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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


brauchte. Allmählich büßte das Haar an Stärke und Glanz ein; ein so massenhaftes Ausfallen hat eigentlich niemals stattgefunden und ich habe auch nirgends eine kahle Stelle; aber im Ganzen ist der Haarboden und namentlich auf dem Mittelkopf erheblich dünner als vor Jahren.“

Was vermuthen Sie als Grund Ihres Uebels?

„Ich wüßte Ihnen gar Nichts anzugeben. Ich bin im Ganzen gesund. Vor Jahren litt ich etwas an Bleichsucht und mäßigen Unterleibs-Beschwerden; es fand sich damals auch eine geringe Schüppchen-Bildung auf dem Kopfe ein. Jene Beschwerden gingen vorüber; die Schüppchen-Bildung blieb bestehen. Ab und zu trat ein mäßiger Kopfschmerz, an der Stirn oder auf dem Wirbel, auf und derselbe stellt sich auch jetzt mitunter ein, jedoch belästigt er mich niemals in solchem Grade, daß ich genöthigt wäre, mich zur Ruhe zu legen. Diese Dinge sind nicht erheblich und ich kann nicht annehmen, daß die früheren oder jetzigen so unerheblichen Beschwerden in dem Grade nachtheilig auf meinen Haarwuchs eingewirkt haben sollten.“

In dieser Voraussetzung freilich irren Sie. Die wenigsten Ihrer Leidensgefährten haben über die Entstehungsursachen der chronischen Haarkrankheiten richtige Ansichten. Es ist aber die Vorbedingung jedes vernünftigen Heilverfahrens, daß die Quellen des Leidens aufgedeckt werden.

Von je drei Patienten, die zu mir kommen, hat immer einer die Disposition zu seiner Haarkrankheit ererbt; der Vater oder die Mutter haben früh ihr Haar eingebüßt, von den älteren Geschwistern sind einige früh kahl geworden. Sind die Eltern früh gestorben, so läßt sich an einem Onkel, einer Tante, an Vettern und Basen noch die Disposition feststellen.

„Wird denn die Neigung zum vorzeitigen Haarverlust immer vererbt?“

Bewahre! Wäre dies, so hätten unsere Perrückenmacher nicht Hände genug. Finden sich in einer solchen durch Erblichkeit zu Haarkrankheiten geneigten Familie zahlreiche Geschwister, so zeigen nicht alle die frühzeitige Kahlheit. Die Beobachtung lehrt, daß, wie ich schon sagte, nur die Disposition, die Hinneigung zu der Krankheit vererbt wird. Gelingt es, in der Jugend diejenigen Schäden, welche erfahrungsgemäß das Haar angreifen, fern zu halten, so wird auch diese krankhafte Disposition getilgt.

„Es wird also in einem solchen Falle wesentlich sein, das Haar richtig zu pflegen. Aber die Meinungen, wie eine solche Pflege gehandhabt werden muß, scheinen so wenig festzustehen; man hört oft genug widersprechende Rathschläge.“

Nach meiner Ansicht sind alle wichtigen Momente klar, wenn es sich um ein Haar handelt, das etwas schwächlich ist oder zu werden droht. Es ist mit dem Haar wie mit dem Gesammtkörper: eine sehr starke Constitution kann sich Mancherlei bieten, ohne Schaden zu nehmen; ein ursprünglich sehr kräftiges Haar verträgt Vieles – das schwächliche verlangt eine sehr sorgsame Behandlung. Und diese sorgsame Behandlung muß schon sehr früh beginnen.

Zunächst müssen die Kopfausschläge in früher Kindheit aufmerksamer behandelt werden als es zu geschehen pflegt. Früher nahm man an, daß alle Kopfausschläge Ausdruck einer „Schärfe des Blutes“ seien; man hütete sich, sie zu beseitigen; man betrachtete sie als eine Art Sicherheitsventil dafür, daß die „Schärfe“ sich nicht auf edlere Organe werfe. Jetzt wissen wir, daß diese Ansicht nur für Ausnahmsfälle richtig ist, daß vielmehr in den allermeisten Fällen jene Ausschläge rein örtliche Krankheitsprocesse sind, die baldmöglichst geheilt werden sollen. Dauern sie nicht lange an, so bilden sie nur einen mäßigen Reiz für den Haarwuchs und das Haar erscheint nach einiger Zeit in noch größerer Fülle als vorher. Aber bei längerem Bestehen wird der Reiz so stark, daß eine Erschöpfung der Haut eintritt – nur zeigt sich diese Erschöpfung in ihren Erfolgen bei den complicirten Wachsthumsverhältnissen des Haares nicht sofort, sondern erst nach vielen Jahren.

Bezüglich des späteren Kindesalters bemerke ich, daß die Frisur der Mädchen, so lange sie die Schule besuchen, oft eine ungeeignete ist: die Zeit am Morgen vor dem Beginn der Schule ist knapp, es wird etwas rasch und in Folge dessen etwas rauh mit dem Kamm durch das Haar gefahren – viele Haare reißen in Folge dessen ab. Ich habe sehr häufig bei Schulmädchen aus vermögenden Ständen bei der Untersuchung des Haarausfalles fast die Hälfte der Haare abgerissen gefunden, eine solche Behandlung verträgt ein nur mittelstarkes oder gar ein schwaches Haar nicht. Reicht die Zeit, mit Sorgfalt einen Zopf zu flechten, aus, so ziehe ich diese Frisur allen anderen vor; reicht sie nicht hin, so schneide man das Haar kurz.

