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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Aber ich sehe schon, ich komme Ihnen doch nicht mehr aus; also sei es denn! Den Kaffee wollen wir aber, da der Tag so schön, und Sie jedenfalls nicht aus der Stadt herausgekommen sind, um auch hier in der Stube zu sitzen, im Freien trinken. Kommen Sie!“ Und er führte uns in die nach dem See zu gelegene Veranda, wohin inzwischen ein Diener den Kaffee und frisches Wasser brachte. Es ist ein reizendes Plätzchen, diese Veranda. Eine breite Lücke in dem grünen Blätterdache der Bäume, welche den wenige Schritte vor derselben abfallenden Berghang bekränzen, läßt das Auge über ein Stück des vom Strahle der Nachmittagssonne beschienenen blauen Seespiegels nach dem jenseitigen Gestade mit den zahlreichen Villen von Niederpöcking – von boshaften Zungen „Protzenhausen“ genannt – schweifen, während südwärts über die dortigen Baumgruppen hin einige schneebedeckte Häupter des Hochgebirges sichtbar sind. Nachdem wir eine Weile in stiller Beschaulichkeit das Auge an dem Anblick der herrlichen Wunder der Schöpfung geweidet, indessen unser Wirth die Tassen mit dem duftenden, braunen Mokkatranke gefüllt hatte, brannten wir Gäste uns Jeder einen Glimmstengel an. Der Baron aber, der auf unsere Frage, ob ihm nicht auch eine Cigarre beliebe, erklärte, daß er dem Genusse des – mit dem Gesundheitsapostel Ernst Mahner zu reden – „stinkgiftigen Schmauchkrautes“ nicht fröhne, ging nun an die gewünschte Erzählung seiner Erlebnisse.

„Bei der Erhebung des preußischen Volkes“ – begann er – „im Jahre 1813 bin ich, ein kaum achtzehnjähriger Jüngling, noch vor Vollendung meiner Studien dem Rufe des Vaterlandes folgend, als Freiwilliger in das dritte Ziethen-Husaren-Regiment getreten, habe an den Schlachten und Gefechten von der Katzbach bis an den Rhein Theil genommen und als Mitglied des vor der Schlacht bei Leipzig gebildeten Streifcorps unter Führung der Generale v. Thielemann und Orloff-Denisow die vielfachsten Mühen, Wagnisse und Gefahren bestanden, mich aber hiefür durch mancherlei Lustbarkeit und Gewinn entschädigt gesehen. Was ich damals durchgemacht, ist aus meinen zur fünfzigjährigen Jubelfeier der Leipziger Schlacht herausgegebenen ‚Veteranen-Liedern‘[1] – zu entnehmen. Durch mein geringes Gesangstalent und den Vortrag von mancherlei Liedern in verschiedenen Sprachen erwarb ich mir aber auch nicht blos den Beifall der Cameraden am Wachtfeuer, sondern auch die Gunst der Vorgesetzten und machte mich nicht selten eines Platzes an der wohlbesetzten russischen Generalstafel theilhaftig. Ebenso trug meine diensteifrige Verehrung für das schöne Geschlecht in Städten und Dörfern mir manche liebliche Frucht und verschaffte mir im damaligen Hauptquartier der verbündeten Monarchen zu Frankfurt am Main die Beiziehung zu den höchsten Cirkeln, wo der einfache Freiwillige in seinem abgeschabten Husaren-Pelze im Beisein von Kaisern und Königen und zum höchsten Erstaunen der gold- und silberfunkelnden, bekreuzten, besternten und bebänderten Umgebung von den schönsten Frauen sich mit Aufmerksamkeiten und Liebkosungen überhäuft sah.

Unter solchen Vorgängen aber,“ fuhr der Erzähler fort, „war der Freiwillige zum Officier befördert und einer neuen Bestimmung überwiesen worden, deren Antritt jedoch vor der Hand ihm versagt blieb, indem ich bei Ueberschreitung des Rheines am 1. Januar 1814 durch eine Verwundung am rechten Arme an der Fortsetzung des Marsches gehindert wurde. Diesseits des Stromes zurückgehalten, um meiner Heilung obzuliegen, nahm ich abwechselnd in Darmstadt und Frankfurt am Main meinen Aufenthalt. War derselbe auch ein unfreiwilliger, so entbehrte er doch keineswegs Annehmlichkeiten, besonders in Folge der mancherlei dort angeknüpften Bekanntschaften; unter diesen erwähne ich nur die mit dem berühmten Componisten Abt Vogler, welcher ein von dem Verwundeten gedichtetes Kriegslied in Musik setzte, dann mit Bürger’s Gattin und mit Helmine v. Chezy. Im März desselben Jahres war ich endlich wieder so weit hergestellt, daß ich unserer in Frankreich stehenden Armee nachfolgen und an ihrem Einzug in Paris Theil nehmen konnte. Im Juni in das Vaterland zurückgekehrt, führte mich der in Folge der Entweichung Napoleon’s von Elba wieder ausgebrochene Krieg abermals in’s Feld und im Juni 1815 zum zweiten Male nach Paris. Im August machte ich dem stolzen Albion einen Besuch und hatte in London die Ehre, dem Prinz-Regenten vorgestellt zu werden. Nach abermaliger Rückkehr in die Heimath suchte und fand ich eine Civil-Anstellung und zwar bei der Regierung in Köln, womit die Ernennung zum Officier bei der rheinischen Landwehr-Cavallerie verbunden war. Da jedoch diese Stellung meiner Neigung zu dichterischer Thätigkeit zu wenig Befriedigung gestattete, so gab ich dieselbe nach sechsjähriger Dauer wieder auf.

