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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


und nur bei einem einzigen Haare habe ich einen mehrfachen Farbenwechsel gesehen: das Haar war vierundzwanzig Zoll lang, sein Spitzenstück drei Zoll weiß, dann neun Zoll dunkel, dann fünf Zoll weiß, dann vier Zoll dunkel und das Ende etwas heller, aber immer noch gefärbt. In allen diesen Fällen fehlte der Farbstoff in den weißen Partien; es war mithin der Farbstoff am Ort der ersten Bildung und während dieser Bildung des Haares bald abgelagert worden, bald nicht.




Mutter und Tochter.
Ein Fürstenbild aus den Zeiten der Romantik.


Thiers hat in einer seiner jüngsten Parlamentsreden den „westphälischen Frieden“ als eine der „bewunderungswürdigsten“ Thaten der Politik Frankreichs gepriesen. Vom französisch-chauvinistischen Standpunkt mit vollem Recht. Mit demselben Rechte beklagen wir jenen Frieden als die Quelle all der Uebel, welche Deutschland bis zu den Befreiungskriegen auf die unterste Stufe nationaler Würde und Macht niedergedrückt hatten und deren Einfluß aus den höheren Regionen erst durch unsern letzten Krieg gegen Frankreich völlig verbannt worden ist – wie wir im neuen deutschen Reich wenigstens erwarten.

Der schlimmste Artikel jenes Friedens ist derjenige, welcher auf Frankreichs Betreiben den Reichsfürsten fortan uneingeschränkte Landeshoheit verlieh. Dafür waren die Fürsten dem Franzosenkönige auch dankbarer, als sie sich für die größten deutschen Kaisergnaden je bezeigt hatten: sie wurden größtentheils selbst sammt ihrem ganzen Gefolge Zöglinge und Lehrjungen in der Schule des Franzosenthums, und es gab Manche, die es darin bis zur Meisterschaft gebracht haben.

Französisch wurde die Sprache, die Sitte, die Kleidung, die Erziehung, kurz Haus und – Herz der gesammten „höheren und höchsten“ Gesellschaft, die über dem ungeheuren „Pöbelhaufen“ des deutschen Volks im Olymp der „Schlösser“ schwebte; so ziemlich jedes Schloß ward eine Heimstätte des Franzosenthums. Die Ausnahmen waren so selten, daß sie zu den Auffälligkeiten gehörten, welche die Geschichte besonders vermerkt hat.

Diese völlige Loslösung der „höhern Gesellschaft“ vom Volke führte dieselbe, soweit sie nicht in der sclavischen Nachahmung französischen Wesens aufging, zu kosmopolitischen Anschauungen hin, mit welchen ihre Vaterlandslosigkeit leidlich aufgeputzt wurde. Gewonnen hatten diese Kreise allerdings an feineren Lebensformen, und wer die Rohheit, die an den meisten deutschen Fürstenhöfen in den Zeiten vor dem dreißigjährigen Krieg und während desselben herrschte, betrachtet, giebt gern zu, daß sie etwas Schliff sehr nothwendig hatten. Wenn nun mit diesen veredelten Lebensformen sich zugleich ein der Pflege der schönen Künste und Wissenschaften huldigender Geist vereinigte, so konnten dadurch wohl auch Erscheinungen gedeihen, auf die wir heute, nachdem so Vieles überwunden ist, mit ruhigerer Theilnahme zurückblicken können. Bedingung dafür ist aber freilich, daß wir nicht die Förderung politischer oder gar patriotischer Bestrebungen bei ihnen suchen. Selbst wo wir Männern, deren Namen jetzt im populärsten Glanze strahlen, in jenen exclusiven Cirkeln begegnen, ist an keine nationale und liberale Anschauung in unserem Geiste zu denken. Wer in den höheren Kreis hinaufgehoben wurde oder hinaufstieg, fand sich in dem kosmopolitischen Dunstkreis daheim; die wenigen Männer von deutschem Charakter vor den Befreiungskriegen waren zu eckige Gestalten für diese Welt ungestörter Anmuth.

Ein Muster solch feingeistigen Hofhalts war der der zwei merkwürdigen Frauen, deren Andenken wir diesen Artikel widmen – der Mutter, die als letzte Herzogin von Kurland, und der Tochter, die als Herzogin von Sagan in den Geschichten der gefeiertsten Schriftsteller und Diplomaten ihrer Zeiten eine große Rolle spielen.

Ueber die Herzogin Dorothea von Kurland und ihre schön-geistige Hofhaltung zu Löbichau, ihrem Landschlosse zwischen Ronneburg und Gera, hat bereits ein ausführlicher Artikel, mit einer Abbildung des Löbichauer Schlosses und Parks, im Jahrgang 1859 der Gartenlaube gehandelt. Ueber sie selbst haben wir hier noch Manches zum ersten Artikel nachzutragen; unsere besondere Aufmerksamkeit gilt aber der schönen gleichnamigen Tochter derselben, deren Bildniß diesen Artikel schmückt, welches der mittleren Epoche ihrer Schönheit angehört und dessen Mittheilung wir der A. Leesenberg’schen historischen Portraitsammlung in Berlin verdanken.

