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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


In den letzten Tagen erst, wo die Zunahme der physischen und geistigen Kräfte ihm den Glauben an die Unmöglichkeit benimmt, noch einige Weile sich einer ihm bis dahin unbekannten sorgenfreien Existenz freuen zu dürfen, hat er es vermocht, dem großen Staatsmann seinen Dank auszudrücken; er hat dies in einem mühsam zu Stande gebrachten Briefe gethan, dem ersten eigenhändigen, den er seit sechs Monaten schreiben konnte, und hin und wieder zeigt sich bei unserm Freunde, einem echt deutschen biedern Gefühlsmenschen, die Rückkehr seines natürlichen, stets bereiten treffenden Witzes und jenes Humors, der den Musikern so gern eigen zu sein pflegt. Wilhelm beabsichtigt, bevor er in seine stille Häuslichkeit zurückkehrt – er wohnt unverheirathet in seiner Vaterstadt Schmalkalden – die Elgersburger Cur bis in den Monat October fortzusetzen, also noch diejenige Zeit hindurch, in welcher nach kundigem Urtheile die berühmten Heilkräfte des wunderlieblichen, von einem kostbaren Rahmen duftender Tannenwälder und grüner Wiesen umgebenen Elgersburg vorzugsweise wirksam sind.

Unsere herzlichsten Segenswünsche lassen wir ihm zurück, der ungeahnt mit Kleinem so Großes für das verjüngte Vaterland gewirkt hat.

V.

Das Wunder in der Westentasche. Wohl selten hat der Besitzer einer Uhr den Leistungen der kleinen Maschine, die er in der Westentasche trägt, eingehend Beachtung geschenkt. Sowie der Pulsschlag beim Menschen ohne Pause vom ersten Lebensmoment bis zum Tode pocht, so soll die Uhr Tag und Nacht ohne Aufhören lebendig sein; sie soll bei jeder Bewegung, in jeder Lage, bei Hitze und Kälte gemessenen Schrittes äußerst kleine Zeittheilchen zählen und unserm Auge anzeigen, Monate und Jahre hindurch, ohne auch nur einmal den Dienst zu versagen.

Wenn man eine Cylinderuhr der am meisten üblichen Größe, deren Zifferblatt einen Durchmesser von achtzehn Linien hat, öffnet und einen Blick in das Werk thut, so sieht man ein sich flink hin und her drehendes Rad, die Unruhe. Läßt man durchweg mittlere Angaben gelten, so kann man bei guten Cylinderuhren jede einzelne Schwingung dieser Unruhe zu zweihundertsiebenzig Grad oder dreiviertel Umdrehung rechnen, ferner kann man annehmen, daß der Durchmesser der Unruhe sieben Linien, oder auch, daß der Umkreis einundzwanzig Linien beträgt. Der am äußern Umkreis befindliche kleine Stift, der Prellstift, legt also bei jeder Schwingung einen Weg von ¾ X 21 Linien zurück. Dies kann man abrunden auf sechszehn Linien, da man den stets waltenden kleinen Unregelmäßigkeiten Rechnung zu tragen hat. In einer Secunde thut nun die Uhr, wie jeder aufmerksame Beobachter nach einer Uebung am Secundenzeiger wahrnehmen kann, fünf Schritte oder Schwingungen. In einer Stunde also 18,000 und während eines Tages 432,000 Schwingungen. Der Prellstift legt also in vierundzwanzig Stunden einen Weg von 432,000 X 16 Linien zurück. Das sind zwei Meilen. Geht eine solche Uhr nun ununterbrochen zwei Jahre hindurch, was durchaus kein seltner Fall ist, so hat der Prellstift ohne Rast einen Weg von 1460 Meilen zurückgelegt.

Bei einer gleich großen Ankeruhr ist jede einzelne Schwingung doppelt so groß. Jeder angenommene Punkt am Umkreis ihrer Unruhe (denn einen Prellstift trägt sie nicht) legt also in vierundzwanzig Stunden einen Weg von vier Meilen und in zwei Jahren 2920 Meilen zurück. Sollte der ohne Pause zurückgelegte Weg 5400 Meilen, dem Umkreis der Erde gleichkommen, so müßte die Uhr ohne Reparatur ca. drei dreiviertel Jahre gehn, und auch dieser Fall kommt häufig vor.

