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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


befand sich Napoleon auf dem Zenith seiner Macht, Preußen aber schien so tief gedemüthigt zu sein, daß Viele zweifelten, ob es sich jemals werde wieder aufraffen können. Als später trotz alledem für den blutigen Corsen die Stunde des Unterganges schlug, da war Capitain Lahrbush einer derjenigen, denen das schwierige Amt beschieden wurde, Napoleon in St. Helena zu bewachen, denselben Napoleon, welchen er acht Jahre vorher den Frieden von Tilsit hatte unterzeichnen sehen. Er hat auch gelebt, um zu sehen, wie die 1807 so tief gedemüthigten Deutschen allein und ohne Hülfe Paris eingenommen und sich zu der Stellung aufgeschwungen haben, welche von 1805 bis 1812 Frankreich inne gehabt hatte. Er hat gelebt, um zu sehen, wie der Sohn jenes Friedrich Wilhelm, mit welchem er von Jena floh, die seinem Vater und seiner Mutter angethanen Unbillen vollgültig gerächt hat, und was mehr ist, er hat gesehen, wie der König von Preußen, dessen Vorfahren verpflichtet waren, bei der Krönung dem Kaiser von Deutschland die Kanne und das Waschbecken zu halten, durch den einstimmigen Willen der Fürsten und des Volkes selbst zum Kaiser von Deutschland erhoben worden ist, nachdem er in zwei mächtigen Kriegen zwei Kaiser besiegt hat, deren einer der Neffe jenes Napoleon war, dessen Brutalität die Königin Louise zum Opfer fiel.

Dieses sind mächtige Wandlungen, und unwillkürlich wird man zum Nachdenken angeregt, wenn man bei einem Manne sitzt, welcher ehrwürdige Königreiche, gigantische Kaiserreiche und mächtige Republiken überlebt hat. Aber es ist noch merkwürdiger, zu denken, daß wir soeben die Gesundheit eines Menschen getrunken haben, der zehn Jahre älter ist, als die Vereinigten Staaten, deren Bürger wir sind, eines Menschen, welcher trotz aller Veränderungen, deren Zeuge er in Europa gewesen war, niemals während der Rebellion der Sclavenhalter an der Republik verzweifelte. Als der Capitain 1766 geboren wurde, hatte Frankreich gerade seinen Halt im Norden Amerikas verloren; dagegen blieb es im Besitz Louisianas noch länger als ein halbes Jahrhundert. Unser Gast hatte fast Dreiviertel eines Jahrhunderts gelebt, ehe die goldenen Thürme Spaniens dem Sternenbanner in Florida Platz machten. Als derselbe in der Blüthe seiner Kraft stand, waren die Colonien noch nicht ihren Flegeljahren entwachsen, unser Volk vertheilte sich entlang der atlantischen Küste auf wenige Städte und schwache Ansiedelungen, welche zerstreuter umher lagen, denn die Städte und Dörfer jener Staaten, welche in den Verband der Union zu einer Zeit aufgenommen wurden, als der Capitain bereits jenes Alter erreicht hatte, welches der Psalmist als die äußerste Grenze des menschlichen Lebens bezeichnet. Er hatte in Wahrheit bereits die Mannesjahre hinter sich, als das ganze Land jenseits der Alleghanies noch eine große Wildniß war. Doch ich will Sie nicht weiter mit Anspielungen auf den Fall und das Entstehen von Reichen ermüden und nur noch hinzufügen, daß Capitain Lahrbush gelebt hat, um zu sehen, wie dieselbe Nation, welche zur Zeit ihrer Kindheit bei England vor den Franzosen und Indianern Schutz suchte und später Frankreichs Hülfe gegen England und seine wilden Alliirten anrief, durch die bloße Macht ihres Wortes den Despoten Frankreichs, vor dem sich damals ganz Europa beugte, zwang, seine räuberische Hand von Mexico zurückzuziehen.

Welch eine Erfahrung ohne Gleichen, die jener Mann dort aufzuweisen hat, der mit einem selten erreichten Gedächtniß alle diese Ereignisse in fünf Sprachen zu erzählen weiß! Noch größere Wunder liefert die Geschichte seines eigenen Lebens. Er hat sich unbesiegbar gezeigt gegenüber den Gefahren des Krieges, der Krankheit, des Landes und der See. Auf dem Schlachtfelde als todt zurückgelassen, durch den Ocean bewußtlos wieder ausgespieen, auf das Krankenbett durch die Pestilenz geworfen, sitzt er dort mit Augen so klar, als ob er auf seinen großen Führer Wellington blicke, als ob er soeben von demselben das Ehrenzeichen empfinge, welches auf seiner Brust glänzt.

