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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Wo Du gebietest, darf kein Knecht
Der schnöden Willkür Geißel spüren,
Du sollst zur Freiheit und zum Recht
Erlösend die Bedrückten führen;
Beschützer jedem Heiligthum
Des Friedens, suche Deinen Ruhm
Nicht im Getümmel blut’ger Schlachten;
Ein Volk, das Heldenwerk vollbringt
Und sich in Demuth selbst bezwingt,
Lehrt alle Welt die Freiheit achten.

Und dieses Evangelium,
Gepredigt heut’ mit Feuerzungen,
Ist, eine Mahnung ernst und stumm,
Auch Deiner Todten Gruft entklungen.
Verdiene, groß und stark zu sein,
Was treu und edel, wahr und rein,
Verbünde sich dem deutschen Namen;
Vernichtet sei der Feinde Spott
In Ewigkeit, das walte Gott
Am Fest der Deutschen Pfingsten.       Amen!

Albert Traeger.


Im Schatzamte von Washington.[1]
Republikanische Einfachheit. – Oeffentliche Gebäude der Republik. – Clerks, Boten und Pagen. – Unter den Damen des Schatzamtes. – Ein Wort über die Schönheit der Vollblut-Amerikanerinnen. – General Spinner und Oberst Graham. – Von den Liebesintriguen im Schatzamt. – Zierliches Wesen und freundliches Walten. – Wie man in Amerika Beamte anstellt. – Ein schweres Examen.

Jedem europäischen Besucher Washington’s wird es auffallen, daß jene großartigen Gebäude, wie sie sämmtliche Hauptstädte diesseits des Oceans und sogar noch New-York aufzuweisen haben, hier fast vollständig fehlen und selbst in der Hauptstraße Washingtons, in der Pennsylvania Avenue, sind nur die Hôtels mit ihnen zu vergleichen; der Grund davon ist, daß hier, wie in England, ein Haus gewöhnlich nur von einer Familie bewohnt ist.

Mehr als republikanisch einfach, ja schauerlich geschmacklos waren früher selbst die öffentlichen Gebäude, von denen ich hier nur das alte Capitol, das Staatsministerium, in welchem Herr Seward während des ganzen Krieges seinen Sitz hatte, und das einer Fabrik ähnliche Kriegsministerium nennen will. Selbst die Residenz des Präsidenten, das weiße Haus, ist weiter nichts als eine keinesweges besonders elegante Villa, die im Thiergarten in Berlin eine ziemlich mittelmäßige Rolle spielen würde. Daß das neue Capitol der Republik würdiger und in seinem Innern sogar theilweise prachtvoll genannt werden kann, ist bekannt.

Das einen ganzen „Block“ einnehmende, d. h. von vier Straßen begrenzte Schatzamt (Treasury) war bei meiner Abreise noch nicht vollendet; es fehlte noch das nördliche Ende, da man während des Krieges das dort stehende Staatsministerium nicht abreißen wollte. Der Bauplatz war namentlich für den Architekten sehr ungünstig gewählt: auf dem Abhang eines nach dem Hause des Präsidenten zu aufsteigenden Hügels. In Folge dessen hatte man in diesen Hügel einzuschneiden, und die Fenster des ersten Stockes in der Westfront liegen in gleicher Höhe mit dem gegenüberliegenden Terrain. Obwohl man diesen Umstand so verständig als möglich benutzt und in dem tiefen Grunde hübsche Gärten und Springbrunnen angelegt hat, raubt er doch dem an und für sich großartigen Gebäude in etwas seinen großartigen Charakter. Diese Front macht einen moderneren Eindruck, als die nach der Fünfzehnten Straße gelegene mit ihren ionischen Säulen. Sehr schön ist die schmälere, nach Süden zu gelegene Façade, von deren Freitreppe man eine schöne Aussicht auf den Potomac und dessen virginisches Ufer hat.

