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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


demselben, nur etwas höher, liegt das Exercirhaus. Hierin exercirt der Fürst täglich sein ansehnliches Grenadierregiment. Schönere und wohlgeübtere Leute wird man schwerlich beisammen sehen. Aber sie kosten dem Landgrafen auch ansehnliche Summen; denn es ist nichts Ungewöhnliches, wenn ein Mann sich des Tages bis zu einem Gulden steht. Allerlei Volk von mancherlei Zungen und Nationen trifft man da, die nun freilich in der Länge nicht so zusammenbleiben würden, wenn sie nicht immer in der Stadt eingesperrt wären und Tag und Nacht von den umherreitenden Husaren beobachtet werden müßten.“

Von dem Treiben in dieser seltsamen Colonie giebt dann der Beobachter eine schnurrige Schilderung. „Soeben,“ schreibt er, „komme ich aus dem Exercirhaus von der eigentlichen Wachtparade, ganz parfümirt von den Fett- und Oeldünsten der Schuhe, des Lederwerks und der eingeschmierten Haare und von dem allgemeinen Tabakrauchen der Soldaten vor dem Anfange der Parade. Wie ich eintrat, kam mir ein Qualm und ein Dampf entgegen, der so lange meine Sinne betäubte und mich die Gegenstände kaum unterscheiden ließ, bis meine Augen und Nase sich endlich an die mancherlei Dämpfe und widrigen Dünste einigermaßen gewöhnt hatten. Wer Liebhaber von wohlgeübten, aufgeputzten und schön gewachsenen Soldaten ist, wird für all das Widrige entschädigt. So wie das Regiment aufmarschirt und seine Fronte durch das ganze Haus ausdehnt, erblickt man von einem Flügel zu dem andern eine sehr gerade Linie, in welcher man sogar von der Spitze des Fußes bis an die Spitze des aufgesetzten Bajonnets kaum eine vor- oder rückwärtsgehende Krümmung wahrnimmt. Durch alle Glieder erscheint diese pünktliche Richtung, und sie wird weder durch die häufigen Handgriffe noch durch die vielfältigen Körperbewegungen verschoben. Die Schwenkungen und Manövers geschehen mit einer außerordentlichen Schnelligkeit und Pünktlichkeit; man glaubt eine Maschine zu sehen, die durch Räder- und Triebwerke bewegt und regiert wird. Man soll sogar öfters das ganze Regiment im Finstern exercirt und in den verschiedenen Tempi keinen einzigen Fehler bemerkt haben!“

Das war nun ein Triumph, der dem alten Pirmasenzer nach vierunddreißigjährigem Abhetzen und Ausharren in der Atmosphäre des Exercirhauses wohl zu gönnen war. Mit Stolz sog er denn auch ein, was ihm darüber die fremden Officiere Schmeichelhaftes sagten, welche zu der Hauptrevue an seinem Namensfeste aus Frankreich, Kurpfalz, Zweibrücken, Baden und Hessen herzuströmten. Die Erscheinung des Landgrafen mochte dann einen besondern Genuß gewähren, wenn man die Schilderung des angeführten Berichterstatters sich vergegenwärtigt.

„Den Landgrafen,“ fährt er nämlich fort, „habe ich hierbei in aller Thätigkeit gesehen. Mit spähendem Blick befand er sich bald auf dem rechten, bald auf dem linken Flügel, bald vor denn Centrum, bald in den hinteren Gliedern; Alles war geschäftig an ihm, und er scheint mit Leib und Seele Soldat zu sein. Doch läßt er hierbei keinen fremden Zuschauer aus den Augen; es wurde sogleich bei Anfang der Parade ein Officier an mich geschickt, der sich nach meinem Namen erkundigen sollte, und nach einiger Zeit hatte ich die Ehre, den Herrn Landgrafen selbst zu sprechen, wobei er sich in den höflichsten und gefälligsten Ausdrücken mit mir unterhielt. In seinem Hause und in seinen Appartemens erblickt man wenig Pracht; man glaubt bei einem campirenden General im Felde zu sein; überall leuchtet die Lieblingsneigung des Fürsten hervor.“

So erschien das Bild der wunderlichen Soldatenstadt und ihres originellen Gründers einem zeitgenössischen Fremden. Vervollständigen wir dasselbe durch die Erzählung eines Einheimischen, der meinem Interesse für die Geschichte und Entwickelung seiner Vaterstadt mit den nachfolgenden handschriftlichen Nachrichten entgegen kam. Er beginnt mit einer charakteristischen Geschichte aus der Hauschronik seiner eigenen Familie, die nicht eben zu den spannendsten gehört, welche aus jener Glanzzeit von Pirmasenz erzählt werden, immerhin jedoch das Leben in der merkwürdigen Stadt jenes wunderlichen Fürsten treu abspiegelt.

(Schluß folgt.)




