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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

gern Aepfel und Pflaumen. Gekochter Reis behagt ihnen nicht sonderlich, Milchbrod ebensowenig, obgleich ihnen beide Nahrungsstoffe genügen, wenn ihnen andere nicht geboten werden. Sie fassen die Dattel oder den Bissen überhaupt mit dem Maule, kauen ihn aus, saugen dabei behaglich den ausfließenden Saft auf und werfen den Rest, einen großen Theil der Fasern, wieder weg, fressen überhaupt sehr lüderlich und verwerfen mehr, als sie genießen. Ist ihnen ein Bissen zu groß, so kommen sie mit der eben freien Fußhand zu Hülfe, ergreifen mit dieser fest und sicher eine ziemlich große Frucht und führen sie zum Munde. Erforderlichen Falls wird auch die Daumenkralle mit zum Halten verwendet. Zu ihren besonderen Genüssen gehört Milch, möglicherweise ihrer Schmackhaftigkeit halber, möglicherweise auch, weil sie das Bedürfniß empfinden, die ihnen doch nur sehr mangelhaft gebotene thierische Nahrung (feingehacktes Fleisch mit Ameisenpuppen, Käfern etc.) zu ersetzen. Sie trinken täglich ihr Schälchen Milch mit sichtlichem Behagen leer und lassen sich, wenn ihnen diese Leckerei winkt, recht gern ein gewaltsames Erwecken aus ihrem süßesten Schlummer gefallen.

Erst nach wirklich eingetretener Dunkelheit sind die Flughunde zu vollem Leben erwacht. Sie haben sich munter gefressen. Ihre dunkeln Augen schauen hell in’s Weite. Noch einmal werden alle Felder der Flughäute beleckt und geglättet, die Fittige abwechselnd gedehnt, gereckt und wieder zusammengefaltet, die Haare durch Kratzen und Lecken gekämmt und gesäubert; nunmehr versuchen sie, in ihrem engen Gefängnisse die nöthige Bewegung sich zu verschaffen. Die Fittige bald etwas gelüftet, bald wieder fast gänzlich zusammengeschlagen, klettern sie ununterbrochen auf und nieder, kopfoberst, kopfunterst, durchmessen alle Seiten des Käfigs, durchkriechen alle Winkel. Es sieht zum Erbarmen aus, wie sie sich abmühen, irgendwo oder wie die Möglichkeit zu entdecken, ihrer Bewegungslust Genüge zu leisten. Ja, wenn sie fliegen könnten, wie sie in ihrer Heimath es gewohnt! Arme Gefangene, wie gern möchte man euch helfen!

Einmal meine Flughunde in einem weiteren Raume zu sehen, konnte ich mir nicht versagen. Das Geschäftszimmer des Aquarium schien mir groß genug zu sein, um ihnen auch zum Fliegen Raum zu bieten. Der Käfig wurde Abends dorthin gebracht und die Thür geöffnet. Beide Flughunde waren vollkommen munter, kletterten ununterbrochen in ihrem Käfige umher, verließen denselben aber nicht. Die geöffnete Thür schien für sie gar nicht vorhanden zu sein; daß die Oeffnung ihnen einen Weg zum Entkommen bieten könnte, kam ihnen nicht in den Sinn. Ein Höhlenthier, eine Maus z. B., würde anders gehandelt haben, eine kleinere, in Häusern lebende Fledermaus sicherlich auch. Wir mußten uns entschließen, die Flederhunde gewaltsam aus dem Käfige zu nehmen – eine Arbeit, welche uns leichter schien, als sie war. Vor einem Bisse der immerhin leidlich bewehrten Thiere fürchtet sich Futtermeister Seidel, mein unentbehrlicher Gehülfe bei allen Beobachtungen und Versuchen, selbstverständlich nicht; demungeachtet hatte er seine liebe Noth, jene von den Gitterstäben des Käfigs loszulösen und in seine Gewalt zu bekommen. Hatte er wirklich einmal beide Fußhände losgehakt, so griffen die Flederhunde mit der Daumenkralle zu und hingen sich so fest, daß man sie, ohne ihnen Schaden zu thun, nicht frei machen konnte; waren glücklich auch die Daumenkrallen gepackt, so schlüpften die Fußhände wieder aus der Hand, oder ein meinem braven Seidel unversehens beigebrachter Biß that seine Wirkung, und alle eingefangenen Beine und Hakenkrallen wurden gleichzeitig frei. Endlich gepackt und trotz allen Beißens festgehalten, gelang es, die Thiere herauszubringen und außen auf den Käfig zu setzen.

Meine Hoffnung, daß sie von hier abfliegen würden, erfüllte sich nicht. Sie kletterten anscheinend ängstlich an den Außenwänden des Gebauers auf und nieder, schauten verlangend in’s Innere, untersuchten die Wände von allen Seiten, verließen sie aber nicht. Es wurde nunmehr eine schwache Stange herbeigeholt, in einiger Höhe über dem Boden befestigt und an sie die Flederhunde angehängt. Jetzt entfalteten sie die mächtigen Fittige, ließen die Fußhände los, thaten einige laut klappende Flügelschläge und – fielen zum Boden herab, mit möglichster Eile und doch höchst ungeschickt auf demselben weiter kriechend. Der Raum war für ihre Flugbewegungen doch noch viel zu klein! Eilig ergriffen wir die auf dem glatten Boden wahrhaft kläglich sich geberdenden Thiere, und mit ersichtlichem Behagen krochen sie in ihr enges Gefängniß zurück.

