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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

des Sees aufhielten und deren Reste in den Schlamm eingehüllt wurden, sind zu erwähnen: Hirsche, Hasen, Mastodonten und einige Vogelarten. Das Mastodon gehörte einem ausgestorbenen Geschlechte an; es ist sehr nahe verwandt mit dem Elephanten.

Daß zur Zeit des Oeninger Sees eine Menge Insecten die Luft durchschwirrten, geht daraus hervor, daß bis jetzt von dort nicht weniger als achthundertsechsundzwanzig verschiedene fossile Arten dieser Thiere bekannt wurden. Es sind darunter die verschiedensten Käferarten, Heuschrecken, Ameisen, Bienen, Hummeln, Wespen, Fliegen, Mücken und Wanzen vertreten.

Zur Zeit, als dieser See existirte, entwickelten in seiner Nähe mehrere Vulcane eine lebhafte Thätigkeit. Der Hohentwiel, Hohenkrähen und die übrigen Hegauer Kegelberge schleuderten damals ungeheure Massen vulcanischen Sandes, Lapilli und Bomben aus ihren Kratern. Es geht dies daraus hervor, weil man am Hohenkrähen im vulcanischen Tuffe genau dieselben Pflanzenarten, nur nicht so zahlreich und nicht so schön erhalten wie bei Oeningen, findet.

Eine Pflanzen- und Thierwelt, wie sie zur Zeit des Oeninger Sees in unserer Gegend vorhanden war, könnte aber unmöglich existiren bei unserem jetzigen rauhen Winter. Es liegt daher klar auf der Hand, daß damals in diesen Gegenden auch ein viel milderes Klima herrschen mußte. Professor Heer hat aus einem sorgfältigen Studium der Tertiärpflanzen abgeleitet, daß zur Oeninger Zeit unsere mittlere Jahrestemperatur achtzehn bis neunzehn Grad Celsius, also etwa neun Grad höher als jetzt, gewesen sein müsse. Es entspricht dies einem Klima, wie man es jetzt etwa auf Madeira oder in Südspanien, Südsicilien oder im südlichen Japan antrifft.

Auf die Frage, wie lange es wohl schon sein möge, seit am Oeninger Tertiär-See eine subtropische Pflanzenwelt existiren konnte, läßt sich keine bestimmte Antwort geben; nur das ist sicher, daß man die Jahre, die seitdem verflossen sind, nicht allein nach Tausenden, sondern auch nach Millionen zählen müßte. Menschen gab es damals noch nicht, aber doch wenigstens Affen; wenn uns die Oeninger Kalkmergel auch noch keine Ueberreste von diesen letzteren zeigten, so finden sich doch an anderen Localitäten Ablagerungen aus denselben Zeitalter mit solchen.

L. Würtenberger.


Der Sohn der Wildniß und seine Amme.

Das Jahr 1871 hat uns Deutschen im großen Ganzen so Schönes und Herrliches gebracht, daß es fast zu wundern ist, wenn es einem Einzelnen noch etwas Besonderes bringt, worüber sich dieser Glück zu wünschen hat. Etwas dergleichen ereignete sich für alle Freunde der Naturgeschichte, als die schöne Tigerin des Dresdener Zoologischen Gartens am 22. März dieses Jahres wieder einmal Junge bekam, und zwar nicht mehr und nicht weniger, denn drei Stück. Wieder einmal; denn schon fünf Mal vorher war dies der Fall gewesen, und eine wahre Tigerherde müßte es geben, wenn sie alle noch lebten. Aber leider lebt kein Einziges von diesen früher geborenen Jungen, nachdem die alte Tigerin niemals Milch hatte, um sie säugen zu können. Alles wurde damals von dem unermüdlichen Director Schöpf[WS 1] versucht, um die Jungen am Leben zu erhalten; denn da im Zoologischen Garten zu Dresden die Zucht von Löwen, Bären, Puma’s etc. ein fast regelmäßiges und natürlich einträgliches Geschäft geworden ist, und nur die Tigerzucht noch nicht gelang, so mußte schon deswegen der Wunsch nach diesem Erfolg immer lebhafter werden. Der Direktor versuchte es also bisher mit allem Möglichen: mit Hündinnen, mit Ziegenmilch, mit Kuhmilch, mit der Saugflasche, mit Löffel, mit Spritze, aber stets starben die jungen Tiger nach wenigen Tagen. Einen Andern hätte wohl diese Erfolglosigkeit ermüden können, nicht aber unsern Schöpff. Als er jetzt beim sechsten Male die Wurfzeit der Tigerin herannahen sah, bat er in öffentlichen Blättern etwaige Eigenthümer von tragenden ober säugenden Hündinnen um betreffende Mittheilung, und der glückliche Zufall fügte es, daß, als die Tigerin nun wirklich Junge bekam, eine Hühnerhündin, welche sich im Besitz des Herrn Erb- und Lehngerichtsbesitzers Schlotter zu Langebrück befand, eben auch erst Junge geworfen hatte. Da der Besitzer mit einer Gefälligkeit, für welche ihm der Zoologische Garten sehr verpflichtet ist, sich zur Darleihung der Hündin bereit erklärte, so handelte es sich zunächst um einen Versuch, ob dieselbe die jungen Tiger auch annehmen würde. Ein Transport der Hündin selbst hätte zunächst den Erfolg dieses Versuchs fraglicher gemacht, und so traten denn die zwei jungen Tiger (den dritten hatte man zunächst bei seiner Mutter gelassen, um möglicherweise doch noch die Milch derselben herbeizuziehen) die Probereise, wohlverpackt in einem Korbe mit einer Wärmflasche, nach Langebrück an. Der Erfolg war vollständig; mochte es der Hündin bei ihren neun Jungen, von denen man ihr nur zwei gelassen hatte, vor Allem auf Ersatz, gleichviel welchen, ankommen, oder fühlte sie eine wirkliche Neigung für die plumpen, putzigen Kleinen, kurz die Tiger wurden sofort an Kindesstatt angenommen und ließen es sich dabei ganz wohl sein, indem sie sich sofort dem Soff ergaben.