Fliegende Hunde.
Von Brehm.


Nichts finde ich natürlicher, als daß der gebildete Europäer just noch ebenso abergläubisch ist, wie der Neger oder Indianer. Das Wunder, als des Glaubens liebstes Kind, wird unseren Kindern und uns von Kanzel und Lehrstuhl herab als unbestreitbare Wahrheit gepredigt und gelehrt, jedes Aufdämmern vernünftiger Anschauungen von hier aus mit Acht und Bann belegt und damit in allen denkfaulen Köpfen ein Feld bestellt, auf welchem neben dem Glauben auch der Aberglaube seine geilen üppigen Schößlinge treibt und treiben muß. Wer an den Teufel glaubt, hat, um ein Beispiel anzuführen, entschieden nicht das Recht, denjenigen zu verspotten, welcher die Sage vom Vampyr als grausige Wahrheit ansieht; denn schließlich besteht der ganze Unterschied zwischen dem Märchen von blutsaugenden Gespenstern und vom Aberglauben vom Teufel nebst Höllengesindel doch nur darin, daß sich in den Schriften des Morgenlandes keine Belegstellen für Vampyre, sondern nur solche für Satan und Genossen finden.

Billige Erwägung dieses Umstandes stimmt mich zur Milde, wenn ich hören muß, daß die seit einigen Monaten im Berliner Aquarium ausgestellten Flughunde kurzweg als „Vampyre“ bezeichnet werden. „Meine Damen und Herren,“ pflege ich dann unaufgefordert zur Berichtigung zu sagen, „Vampyre giebt es allerdings, zwar nicht im Sinne der Glaubensgenossen unserer verehrlichen Mitbürger Knak und Disselhoff, wohl aber in der Thierkunde, blutsaugende Fledermäuse nämlich. Solche finden sich nicht allein in Südamerika, sondern auch bei uns zu Lande; sie sind aber klein und ziemlich harmlos, namentlich die unserigen, welche bis jetzt erweislich noch kein Menschenblut, sondern höchstens das von anderen Fledermäusen und Hühnern abgezapft haben. Die Thiere nun, welche Sie hier vor sich sehen, sind fruchtfressende Fledermäuse, ihres Hundskopfes halber Flug-, Fleder- oder fliegende Hunde und beziehentlich Füchse, von Marktschreiern und Thierhändlern thatsächlich freilich auch Vampyre genannt.“ Dank meines vertrauenerweckenden Gesichtes finde ich in der Regel schließlich Glauben, nicht immer jedoch ohne weiteres, da sich der Vampyr viel zu fest an manches Hirn angesaugt hat. Und doch brauchte man meinen Flughunden nur in das dummgutmüthige Auge zu blicken, um sich selbst sagen zu müssen, daß es ihnen nicht in den Sinn kommen kann, sich mit verabscheuungswürdigem Teufelsspuk zu befassen.

Die Familie der fruchtfressenden Fledermäuse oder Flederhunde verbreitet sich über Afrika, Südasien und den malaiischen Archipel, und umfaßt ungefähr dreißig Arten, von denen die größten einem kleinen Marder an Leibesumfang etwa gleichkommen und eine vier bis fünf Fuß klafternde Flatterhaut besitzen. Ich habe in Afrika nur eine der kleinsten Arten und auch sie immer blos spärlich gefunden, über das Freileben der Thiere also wenig Beobachtungen sammeln können. Solche sind uns neuerdings mitgetheilt worden durch Tennert, welcher während seines langjährigen Aufenthaltes auf Ceylon gerade die im Aquarium aufgestellte Art tagtäglich auf den Bäumen vor seinem Hause hängen sah und somit im Stande war, ein sehr getreues Bild ihres Lebens und Treibens zu entwerfen. Sie finden sich besonders häufig in allen Küstengegenden der Insel und streichen hier, der Fruchtzeit gewisser Bäume entsprechend, von einer Gegend zur anderen. Beliebte Ruheorte von ihnen sind die großen Silberwoll- und indischen „Raspel“-Bäume, gleichviel ob solche in der Nähe bewohnter Ortschaften oder im einsamen Walde stehen. Auf einer Baumgruppe am Pflanzengarten zu Paradenia unweit Candy vereinigen sie sich im Herbste manchmal zu unschätzbaren Schaaren, verlassen den Wohnsitz aber, wenn die Früchte der elastischen Feige aufgezehrt worden sind. Auf ihren Lieblingsbäumen hängen sie sich zuweilen in solcher Menge an, daß starke Äeste durch ihr Gewicht abgebrochen werden. Jeden Vormittag, in der Regel zwischen neun und elf Uhr, machen sie sich auf und fliegen eine Zeit lang umher, anscheinend, um sich zu üben, wahrscheinlich wohl, um sich zu sonnen und ihre Flughäute vom Nachtthau zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 524. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_524.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)