Würde man es einem kleinen Wägelchen, dessen Räder einen Durchmesser von sieben Linien haben, wohl zutrauen, daß es auf ebener Bahn ohne Aufenthalt und Reparatur in drei dreiviertel Jahren die Erde umfahren könnte? – Die Uhr ist dieser Leistung nur fähig vermöge der Leichtigkeit, der Härte, und der nach Möglichkeit beseitigten Reibung der betreffenden Theile. Die Freiheit der Bewegung wird besonders durch das den Zapfen der Unruhe mitgetheilte Oel unterstützt. Die Feinheit der Zapfen bedingt ein so geringes Quantum Oel, daß von einem Tropfen desselben etwa zweihundertfünfzig Zapfen gespeist werden könnten, es muß aber von einer Güte sein, daß es auch in diesem geringen Maße jahrelang flüssig bleibt.

Eine andere Leistung der Taschenuhr, die kaum nach Würden beachtet wird, ist die Genauigkeit, mit der sie uns jederzeit dient.

Die Schwingungen der Unruhe werden durch die Spiralfeder isochronisch (von gleicher Dauer) gemacht. Der Gang der Uhr wird durch Verlängern und Verkürzen dieser Spiralfeder regulirt, und zwar geschieht dies vermittels des Rückers, denn dieser verleiht bei jedesmaliger Verschiebung nach retard oder avance der Spiralfeder eine andere Länge. Wir wirken also durch den Rücker auf die Dauer der einzelnen Schwingungen der Unruhe. – Wenn nun eine Uhr in vierundzwanzig Stunden zwei Minuten differirt, so heißt das, da in dieser Zeit vierhundertzweiunddreißigtausend Schwingungen stattfinden, ebensoviel als: jede einzelne Schwingung ist um den dreitausendsechshundertsten Theil einer Secunde zu lang oder zu kurz. Stellen wir nun etwa das Verlangen, daß die Uhr höchstens täglich eine halbe Minute differiren soll, so heißt das wünschen, daß jede einzelne Schwingung der Unruhe höchstens um den vierzehntausendsten Theil einer Secunde zu schnell oder zu langsam sein soll.

Wir unterstützen die Uhr nur durch die geringe Mühe des Aufziehens täglich einmal, und verlangen dann stillschweigend das, was wir hier einer Betrachtung unterzogen haben; aber es ist in der That staunenswerth, mit welcher Genauigkeit uns das an sich todte Metall dient, wenn es durch die Hand der Kunst, den Naturgesetzen gemäß, unsern Zwecken dienstbar gemacht wird.

T. D.

Wehrmanns-Denkmal. Den heimgekehrten Wehrmännern ist es eine Herzenssache, das Andenken ihrer gefallenen Cameraden durch öffentliche Denkmalsteine zu ehren und auf ihnen die Namen derselben auch auf die Nachwelt zu bringen. Für nicht wenige Bewohnerschaften ist freilich das Opfer für solch einen Denkstein zu groß; aber dennoch kann unmöglich für solche die Gartenlaube die nöthige Hülfe bringen; die Zahl derartiger Aufrufe würde bald die Möglichkeit ihrer einfachsten Mittheilung übersteigen und der Erfolg mit der Vervielfältigung der Ansprüche sinken. Hier muß jeder Ort in seinem nächsten oder weiteren Kreise selbst sorgen. So hat z. B. die Landwehrmannschaft von dem eben nicht wohlhabenden Ellrich am Harz den Beschluß gefaßt, ihren Antheil an der für die heimkehrenden Krieger gesammelten Unterstützungssumme als Zuschuß zu den Kosten eines solchen Denkmals zu verwenden. Auch sie sind der weitern Beihülfe benöthigt. Aber trotz alledem müssen wir uns darauf beschränken, den schönen Gedanken allen opferfähigen Vaterlandsfreunden recht warm an’s Herz zu legen. Vielleicht helfen auch in dieser Hinsicht unsere Deutschen jenseits des Oceans mit ihren reicheren Mitteln freudig nach.

Nach der Ansicht Eines unserer Mitarbeiter, H. J. in Eisenach, gehört das Denkmal der Gemeinde für ihre Todten des Krieges auf den Friedhof der Gemeinde. Die Gebliebenen sind dann gleichsam geistig unter den Ihren begraben, und die Angehörigen und Freunde, welche die Namen der geliebten Todten lesen, haben fast dasselbe Gefühl, als ruhten dieselben in heimathlicher Erde. Ein allgemeines Ruhmesdenkmal an einem öffentlichen Platze wird nie einen solchen Gefühlseindruck machen, nie das Herzensbedürfniß befriedigen.