Man hat die beiden Dorotheen von Kurland und Sagan sehr oft verwechselt, obwohl sie Mutter und Tochter waren; ihre Jugend lag zwar weit auseinander, aber in ihren Charakteren und in ihren Schicksalen fand allerdings so viel Aehnlichkeit statt, daß eine Verwechslung begreiflich ist.

Der Vater der Ersteren, der Reichsgraf von Medem, gehörte zu den ältesten und geachtetsten Adelsgeschlechtern in Kurland, aber er dachte doch nicht daran, daß seine jüngste Tochter einmal seine Landesherrin werden könnte. Es war dies ein Werk seiner dritten Frau, einer Wittwe, Freifrau von der Recke, die eine kluge, freundliche, aber sehr ehrgeizige und herrschsüchtige Dame war. Mit den Kindern aus der ersten Ehe des Grafen entzweite sie sich sehr bald, der Sohn Friedrich trat in offene Feindschaft mit ihr und seine Klagebriefe über ihr Benehmen gegen ihn sind seltsamerweise von einem seiner Universitätsfreunde 1792 in Straßburg dem Druck übergeben worden, wodurch der neugierigen Mitwelt ein tiefer Einblick in die Zustände einer der vornehmsten Familien gestattet wurde.

Die schöne Dorothea wurde sehr bald der Liebling der Stiefmutter, die in ihr die Erfüllung ihrer ehrgeizige Pläne voraussehen mochte und ihr eine frühzeitige Anleitung gab, um in der Welt und vor Allem am Hofe zu Mitau zu glänzen.

Zu dieser Zeit verweilte der Abenteurer Cagliostro in Kurland und machte seinen Einfluß auch am Hofe des Grafen Medem geltend. Namentlich war Dorothea’s Stiefmutter, wie alle alternde Frauen, von Cagliostro beherrscht, denn er verhieß ihnen ein jugendlichmachendes Geheimmittel; sie vergaß darüber das junge Mädchen hinreichend zu bewachen, und da dessen Herz ebenso frühreif war als ihr Geist, so konnte es nicht ausbleiben, daß sie einige Liebesregungen empfand. Zweimal verlobte Dorothea sich heimlich, aber sie wagte nie die Einwilligung der Eltern zu erbitten, deren Ehrgeiz ihr nicht unbekannt war.

Mittlerweile war Herzog Peter von Kurland aufmerksam auf sie geworden; er sondirte erst, ob Graf Medem geneigt sein würde, ihm eine geheime Ehe mit seiner Tochter zu gestatten. Der Graf Medem lehnte diesen Antrag stolz ab; die kluge Gattin aber bearbeitete die Stieftochter dahin, daß sie eine geheime Verlobung mit dem Herzoge einging, und richtete dann eine sehr öffentliche pomphafte Trauung in’s Werk. Der ganze Adel Kurlands wurde zu einem Hoffeste in’s Schloß geladen, und als man sich untereinander neugierig fragte, was die Veranlassung sein könnte, wurden die Flügelthüren zur Schloßcapelle aufgerissen, in der wie ein lebendes Bild die reizende Braut neben dem alternden Herzog vor dem Traualtar stand. Sie war erst eben neunzehn Jahr alt geworden, fand sich aber so rasch in ihre Rolle als Landesmutter, daß sie ohne alle Verlegenheit den Ständen eine Rede hielt, als sie zur Beglückwünschung vor ihr erschienen.

Trotz aller freundlichen Beziehung zur Kaiserin Katharina gelang es indessen der jungen Herzogin nicht, ihrem Gemahl die Krone von Kurland zu erhalten, er mußte 1795 derselben feierlich entsagen und sein Land dem russischen Scepter überlassen. Er zog sich nach seiner Besitzung Nachod in Böhmen zurück, lebte auch öfter auf der von ihm erkauften Herrschaft Sagan und starb 1800.

Fünf Töchter und ein Sohn waren dieser Ehe entsprossen; der letztere hatte einen Augenblick die Hoffnungen auf die Fortdauer Kurlands belebt und wurde mit mehr Wichtigkeit behandelt als der Erbe des größten Reichs; indessen starb er in zarter Kindheit, die Krisis seines Erbländchens nur noch beschleunigend. Von den Töchtern war Dorothea von Sagan die jüngste, sie wurde am 21. August 1793 geboren.

Die Mutter Dorothea war in ihrem Enthusiasmus für große Männer zuletzt bis zu Napoleon emporgestiegen. Es sei hier noch eingeschaltet, daß auch Friedrich der Große, trotz seines Greisenalters

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_556.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)