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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

betrunken gemacht, dann sämmtliche Lichter in der Zechstube ausgelöscht und vor der Thür einen Sack aufgehängt. Als nun der fromme Bruder durch einen Heidenlärm aus dem Schlafe aufgeschreckt, noch trunken von Wein und Schlaf, zur Thür hinauseilen wollte, fiel er gerade in den Sack hinein, welcher von den harrenden Schelmen sofort zugebunden und in den Rauch gehangen wurde. Als Bedingung der Befreiung wurde ihm die Aufgabe gestellt, Eier zu legen und selbst aufzuessen, wahrscheinlich um ihm vor die Seele zu führen, wie viel schwerer es sei, Eier und dergleichen zu verdienen, als zu erbetteln. Zum Glück erbarmte sich ein frommes Mütterlein des jammernden Mönches, steckte ihm durch ein Loch im Sack einige Eier zu und gab ihm so zum nicht geringen Erstaunen und Ergötzen der gottlosen Bauern Gelegenheit, die ihm gestellte schwierige Aufgabe zu lösen. Dies Stückchen hatte ihnen wohl gefallen, denn bald nachher machten sie einen bettelnden Jacobsbruder, der mit Pilgermuscheln behangen als Bußprediger nach Lichtenau kam, ebenfalls im Kruge betrunken. Als nun der fromme Pilger in seiner Weinlaune heftig auf die argen Sitten der Bauern zu schelten begann und als einzige Möglichkeit der Absolution die Verabreichung eines guten Bratens bezeichnete, banden sie ihn an einen Bratspieß und begannen, den schreienden Bußprediger am Feuer zu drehen. Sie hätten ihn auch wohl wieder losgebunden, zum Unglück kam aber während dieser originellen Belustigung ein Hase durch die Hinterpforte in die Küche gesprungen, um zur Vorderthür wieder hinauszuhuschen, ein Ereigniß, welches das ganze Personal zu einer lustigen Jagd hinaustrieb. Als man in die Küche zurückkehrte, war der vergessene Jacobsbruder todt.

Der Buttermilchsthurm im Marienburger Werder.
Nach der Natur aufgenommen.

Heutzutage würden solche Streiche von dem Herrn Staatsanwalt wohl nicht übersehen werden, vielmehr mit einer schlimmen Lection im Zuchthause enden, damals gehörten jedoch solche Ausschweifungen zu den lustigen Schwänken, zu denen der milde Hochmeister höchstens bedenklich lächelnd den Kopf schüttelte, wenigstens geschah den wohlangeschriebenen reichen Lichtenauern, welche immer pünktlich ihren Zins und wohl noch etwas darüber zahlten, damals noch nichts.

Auch später, als sie einen Kesselflicker auf drei Tage in den Cadaver eines gefallenen Pferdes einnähten, so daß nur der Kopf heraussah, und als sie den Pfarrer zu einem angeblichen Kranken riefen, nachdem sie ein mit Bier betrunken gemachtes Schwein in das Bett gelegt hatten, wollte es der gute Fürst nur bei einem ernsten Verweise bewenden lassen und beauftragte mit der Ertheilung eines solchen den damaligen alten Hauscomthur in dem noch jetzt blühenden freundlichen Städtchen Neuteich, Andreas von Weitzeln, welcher auch mit vier Knechten nach Lichtenau ritt, um den fürstlichen Befehl auszuführen. Aber der kam ganz übel an, denn die Lichtenauer bohrten ein Loch durch die Stubenthür, zogen den langen Bart des greisen Comthurs hindurch und nagelten denselben auf der Innenseite fest. Da stand nun der ehrwürdige Herr, verlassen von seinen eilig entflohenen Knechten, stundenlang, bis endlich der Hochmeister einen ganzen Haufen Bewaffneter zum Entsatz schickte. Nun wurde strenges Gericht gehalten, es setzte harte Kämpfe, und mancher übermüthige Lichtenauer mußte sein Leben lassen. Die Haupträdelsführer wurden nach Marienburg geführt, und dort mußten sie den Buttermilchsthurm bauen, so genannt, weil ihn Hände aufrichteten, welche sich sonst mit der Bereitung von Butter und Buttermilch befaßten. Auffallend ist es, daß dieser Spottname erst viel später in den Chroniken auftaucht, denn der Thurm heißt in früherer Zeit stets der „schiebelichte“, von seiner kreisrunden Form. Es ist deshalb auch nicht unwahrscheinlich, daß der jetzige Name erst später entstanden ist, und zwar in Folge nachstehenden Vorfalles:

Zu der Zeit, als die polnischen Starosten in Marienburg residirten, sandte der Woywode Stanislaus Kostka hinaus nach Lichtenau, mit dem Ersuchen um ein Mäßchen guter Buttermilch. Die auch damals noch immer nicht gedemüthigten Freiköllmer sandten aber zum Hohn einen Oxhoft voll des Verlangten und ließen dies ungeheure Quantum durch eine besondere Deputation ihrer angesehensten Mitglieder überreichen. Diesen offenbaren Mangel an Ehrerbietung nahm der Woywode aber doch sehr übel und er ließ die Deputirten mit sammt der Buttermilch in den Thurm auf so lange einsperren, bis sie das große Faß geleert haben würden. Davon wird wahrscheinlich der Name herrühren, und es dürfte auch die Vermuthung wohl nicht zutreffen, daß der Kalk zum Bau des Thurmes mit Buttermilch angemacht gewesen ist.

Der Buttermilchsthurm steht noch heute mit einer Inschrift, welche der jetzt in Frankreich für das Vaterland gefallene verdienstvolle Ingenieurhauptmann von Gayl hat anbringen lassen; auch die Lichtenauer leben noch in wohlverdientem, großen Wohlstande auf ihren freien kulmischen Hufen, aber die Zeiten und die Sitten haben sich geändert, und es giebt keine Lichtenauer Streiche mehr.

Für die Verewigung des alten Bauwerkes sorgt die moderne Fortification, welche denselben mit dem Brückenkopfsystem an der neuen, über die Nogat führenden Eisenbahnbrücke in Verbindung gebracht hat. Vor uns sehen wir ihn im Bilde, aber wer Gelegenheit hat, mit dem liebenswürdigen Vorstande der uralten, von Winrich gestifteten Marienburger Schützengilde bekannt zu werden, der lasse sich den silbernen Humpen zeigen, den der von Pietät für das Alte und Gute erfüllte kunstsinnige König Friedrich Wilhelm der Vierte am 10. Juli 1854 bei Gelegenheit des fünfhundertjährigen Jubiläums der Gilde schenkte. Dieser Becher hat die Form unseres Buttermilchsthurmes und sein Inhalt faßt ein Quart Wein. Bei frohen Festen der Schützenbrüder kreist der Pocal von Mund zu Mund, und der Schreiber dieser Zeilen hat auch schon mit daraus getrunken.

P. de la Val.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_416.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)