Auf dem Dorfe genügt eine Steintafel mit den Namen der Gebliebenen an der Mauer der Kirche oder des Friedhofs befestigt; und sollte ein Dörfchen für den einzigen Gefallenen einen Stein nicht anwenden wollen oder können, so genügt es auch, wenn der Name an die Wand der Kirche geschrieben wird. In Preußen findet man von den Befreiungskriegen her in allen Kirchen eherne Tafeln, auf welchen die Namen der auf dem Bette der Ehre gefallenen Angehörigen der betreffenden Gemeinde eingegraben sind. Auch diese einfache Sitte verdient im übrigen Deutschland Nachahmung. Das Andenken an die Todten wird frischer erhalten, wenn nicht blos das Namensverzeichniß aufgefrischt, sondern wenn bei jedem Namen auch die Waffe genannt wird, in welcher der Mann diente, und Tag und Stätte des Kampfs, wo er fiel.




In Jesuitas.

Sie jauchzten um ihr Meisterstück, um Deutschland, das getrennte,
Sie saßen lustig, Rock an Rock im deutschen Parlamente!
Sie sahen ihre alte Burg im Zeitensturm zerbrechen,
Doch ungetrübten Angesichts begannen sie zu sprechen:

„Ein schönes Reich, dies neue Reich! – Der Spott der Nationen,
Gewann es heute wunderbar die stolzeste der Kronen!
Sein junges Haupt verkündet Kraft, sein Lächeln eitel Wonne – :
Wie eine Sonne ging es auf – so sei es unsre Sonne!“

Ja wohl, Ihr seid die Alten noch, Ihr Söhne des Loyola,
Im schwarzen und im bunten Kleid, im Frack und in der Stola,
Und die im Vaticane sich zum Beutezuge rüstet,
Es ist die alte Schlange noch, die ’s wiederum gelüstet!

Es ist die alte Schlange noch – sie zischt die alte Weise.
Ihr Dürsten ist der Länder Raub, und Gold ist ihre Speise.
Sie hat Dämonen, schlau wie sie, zu Boten sich erlesen,
Und aller Boten trefflichste seid Ihr, wie Ihr’s gewesen!

In der Geschichte Blättern steht’s, ein traurig Blatt, geschrieben,
Wie gut Ihr Euer Amt gewußt, wie redlich Ihr’s betrieben,
Wie fleißig Ihr den Wind gesät und Euch des Sturmes freutet,
Und wie Ihr jeden frischen Trieb des Geistes ausgereutet!

Wie tückisch zum Despotenthum die Fürsten Ihr verführtet,
Und der Empörung Flammen dann im Völkerherzen schürtet,
Wie am Altar Ihr Mann und Weib um ihre Liebe brachtet,
Und Eures Herrn geweihten Leib zur Judasgabe machtet.

Ja wohl, Ihr seid dieselben noch, – Ihr züngelt und Ihr lauert,
Nur daß der Stachel Euch gebricht, wie sehr Ihr’s auch bedauert,
Nur daß hinfort kein Arbues aus flammendem Gebeine
Die junge Glorie sich webt zum künft’gen Heil’genscheine!

Nur daß kein Volk sich fürder krümmt, dem Ihr den Nacken streichelt,
Nur daß Ihr nicht der Herrscher Ohr wie weiland Euch erschmeichelt;
Das Salz der Erde nennt Ihr Euch – nur ist es dumm geworden,
Und jenem im Matthäus gleich – hinaus mit Eurem Orden!

Wenn Einer stirbt, die letzte Furcht im Angesicht, dem bleichen,
Dann mögt Ihr im Prophetenkleid zu seinem Lager schleichen,
Dann mögt Ihr an dem Schmerzenspfühl vom Anathema krächzen
Und zum Bekenntniß, das Ihr wollt, verdrehn ein fiebernd Aechzen.

Wenn Einer ungebeugten Geist’s von dieser Welt geschieden
Und lieber seinem Gotte sich befahl als Eurem Frieden,
Dann mag ihn Euer feiger Grimm noch bei den Schatten suchen,
Dann mögt Ihr seine Gruft bespein und – fluchen, fluchen, fluchen!

Die Todten und die Sterbenden, sie lassen mit sich handeln,
Doch nicht mit den Lebend’gen sollt Ihr eine Straße wandeln!
Im Frieden und im Kampfe nicht! – Kein Friede mit Euch Allen,
Und in der Tage letztem Kampf, da sollt und müßt Ihr fallen!

Wir sind das freie deutsche Volk, das Volk in Geisteswaffen,
Wir haben mit der Lüge nichts und mit dem Haß zu schaffen,
Wir werden Sanct Georgen gleich zertreten Euren Samen,
Den Samen, den die Hölle kennt! – Das helfe Gott uns, Amen!

Gustav Weck.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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