Diese beiden hier erwähnten Momente sind nach meinen Erfahrungen für die erste Jugend die wichtigsten, für die nun folgenden Lebensjahre hebe ich folgende Punkte hervor:

Von sehr vielen Personen wird die Kopfhaut durch zu häufiges oder zu starkes Bürsten gereizt. Fährt man täglich ein- oder zweimal leicht mit der Bürste über den Kopf hin, so thut man dem Haar keinen Schaden, aber ein Bearbeiten des Kopfes, um ein rebellisches Haar durchaus glatt zu bürsten oder um die letzten Schüppchen zu entfernen, bekommt der Haut schlecht.

Die jetzige Mode verpönt den Gebrauch des Haaröls; namentlich die Damen wünschen, daß jedes Haar einzeln dem Auge des Beschauers sich präsentire; das Haar soll rauh und damit voll aussehen – ein kräftiges Haar verträgt das, ein anderes nicht. Ein sehr starkes Haar wird von dem Oel seiner eigenen kleinen Fettdrüsen genügend durchtränkt; aber schon bei einem mittelstarken ist diese Durchtränkung keine beständige. Aufmerksame Personen wissen, daß ihr Haar an einem Tage voller erscheint als an einem anderen. Dieses Schwanken rührt zum Theil von den verschiedenen Wasserfüllungen des Haares her (je nach dem verschiedenen Füllungszustand der Kopfhaut), zum Theil aber auch von einer nicht genügenden Durchtränkung mit dem natürlichen Oel; in diesem Fall wird das lebende Haar hygroskopisch (ähnlich dem ausgekochten Haar) und verändert sich je nach der größeren oder geringeren Sättigung der atmosphärischen Luft mit Wasserdunst. Ein Haar, welches solche Schwankungen seiner eigenen Füllung oft erfährt, zeigt unter anderen unangenehmen Erscheinungen auch eine fatale: es spaltet sich. (Um Mißverständnissen vorzubeugen, bemerke ich: das Spalten kann auch noch von anderen Ursachen herrühren.) Gegen dies Uebel kann oft erfolgreich eingeschritten werden – ein wesentliches Mittel hierbei ist die reichliche Anwendung des Oeles.

„Bekommt dem Kopfhaar überhaupt besser ein flüssiges Oel oder eine mehr feste Pomade?“

Für die meisten Köpfe ist Oel und Pomade gleich zuträglich. Da das Oel dem Haare eine Weichheit giebt, welche es leicht dünner erscheinen läßt, so habe ich bei Denjenigen, welche einen solchen Schein gern vermeiden, Nichts gegen den Gebrauch einer Pomade, wenn sie gut zubereitet und frisch genug ist, d. h. wenn sie außer reinem Fett, einem unschädlichen Farbstoff und etwas wohlriechendem Oel nicht noch andere, reizende Bestandtheile enthält. Ist die Pomade sehr fest (d. h. enthält sie sehr viel Wachs), so dringt von dem Fett sehr wenig in das Innere des Haares, es bleibt an der Oberfläche und es erscheint das Haar etwas voller – will man diesen Zweck erreichen, so mag man eine wachsreiche Pomade anwenden; aber eine Durchölung des Haares und der obersten Schicht der Kopfhaut erreicht man auf diese Weise nicht.

Mein dringender Rath geht außerdem dahin, von Pomade und Oelen immer nur kleine Quantitäten anzuschaffen. Die Fette zersetzen sich oft ziemlich schnell und ein Product dieser Zersetzung (die Fettsäure, deren Gebrauch wir als ranzig bezeichnen) ist dem Haar sehr nachtheilig. Wo daher für das Haar Vorsicht geboten ist, rathe ich zur Anwendung eines thierischen oder pflanzlichen Oeles ohne jeden wohlriechenden Zusatz; man kann sich dann vor jedem jedesmaligen Gebrauch leicht überzeugen, ob der Geruch noch ganz rein oder schon ein wenig ranzig ist. Im letzteren Falle darf man es als Haaröl nicht mehr anwenden. Will man dem Oel einen wohlriechenden Zusatz geben, so füge man einen Tropfen kölnisches Wasser oder einer anderen wohlriechenden Flüssigkeit dem bereits für den sofortigen Gebrauch abgegossenen Oel bei.

„Wenn man das Haar öfter ölt, stellt sich das Bedürfniß nach häufiger Waschung des Kopfes ein. Was soll man für diesen Zweck verwenden? Seifenwasser? Honigwasser? Kamillenthee?“

Sehr viele Menschen haben eine so geringe Schweißabsonderung am Kopfe und eine so geringe Abschilferung der Oberhaut, brauchen auch so wenig Oel oder Pomade, daß das tägliche Durchkämmen des Haares für die Reinigung genügt – sie brauchen gar kein Waschmittel. Wird eine Waschung zwar

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_396.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)