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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 22.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Ein Held der Feder.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


„Ich weiß,“ versicherte Alison, „daß Miß Forest eher gestorben wäre, ehe sie mir auch nur den geringsten Schritt entgegengethan hätte, ihm – nun, es ist ja nicht das erste Mal, daß an solchen schwärmerischen blauen Augen der Stolz eines Weibes zu Grunde geht!“

„Das ist zu toll!“ rief Atkins entrüstet. „Ich habe versprochen, zu schweigen, aber solcher Beschuldigung gegenüber würde auch Jane reden, und will sie es nicht, so thue ich es jetzt! Nun denn, wir suchten wirklich Jemand hier in Frankreich, wir sind in der That einem Manne nachgereist, aber dieser Mann heißt nicht Mr. Fernow und giebt gerade Ihnen am wenigsten Anlaß zur Eifersucht. Er trägt Miß Forest’s Namen, ist – ihr Bruder!“

„Ihr Bruder?“ wiederholte Henry in starrer Verwunderung.

„Ja!“ Und Atkins begann jetzt in kurzen, aber klaren Zügen dem jungen Manne die ihm bisher verschwiegene Angelegenheit mitzutheilen, das Vermächtniß Mr. Forest’s, die in Hamburg wieder aufgefundene Spur und die seitdem angestellten Nachforschungen bis zur Abreise von N. Henry hörte ihn schweigend an, einen Moment lang schien er aufzuathmen, aber seine finstere Stirn erhellte sich nicht.

„Sie haben Recht!“ sagte er endlich düster. „Ich glaube es Ihnen jetzt, das Zusammentreffen war wenigstens kein verabredetes.“

Atkins sah ihn in sprachloser Verwunderung an. Und das war Alles? Er hatte eine ganz andere Aufnahme seiner Enthüllungen erwartet.

„Sie scheinen ganz zu vergessen, Henry, wie nahe diese Angelegenheit auch Sie berührt,“ mahnte er ausdrücklich. „Der junge Mr. Forest lebt, wie es sich jetzt ergeben hat; wir haben allem Anscheine nach gegründete Hoffnung, ihn aufzufinden; geschieht das wirklich, so kostet es Sie die Hälfte Ihres künftigen Vermögens.“

„Wirklich?“' murmelte Alison zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch. „Ich gäbe die andere Hälfte darum, hätte sie diesen deutschen Boden niemals betreten!“

Atkins trat einen Schritt zurück. Das hatte er denn doch nicht für möglich gehalten! Wenn Henry den Kaufmann so ganz und gar verleugnete, wenn er von dem Verlust eines Vermögens so sprechen konnte, dann freilich war die Sache furchtbar ernst, und dann galt es schnelles Einschreiten. Er trat zu dem jungen Manne und legte die Hand auf seine Schulter.

„Die Eifersucht macht Sie blind,“ sagte er beschwichtigend. „Was auch zwischen den Beiden liegen mag, und ein Geheimniß ist es ohne Zweifel, Liebe kann es nicht sein, was Jane für ihn empfindet, ihr Entsetzen bei diesem unvermutheten Wiedersehen verriet eher alles Andere als dies Eine.“

Alison blickte ihn kalt und hohnvoll an. „Sie haben Unglück mit Ihren Beobachtungen, Mr. Atkins. Wer war es denn, der mich in B. verspottete wegen einer Ahnung, die in diesem ‚schwindsüchtigen Professor‘ eine Gefahr sah? Scheint er Ihnen noch immer so lächerlich und unbedeutend, oder wissen Sie jetzt endlich auch, was in diesem Manne verborgen liegt?“

„Ich habe mich in ihm verrechnet, aber ich fordere Jeden auf, einen Menschen richtig zu beurtheilen, der jahrelang nur den menschenscheuen Einsiedler und gelehrten Forscher spielt, dann auf einmal als Dichter förmlich explodirt, sich im Kriege, wo er nach aller menschlichen Voraussicht dem ersten Kanonendonner erliegen muß, zum Helden aufschwingt und bei einem ungeahnten Wiedersehen aufflammt, wie ein achtzehnjähriger Schwärmer. Ich sage es ja, diese Deutschen sind nicht auszulernen! Einmal aus dem gewohnten Geleise gerissen, gehen sie ganz unberechenbare Bahnen, so macht es der Einzelne, so macht es das ganze Volk! Die Feder in die Ecke geschleudert und das Schwert aus der Scheide, als hätten sie ihr Lebelang nichts anderes geführt. Ich fürchte, wir werden es die nächsten hundert Jahre nicht vergessen, in welcher Hand die Feder lag!“

Atkins sprach das in einem eigenthümlichen Tone grollender Bewunderung, aber er erinnerte sich noch zu rechter Zeit, daß solche Betrachtungen wenig geeignet seien, seinen jungen Gefährten zu beschwichtigen, worauf es jetzt doch vor allem ankam, er ließ deshalb rasch den Gegenstand fallen, indem er beruhigend sagte:

„Und, Henry, wie sich die Sache auch gestalten mag, Jane bleibt Ihnen. Sie haben ihr Wort, haben es freiwillig empfangen, und die Forests pflegen Wort zu halten, sich und Anderen. In welcher Weise dieser Fernow auch ihren Weg kreuzen mag, ich kenne sie, sie wird dennoch die Ihre.“

„Sie wird es!“ sagte Alison finster. „Verlassen Sie sich darauf, Mr. Atkins! Ob mit, ob gegen ihren Willen, die Meine wird sie unwiderruflich, und sollten auch,“ hier legte sich der furchtbare Ausdruck von vorhin wieder unheimlich auf seine Züge, „sollten auch ein Paar blaue Augen sich schließen müssen auf immer!“

Atkins wich entsetzt zurück, er wagte keine Erwiderung. Die Dämmerung hatte zugenommen, vom Dorfe her scholl in langgezogenen Tönen das Abendsignal, Henry fuhr auf und nahm seinen Hut vom Tische. Mit einem raschen Schritte war der Alte bei ihm und ergriff ihn beim Arm.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_357.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)