Wenn wir bedenken, daß derselbe seit mehr als fünfzig Jahren sein Leben durch den Genuß von Laudanum erhalten hat, welches er in täglichen Dosen genießt, die ausreichen würden, um zweimal so viel Menschen, als hier um den Tisch sitzen, zu tödten, so scheint dieses fast unglaubhaft. Aber was sollen wir erst sagen, wenn wir erfahren, daß der Capitain einst aus Gesundheitsrücksichten in einer einzelnen Dosis so viel Körner Opium nahm, als genügen würden, um eine der Zahl seiner Lebensjahre entsprechende Menge gewöhnlicher Menschen in die Ewigkeit zu spediren! Lassen Sie Denjenigen, welcher hieran zweifelt, den Capitain auffordern, ihm Bescheid zu thun in dem größten Becher voll Laudanum, und er wird sehen, daß unser Gast so ungestraft denselben leert, wie andere Leute ihr Glas Claret oder Burgunder. Doch ich habe bereits zu lange ihre Aufmerksamkeit in Anspruch genommen und räume Anderen das Feld. Ich schließe mit dem Wunsche, daß der Capitain noch bei vielen ähnlichen Gelegenheiten präsidiren und daß der Himmel uns Allen die Gesundheit und die Lust verleihen möge, über’s Jahr uns an derselben Stelle wieder zu versammeln.“

Wen von uns ergreift nicht Erstaunen, wenn er ein derartiges Leben, wie es uns in den soeben citirten Worten vorgeführt wird, im Geiste überschaut! Hinzufügen wollen wir noch, daß die Freunde des Capitain Lahrbush an demselben während der langen Jahre, die sie ihn kennen, auch nicht die geringste Spur eines Verfalls seiner körperlichen oder geistigen Kräfte bemerkt haben und durchaus nicht daran zweifeln, daß der unverwüstliche Capitain, der eben aus einem ganz anderen Stoffe geschnitzt zu sein scheint als die übrigen Sterblichen, noch oft seinen Geburtstag in heiterer Gesellschaft erleben wird.


Eine Wehrmannswaise gesucht! Ein kinderloses Ehepaar in gesicherten Verhältnissen spricht uns einen Wunsch aus, den wir mit Freude hiermit veröffentlichen: den Wunsch, ein gesundes Mädchen, wenn möglich im Alter von ein bis drei Jahren, Kind eines gebliebenen Wehrmanns und aus dem Rheinlande, zu adoptiren. Unsere verehrten Leser sorgen gewiß dafür, daß dieser Wunsch zum Glück eines verlassenen Kindchens und des kinderfreundlichen Ehepaars recht bald in Erfüllung gehe.


Zu der „Fahrt des Kaisers nach Longchamps“, wo auf der Rennbahn am ersten März dieses Jahres die berühmte Heerschau stattgefunden hat, welche dem Einzug unserer Truppen in Paris voranging, erhalten wir von unserem Feldmaler F. W. Heine noch folgende Zeilen:

„Ich habe Ihnen bereits in Nr. 14 der Gartenlaube meinen Marsch am Morgen des ersten März nach Paris erzählt und dabei auch erwähnt, wie ich gerade recht kam, bei Surênes den von Versailles kommenden Kaiser über die nach Paris führende Seinebrücke fahren zu sehen. Wenn ich Ihnen heute noch eine Illustration schicke, welche diesen Moment veranschaulicht, so thue ich dies nur deshalb, weil mir eben von all den einzelnen Momenten, welche zusammengefaßt die großen historischen Ereignisse jenes Tages bilden, keines unbedeutend und jedes werthvoll genug erscheint, auch jetzt noch, da Paris durch Katastrophen ganz anderer Art schon wieder die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zieht, mit Stift und Griffel dargestellt zu werden.

Dem Bilde selbst habe ich eigentlich wenig Worte mehr beizufügen, die Scene spricht für sich selbst, wie ich denn auch sonst einfach genug auf eben meinen Feldbrief, der, wie schon erwähnt, in Nr. 14 dieses Jahrganges zum Abdruck gekommen ist, verweisen könnte.