Das Material des Gebäudes ist nicht Marmor, sondern ein außerordentlich harter, grauer Granit. Selbst nach jahrelangem Gebrauch sind die Treppenstufen noch so wenig abgeschliffen, wie am ersten Tag, und ich glaube, daß noch nach zwanzig Jahren die leichten Streifen von der Säge nicht verschwunden sein werden. Das Innere des Gebäudes – den älteren Theil ausgenommen – ist ebenso bequem als reich; in der That so reich, daß irgend ein königlicher Staatshämorrhoidarius beim Anblick dieses Luxus außer sich gerathen würde. Die Gänge sind hoch und geräumig und der Fußboden ist schachbrettartig mit Tafeln von weißem und schwarzem Marmor belegt. Um den Schall der tönenden Schritte zu tödten, sind diese Gänge in vielen Theilen, wo der Lärm stören würde, mit Cocosmatten versehen. Die Zimmer in dem neueren, etwa vier Fünftel des Gebäudes umfassenden Theil sind hoch, luftig und elegant, die der Chefs der Bureaux mit eleganten Sophas, Sesseln und Spiegeln versehen und alle mit feinen Brüsseler Teppichen. Die Heizung war früher durch erwärmte Luft bewerkstelligt; allein sie ist als ungesund abgeschafft und durch heiße Röhren ersetzt worden. Das Gebäude ist durchweg mit Gas erleuchtet und das Ganze macht auf den europäischen Beschauer einen wundervollen Eindruck. In jedem Zimmer, oder dicht dabei auf dem Gange, ist stets ein Behälter mit Eiswasser, welches im Sommer in Washington eine absolute Nothwendigkeit ist.

Es liegt nicht in meiner Absicht, eine genaue Beschreibung weder des Gebäudes, noch der Einrichtungen des Schatzamtes der Vereinigten Staaten zu geben, welches weit mehr Raum wegnehmen würde, als mir die Gartenlaube dafür einräumen könnte; ich muß mich daher auf mehr allgemeine Angaben und andererseits auf charakteristische Details beschränken, die interessiren werden, weil sie nach eigener, persönlicher Anschauung geschildert sind.

So groß das Gebäude ist, hat es doch keineswegs Raum für alle Geschäftszweige, welche dem Finanzminister unterworfen sind. Das Bureau der Internal Revenue – der Abgaben und Steuern – befindet sich in einem der Treasury gegenüber liegenden Gebäude, das eines der Auditors in einem dritten, nicht weit vom Kriegsministerium, und das eines andern Auditors im Postgebäude.

Die Zahl der Beamten des Schatzamts beläuft sich auf mehrere Tausend. Mit Ausnahme der Bureauchefs heißen sie alle Clerks und sind nur durch Classe und Gehalt unterschieden. Die höchsten Beamten sind der Minister (Secretair genannt) und zwei Assistenzsecretaire (Minister), der Schatzmeister, der Registrator, der Chef der Internal Revenue, der Controleur des Papiergeldes, der Chef der Papiergeldfabrikation, der Chef des Bauwesens, der des statistischen Bureaus, die sechs Controlleurs, die sechs Auditeure und der Chef des Rechtsbureaus, der Chief Clerk der Treasury und der Clerk, beauftragt mit der Leitung der Loan Branch, das heißt des Anlehenwesens.

Die Clerks sind in vier Classen getheilt; die vierte ist die höchste. Sie erhalten respective achtzehnhundert, sechszehnhundert, vierzehnhundert und zwölfhundert Dollars jährlichen Gehalt. Kein Clerk, und habe er auch weiter nichts zu thun, als zu copiren, erhält weniger als einhundert Dollars monatlich. Außerdem sind noch eine Menge Unterbeamte angestellt, welche Boten – Messengers – heißen. Unter ihnen sind Knaben von vierzehn bis fünfzehn Jahren, die auch oft Pagen genannt werden, obwohl man eigentlich nur die Knaben so nennt, welche in den Sitzungssälen des Capitols die Aufwartung haben. Der Gehalt derselben ist nicht unter fünfzig Dollars monatlich, während die alten Boten fünfundsiebenzig und einige auch hundert Thaler monatlich erhalten. Der Gehalt der Bureauchefs ist höher als der der Clerks, doch kann ich keine genauen Angaben machen.

Das Schatzamt bietet die Eigenthümlichkeit dar, daß in demselben nicht nur männliche, sondern auch eine große Menge weibliche Beamte angestellt sind. In kleinerem Maßstabe ist dies indessen auch im Postgebäude und in der Patent-Office der Fall. – Da die Treasury Girls durch verschiedene Umstände in übeln Ruf kamen, und dieser im Allgemeinen durchaus unverdient ist, so ist es billig, daß ich zu ihrer Rechtfertigung ein wenig länger bei dem Gegenstand verweile.

Zunächst muß man die Mädchen, welche in den Bureaux angestellt waren, wohl von denen unterscheiden, die man in der Papiergeldfabrik beschäftigte, zum Beispiel in der Druckerei, und welche ungefähr auf derselben Stufe standen, wie andere Fabrikmädchen.

  1. Vergl. den Artikel „die größte Papiergeldfabrik der Welt“ in Nr. 4 vom Jahrgang 1868.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_365.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)