Jetzt war die Hauptsorge beseitigt, der Rücktransport der Tiger mit ihrer nunmehrigen Amme und deren zwei Kindern ging vor sich, und zur größern Sicherung des Erfolgs begleitete sogar der Besitzer der Hündin dieselbe bis zum Zoologischen Garten, damit das Thier sich dort besser eingewöhnen möchte. Auch das gelang, und so wohnt nun schon seit Wochen die Tiger-Amme mit ihren Pfleglingen in einer eigenen Kammer des Raubthierhauses und empfängt dort ungescheut die zahlreichen Besuche der schaulustigen Dresdener.

Gerade diese große Sanftmuth der Hündin, welche es zuläßt, daß das Publicum sich massenhaft und dicht an sie und die Tiger herandrängt und diese sogar anfaßt und streichelt, trägt natürlich sehr zur Beliebtheit der ganzen Gruppe und zum zahlreichen Besuch des Gartens bei, denn das Bewußtsein, einen Tiger gestreichelt zu haben, ist so doch am Ende auch nicht zu verachten.

Vom Director des Gartens erhielt ich eine freundliche Benachrichtigung über das Ereigniß, nachdem die Tiger ungefähr acht Tage alt waren, natürlich mit einer Einladung zum Besuch. Nach einer Woche machte ich mich denn auch daran, den Tigern meine Aufwartung zu machen, und ich gestehe, daß der Anblick ein reizender und gemüthlicher zugleich war. Der Hündin hatte man ihre eigenen Jungen kurz vorher genommen und zu einer andern gebracht, um den Tigern die ganze Milch zukommen zu lassen, und außer dieser genossen die Pfleglinge nun auch die ganze Zärtlichkeit ihrer Amme. Deren ganzes Benehmen war überhaupt so aufrichtig mütterlich, daß sie von dem ganzen Schwindel schwerlich eine Idee hatte und wahrscheinlich den Glauben hegte, daß diese ihre Jungen sich nur etwas verändert hätten. Freilich war dies dann ein starker Glaube, denn hundehaft benahmen sich die jungen Tiger allerdings nicht. Während junge Hunde in den ersten Wochen keinen andern Ton haben als ein jämmerliches Winseln, waren die Töne der Tiger ein fortwährendes Raisonniren, besonders arg dann, wenn sie die gesuchte Nahrungsquelle nicht gleich fanden. Denn obgleich sich bereits nach zwei Wochen ihre Augen öffneten, so wußten sie doch offenbar davon anfangs keinen Gebrauch zu machen und blinzelten höchst blöde vor sich hin. Bei diesem erwähnten Suchen nach der Stoffquelle gebrauchten sie übrigens ihre kurzen Beine mit großer Energie, und sie würden ihre Pflegemutter dabei über und über blutig gerissen haben, wenn ihnen ihre erstaunlich scharfen Krallen nicht bereits zweimal vom Director beschnitten worden wären.

Die prachtvolle Erscheinung des erwachsenen Tigers, die gewiß kein eindruckfähiger Beschauer vergißt, war nun allerdings bei diesen Jungen noch sehr im Keim versteckt. Aber kann man dies ihnen vorwerfen, oder etwas Anderes erwarten? Ist etwa der Mensch, diese Krone der Schöpfung, im Alter von zwei Wochen etwas sehr Prachtvolles? Und so gleicht denn der junge Tiger von zwei Wochen einem kleinen braunen, schwarzgestreiften Wollsack, an dem unten vier kurze Beine, ein kurzes spitzes Schwänzchen hinten und ein streifenreicher, fast kugelrunder Kopf vorn befestigt sind. Daß die Beine zum Gehen sind, muß Tiger und Beschauer mehr ahnen, wenn letzterer nicht schon sichere Nachrichten darüber hat, denn fortwährend stolpert das kleine Tigerchen über die vielen Beine, fällt um, auf den Rücken und braucht dann sehr viel Zeit, um wieder den Bauch unter sich zu haben.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Schöpff
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_335.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)