So will ich denn hier nur noch erwähnen, daß die für die Benutzung des Kaisers bestimmte Pontonbrücke unterhalb der bekannten Kettenbrücke hergestellt war, welche letztere im Laufe der Belagerung die vollständigste Zerstörung durch Feuer erfahren hatte. Die Ueberfahrt selbst ging ohne vieles Gepränge und ohne jedes prunkhafte Aufsehen, nur von den unumgänglich nöthigen Sicherheitsmaßregeln begleitet, vor sich. Der Kaiser, neben welchem ein Flügeladjutant Platz genommen hatte, trug die Generalsuniform mit Helm, Waffenrock und Schärpe; der Wagen war von vier feurigen Rappen gezogen, eine kleine Suite folgte ihm. Daß der Kaiser in solcher Stunde freundlich und heiter aussah, versteht sich von selbst, während auch andererseits die stürmischen ununterbrochenen Hochrufe der Soldaten wohl Zeugniß davon ablegten, wie sehr sie die Bedeutung des Tages zu fassen und zu würdigen wußten.“


Ein vermißter deutscher Soldat. Hermann Höritzsch aus Kössern bei Grimma hat bei der 12. Compagnie des königlich sächsischen Infanterieregiments Nr. 106 gestanden. Er wurde am 30. November bei den großen Ausfallsgefechten vor Paris durch einen Schuß in den Schenkel verwundet und auf Anfrage von dem Auskunftsbureau in Berlin als im Lazareth von Lagny liegend bezeichnet, auf den Verlustlisten aber als „vermißt“ aufgeführt. Alle Nachforschungen der Angehörigen haben bis heute keine Spur über das Schicksal des geliebten Sohnes und Bruders finden lassen, und so sprechen wir für sie die öffentliche Bitte an Jedermann aus, der mit Hermann Höritzsch im Felde in Berührung kam und einen Fingerzeig geben kann, um über Leben und Tod desselben sichere Kunde zu erlangen, diese Mittheilungen an die Redaction der Gartenlaube zu richten.


Der Dank der Wiedersehensfreude wird uns von dem Sohne, der nach sechszehn Jahren seine Mutter wieder gefunden, und von dieser Mutter und ihren übrigen Kindern gemeinsam ausgesprochen. Sie saßen am 21. April zum ersten Male alle wieder um einen Tisch beisammen. Wir erfahren bei dieser Gelegenheit, daß Sohn und Mutter schon oft in Zeitungen sich gesucht, daß sie endlich alle Hoffnung, sich wieder zu finden, aufgegeben. Das ist für unsere von der Polizei in allen deutschen Ländern so sorgfältig registrirte Nation jedenfalls neu und fordert mindestens unser Erstaunen heraus.


Kleiner Briefkasten.

M. L–nt in München. Sie dürfen dieses neue Unternehmen in Salzburg nicht mit dem dort bereits seit Jahren bestehenden „Mozarteum“ verwechseln. Letzteres ist allerdings auch tüchtig geleitet; es dient aber doch nur localen Zwecken und ist vom Domstift abhängig. Anders verhält es sich mit der in Salzburg neugegründeten „Internationalen Mozartstiftung“. Diese ist von eurer Reihe angesehener Männer aus allen Ständen in’s Leben gerufen und verfolgt Zwecke, welche denen der Schillerstiftung durchaus analog genannt werden können. Außerdem hat sich die „Internationale Mozartstiftung“ die Aufgabe gesetzt, in Salzburg eine musikalische Hochschule im großen Stile zu gründen, ein Mozarthaus zu bauen und durch einen jährlich abzuhaltenden Mozarttag den Tondichtern und Tonkünstlern aller Länder Gelegenheit zur Besprechung musikalischer Fragen und Interessen zu bieten.

K. in St. Im Elsaß kennen wir nur ein Mädchen-Institut, das wir Ihnen in jeder und namentlich in der von Ihnen ausdrücklich bekannten nationalen Beziehung empfehlen können. Fräulein Meinhold in Ribeauville, jetzt Rappoltsweiler, in deren reizend gelegenem Etablissement viele deutsche, holländische, französische und englische Jungfrauen ihre Bildung vollendeten, war trotz aller französischen Umgebung und Conversation stets eine gute Deutsche, die deutsch dachte, lehrte und bildete und deshalb von französischer Seite manche Anfeindungen erfahren mußte. Daß diese sich jetzt noch um ein Bedeutendes gesteigert haben, bedarf wohl keiner besondern Versicherung; indeß werden solche ohnmächtige Mückenstiche bei den obwaltenden Umständen der Blüthe des Instituts wenig Abbruch thun.

G. R–lt in P. Das von Berthold Woltze nach seiner eigenen, in Nr. 3 der Gartenlaube zur Veröffentlichung gekommenen Skizze „Die Feldpost“ gefertigte Oelbild ist allerdings von dem Großherzog von Weimar angekauft worden.

Zur Notiz. Anfragen und Zuschriften wegen des Artikels in Nr. 16, „Wirthschaftschaftliche Freimaurerei“ sind an den Director des deutschen Centralbauvereins, Herrn Dr. E. Wiß in Charlottenburg bei Berlin, zu richten.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_340.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)