte, wir dürfen die Unterredung nicht länger ausdehnen. Es möchte Zeit sein, daß wir zu meiner Tante und Mr. Atkins zurückkehren.“

Alison erwiderte nichts, er öffnete schweigend die Thüre und folgte ihr in das andere Zimmer, wo inzwischen auch Dr. Stephan erschienen war, dessen joviale Lebhaftigkeit, die den Malicen Atkins’ nichts schuldig blieb, das Gespräch besser in Gang zu halten wußte.

„Nun, wie fanden Sie Miß Jane?“ fragte Atkins, als er eine halbe Stunde später seinen jungen Landsmann hinaus begleitete.

„Verändert!“ lautete die kurze finstere Antwort.

Atkins machte eine ärgerliche Miene. „Thorheit! Sie sind verändert, Henry! Sie haben sich in England den Spleen geholt; es ist Zeit, daß das lustige Paris Sie davon curirt.“

Alison gab keine Antwort, er reichte ihm flüchtig die Hand und ging. – Inzwischen war Jane in ihr Zimmer zurückgekehrt, wohin Atkins ihr jetzt folgte. Sie trat ihm entgegen und rasch, als solle damit jedes andere näherliegende Thema abgeschnitten werden, fragte sie: „Sie bringen mir Nachrichten über Ihre Reise? Ich kann mir den Erfolg denken! Umsonst, wie Alles, was bisher geschah!“

„Diesmal nicht!“

Jane blickte ihn an, als traue sie ihren Ohren nicht. „Wie sagen Sie?“

„Wir haben eine Spur!“

Jane zuckte auf. „Von meinem Bruder?“

(Fortsetzung folgt.)




Aus der Wandermappe der Gartenlaube.
Nr. 8. Eine Besteigung des Großglockners.


Bis in die neueste Zeit waren die Glanzpunkte unserer Hochalpen leider ausschließliches Eigenthum kühner und gewandter Bergsteiger, und die Schönheiten unzähliger Panorama’s und Detailansichten dem größten Theile des Publicums so gut wie verschlossen. Erst der Gegenwart gebührt der Ruhm, selbst die gefährlichsten, ja früher fast für unersteiglich gehaltenen Spitzen zum Gemeingute Aller gemacht zu haben. Hinter der Schweiz, die den ersten Anstoß gegeben, ist auch das Schwesterland Tirol nicht zurückgeblieben,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_280.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2020)