Ein Cur-Aufenthalt in Marienbad verschaffte mir das Glück, nicht blos Goethe’s Bekanntschaft zu machen, sondern auch, mit ihm unter einem Dache wohnend, täglich in seiner Nähe und bei den Abendgesellschaften Carl August’s von Weimar Zeuge der tiefen Neigung des siebenzigjährigen Dichterfürsten für Fräulein v. L. zu sein. Von seinen Rathschlägen und Segenswünschen begleitet, bereiste ich dann Italien, Sicilien und kehrte über Frankreich nach mehr als einjähriger Wanderung nach Deutschland zurück.

In Berlin ward mir im Jahre 1825 die Freude, mein Lustspiel ‚Kommt her!‘ auf dem dortigen königlichen Theater zur Aufführung kommen und in wenigen Wochen über ganz Deutschland verbreitet zu sehen. Meine Tragödie ‚König Harald‘ wurde gleichfalls angenommen, die Darstellung jedoch nach inzwischen erfolgtem Intendanten-Wechsel nicht weniger als neun Jahre lang hinausgeschoben. Ein anderes Lustspiel ‚Die Hofdame‘, welches ich in Italien geschrieben hatte, veranlaßte Goethe, nachdem ihm durch meine Berliner Freunde ein Exemplar zugekommen war, zu einem anerkennenden Schreiben an mich, welches hinwiederum die Quelle eines einjährigen Briefwechsels wie auch andauernden persönlichen Verkehrs zwischen uns wurde. Im nächsten Jahre ging ich nach München, wo ich schon zwei Jahre vorher einen auf acht Tage, zum Besuche des Octoberfestes, beabsichtigten Aufenthalt im Wechsel literarischer Arbeiten mit Zerstreuungen aller Art auf ebenso viele Monate ausgedehnt hatte, und übernahm daselbst die Redaction der Zeitschrift ‚Eos, Blicke auf Welt und Kunst‘, die ich im October 1828 mit der Leitung des Hoftheaters zu Gotha vertauschte, welche ich jedoch gleichfalls bald wieder niederlegte. Nachdem ich auch nach diesem Rücktritte meinen Aufenthalt mehrfach gewechselt, und inzwischen die Gräfin Josephine v. Törring-Seefeld mir Herz und Hand gereicht hatte, ward mir im Jahre 1837 die Vertretung der sächsischen Herzogthümer am Münchner Hofe übertragen, deren ich im Jahre 1852 auf eigenes Verlangen enthoben wurde. Nun aller dienstlichen Bande los und ledig, gründete ich mir nach meinen vielen odysseischen Irrfahrten auf diesem Fleck Erde hier, wo ich jetzt, wie Sie sehen, festsitze, ein eigenes Heimwesen und genieße auf demselben ein otium cum dignitate, indem ich nach Lust und Laune mich bald mit literarischen Arbeiten beschäftige, bald meinen Kohl und andere Dinge baue, zum Beispiel absonderlich ausgestattete Kegelbahnen, wie Sie gleichfalls gesehen haben.

Damit bin ich nun zu Ende.“

„Aber auch die Sonne,“ bemerkte ich, einen Blick nach Westen werfend, „wird mit ihrem heutigen Tagewerk bald zu Ende sein. Sie steht schon hübsch niedrig, und es ist daher an der Zeit, daß wir aufbrechen und nach Leoni hinunterwandern, um das Dampfboot, das uns wieder heimführen soll, nicht zu versäumen.“

Unser liebenswürdiger Gastfreund ließ es sich nicht nehmen, uns auch noch das Geleite dahin zu geben. In Leoni angelangt, hatten wir noch so viel Zeit, um in dem dortigen Wirthsgärtchen, welches die Wellen des Sees bespülen, ein Glas Bier zu trinken, und so saßen wir denn noch eine kleine Weile beisammen, bis das Dampfboot heranbrauste und zum Abschied drängte. Mit einem herzlichen Händedrucke lud uns der Baron ein, ihn in seinem Tusculum recht bald wieder zu besuchen, und dahin fuhren wir nun, dem ungemüthlichen Treiben und Drängen in der staubigen Stadt wieder entgegen, doch voll freundlicher Erinnerungen an die Stunden, die wir zugebracht beim Alten vom Berge, dem Veteranen aus den Befreiungskämpfen.

Eugen Gugel.



  1. Leipzig bei J. J. Weber 1864.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_571.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)