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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 37.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Das Haideprinzeßchen.

Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


„Dafür lassen Sie mich sorgen, Herr Doctor,“ versetzte Ilse resolut – sie war wieder vollkommen in ihrem Fahrwasser. „Ich kann getrost eine Woche vom Dierkhof fortbleiben, wenn mir auch der Heinz unterdessen ein paar Dummheiten macht. … Ich will schon Alles einrichten. … Und das Kind kommt auch nicht mit leeren Händen.“

Sie zog ein Papier aus ihrem Strickkorb und reichte es meinem Vater hin; es war das Testament meiner Großmutter.

Ich hob den Kopf von seiner Brust und brachte ihm die letzten Grüße der Heimgegangenen.

„Sie ist nicht im Wahnsinn gestorben, meine arme Mutter?“ fragte er.

„Nein,“ sagte Ilse. „Sie war so bei Verstande wie in ihren gesundesten Tragen und hat ihr Haus erst noch bestellt, ehe sie aus der Welt gegangen ist. … Lesen Sie das nur. Das Gericht war zwar nicht dabei, aber sie hat gemeint, Sie würden ihren letzten Willen auch so respectiren –“

„Das versteht sich von selbst.“

Er schlug das Papier auseinander und überflog die ersten Zeilen. „Das freut mich für Sie, liebe Ilse!“ sagte er. „Der Dierkhof gehört Ihnen von Rechtswegen.“

„Meinen Sie wirklich, Herr Doctor? … Je nun, wenn ich an Ihrer Stelle wäre, ich dächte nur: ‚Aha, da hat die Ilse nur bei der alten Frau ausgehalten, um sich den hübschen Hof zu erschleichen‘ –“

„Das fällt mir nicht ein –“

„Aber mir. … Ich nehme den Dierkhof nicht; der gehört mit Ihrer Erlaubniß der Kleinen. Sie muß eine Zuflucht haben, ein eigen Stückchen Erdboden, das ihr bleibt, wenn’s ihr in der Welt nicht gefällt. … Wenn ich auf dem Dierkhof bleiben kann und Sie leiden’s, daß ich ihn in Ordnung halten darf bis an mein Ende, so ist das vollauf genug. Ich hätte das Papier ja auf der Stelle zerrissen, als meine arme Frau die Augen zugethan hatte; aber ich durfte ja nicht, weil noch mehr darauf stand.“

Mein Vater las weiter. „Wie, es war doch noch Vermögen da?“ rief er auf das Höchste überrascht. „Sie haben mir stets geschrieben, meine Mutter lebte einzig und allein von ihrer Pension und dem geringen Ertrag des Dierkhofes.“

„Ist auch die reine Wahrheit gewesen, Herr Doctor. … Im Anfang sind noch ein paarmal Extragelder eingelaufen, aber ich verstehe ja von dergleichen Sachen so viel wie nichts und als die gnädige Frau aufgehört hat, ihre Briefe selbst zu schreiben, da ist auch nicht ein Groschen mehr eingegangen. Der Doctor hat mir’s erst auseinandergesetzt, daß man die kleinen bedruckten Papiere abschneiden und hingeben muß, und dafür bekommt man den Zins.“

„Haben Sie die Papiere mitgebracht?“

„Ja,“ sagte sie auf einmal sehr verlegen und zögernd. „Aber, Herr Doctor, das will ich Ihnen gleich sagen,“ setzte sie sofort resolut hinzu, „die dürfen nicht so auf die Art ausgegeben werden“ – sie winkte bedeutungsvoll mit dem Kopfe nach dem anstoßenden Saal – „wie die großen Geldpakete, die Ihnen die gnädige Frau immer von Hannover aus geschickt hat.“

Die tiefeingefallenen Wangen meines Vaters rötheten sich, und sein Blick hatte etwas so Unsicheres, als sei er auf einem Unrecht ertappt worden.

„Nein, nein!“ versicherte er lebhaft. „Machen Sie sich keine Sorge – das Geld gehört Lenoren“.

„Und Sie werden es ganz sicher aufheben? Und pünktlich jedes Vierteljahr –“

„Nein, Ilse, nur das nicht!“ unterbrach er sie ganz entsetzt. „Mit Geldsachen kann ich mich unmöglich befassen! Mein Beruf nimmt mich so ausschließlich in Anspruch –“

„Ach, darum grämen Sie sich nicht, da wird sich auch schon Rath finden, Herr Doctor!“ beschwichtigte sie ihn – es entging mir nicht, daß sie wie befreit aufathmete. „Aber wie ist’s denn nun? In der großen Stube da können wir doch wohl nicht bleiben? … Ich sehe keine Commode, keinen Schrank –“

„Ich werde Sie gleich hinunterführen in meine Wohnung – nur einen Augenblick Geduld, einen kleinen Augenblick! Ich will nur mein Manuscript einschließen.“

Er ging an seinen Tisch und kramte mit gedankenvoll gesenktem Kopf in den Papieren. Dabei strich er sich wiederholt über die Stirn, dann über den sehr dünnen, bereits ergrauten Kinnbart und ließ sich schließlich langsam in den Lehnstuhl niedersinken. Plötzlich ergriff er die Feder und fing an zu kritzeln.

Ilse war einstweilen in den Nebensaal eingetreten, und ich ging ihr nach. … Wie sich unsere zwei Gestalten inmitten des

Antikencabinets ausgenommen haben mögen, kann ich mir jetzt recht gut denken, und mit welchen Augen ich die Kunstschätze, für

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 609. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_609.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2018)