Unsere Gefangenen, ein richtiges Pärchen, haben bis jetzt im vollsten Einverständniß zusammen gelebt. Besondere Zärtlichkeiten erweisen sie sich freilich nicht; Zank und Streit kommt aber ebensowenig vor. Sie fressen gleichzeitig aus einer Schüssel, trinken gemeinschaftlich aus einer Tasse und hängen friedlich dicht nebeneinander. Auf Gleichgültigkeit gegen Gesellschaft darf man dieses schöne Verhältniß jedoch nicht zurückführen. Dazu sind sie zu leidenschaftlich. So gutmüthig sie zu sein scheinen, so willig sie sich von uns behandeln, berühren, streicheln lassen, so heftig werden sie, wenn Besucher sie muthwillig stören und necken. Ein höchst ärgerliches schnarrendes Knurren verkündet dann so deutlich, daß man gar nicht in Zweifel bleiben kann, wie zornig sie sind. Ihre Leidenschaftlichkeit äußert sich zuweilen aber auch ihresgleichen gegenüber. Dies erfuhr man im hiesigen zoologischen Garten, einer bisher arg vernachlässigten, seit Kurzem unter Leitung des trefflichen Bodinus rasch und kräftig aufblühenden Anstalt, welche schon gegenwärtig alle übrigen deutschen Thiergärten überflügelt hat. Die Flughunde des Aquarium hatten so großes Aufsehen erregt, daß Freund Bodinus sich entschloß, für den zoologischen Garten ebenfalls ein Paar anzuschaffen. Die Thiere kamen an und wurden ausgestellt; bald aber erkrankte eines und mußte behufs besonderer Pflege von dem Gefährten getrennt werden. Nachdem es vollständig genesen, konnte man es mit diesem wieder vereinigen. Am andern Morgen fand man es verendet im Käfige und zwar, zu nicht geringer Verwunderung der Beteiligten, ermordet durch den Genossen, mit welchem es so lange im tiefsten Frieden gelebt hatte. Man verschrieb also ein anderes Stück, um wieder ein Paar, d. h. ein Männchen und ein Weibchen zu besitzen. Bald nach der Vereinigung fand der Wärter beide Flughunde im wüthendsten ingrimmigsten Kampfe, einem solchen auf Leben und Tod, begriffen. Er griff entschlossen ein, trennte die auf das Höchste erregten Thiere mit größter Mühe und hielt einen verendenden Flughund in seiner Hand. Der Sieger war so erregt, daß er vor Ingrimm zitterte und noch lange Zeit wüthend schnarrte, so oft der Wärter in seine Nähe kam. Am andern Morgen lag auch dieser Flughund todt am Boden seines Käfigs: er war seinen im Kampfe erhaltenen Wunden ebenfalls erlegen. Die Untersuchung ergab, daß alle drei Flederhunde sich gegenseitig an derselben Stelle, dem Schultergelenk, angegriffen hatten. Bei einem der zuerst unterliegenden waren Oberarm, Seitenbrust und Achselgegend von Bissen förmlich zerfetzt, die großen Blutgefäße zerrissen und die Brustmuskeln theilweise abgebissen: der Tod erfolgte daher im Verlaufe weniger Minuten.

Der Doppelmord erklärte uns, Bodinus und mir, den ersten Todtschlag. Die Flederhunde bilden streng geschlossene Gesellschaften, wollen mit Fremden nichts zu thun haben und bekämpfen wahrscheinlich jeden Eindringling auf Tod und Leben. Der kranke Genosse war dem gesunden in den wenigen Tagen der Trennung ebenso fremd geworden wie der später neu erworbene Geselle; geschlechtliche Rücksichten kamen nicht zur Geltung, und der entsetzliche Zweikampf wurde ausgefochten.

Anders lassen sich diese Unthaten nicht wohl erklären; ein bemerkenswerther Beitrag zur Kunde des Wesens der so absonderlichen Geschöpfe bleiben sie aber dennoch. Sollte einer der Verfechter des unter dem Namen „Instinct“ allen Nichtdenkern aufgetischten Unsinns eine richtigere Erklärung des zwecklosen Mordens zu geben wissen, bin ich es auch zufrieden; denn unfehlbar ist nur der alte, thierunkundige Herr in Rom – ich bin es nicht.

Blätter und Blüthen.

Das Bundesoberhandelsgericht. Noch nicht zweihundert Jahre sind verflossen. Damals blutete das deutsche Reich aus hundert und aber hundert klaffenden Wunden. Die französischen Mordbrenner und Räuberbanden, d. h. die Soldaten Ludwig’s des Vierzehnten, von denen der Kurfürst von der Pfalz an den bigotten Kaiser Leopold den Ersten berichtete: „und weiln dergleichen unmenschliche Thaten gleichwohl von Türcken, Heyden und andern Ungläubigen, die zwar keine Christen, jedoch Menschen sind, nicht dergestalt verübet worden, so müssen sie auch nicht von Menschen, sondern von dem leidigen Satan herrühren,“ hatten die gesegnete Pfalz mit Feuer und Schwert schonungslos verheert. Ueberall

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 527. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_527.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)