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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Und eh’ der Bub’ entschlummert, ei, wie er scherzt und lacht –
Ein Kind vergißt ja Alles, wenn Mutterliebe wacht! –
Indeß auf dem Verdecke das Kind schläft bei der Frau,
Zeigt sich in der Kajüte nun eine andre Schau.
Da kreist die Branntweinflasche im Raume, schwül und dumpf;
Der Eine flucht beim Würfeln, der Andere bei dem Trumpf.
Vom fernen Süd ein Pflanzer im buntgestreiften Hemd
Steht bei dem Capitaine, die Hände eingestemmt
In seine Seiten. „Goddam! Hier auf dem Eriesee
Versteht man nicht zu fahren, daß ich’s Euch gleich gesteh’!
Es geht wie mit der Schnecke! O, nirgend fährt man so,
So flott wie fern im Süden, im Golf von Mexico.
Da geht es von der Stelle, da hat man andre Art.
Doch hier im faulen Norden, da wird zu viel gespart!
Zehn Flaschen Whisky setz’ ich: Ihr fahrt nicht so geschwind,
Daß wir in einer Stunde schon in dem Hafen sind! –“
„Ei, Sir, in einer Stunde! Wir brauchen anderthalbe;
Mein Schiff, das heißt die ‚Schwalbe‘ und fliegt auch wie die Schwalbe!
Es geht mit allen Kräften!“ Da fällt der Pflanzer ein:
„Ich will in einer Stunde im Hafen lustig sein!
Geräth’s nach meinem Willen, bei Gott, ich halt’ es wahr:
Ich leg’ zu den Bouteillen Euch auch noch zehn Dollar!
Ihr habt nicht Weib, nicht Kinder, drum fahrt nur sorgenlos,
Und geht’s nicht in den Hafen, so geht’s in Abram’s Schooß! –“
„Denkt an die Passagiere!“ Der Deutsche ruft es laut.
Der Capitain in Ruhe am Tabak weiter kaut.
„So seid Ihr Deutsche immer! Hört, junger Deutscher, mich!
Bei Euch heißt’s: All’ für Einen! bei uns: Jeder für sich!
Macht schnelle Fahrt mir Freude, Euch kostet’s keine Kohlen –
Ich schlage ein, Herr Pflanzer, und damit Gott befohlen!
Zehn Flaschen und zehn Dollars! Es gilt!“ Der Seemann lacht.
„Ihr sprecht von Passagieren! Ein Passagier ist Fracht.
Versichert Euer Leben!“ und heimlich leis er kichert:
„Das Schiff ist morsch und faulig, doch ist es gut versichert!“
Es steigt des Schiffes Führer hin zum Maschinenraum.
Wildbrausend von den Rädern fliegt rings der Wellenschaum.
Die schwarzen Wolken steigen gewaltig aus dem Schlot,
Aufwirbeln hoch die Funken, die Funken purpurroth.
Hoch wallt des Dampfes Säule, bis auf den Fluthenschooß
Wirft jener Säule Schatten das Mondlicht riesengroß.
Da, plötzlich, welch ein Aufschrei! Die Treppe stürmt’s hinan.
„Es brennt! Brand in dem Schiffe! Wo ist der Rettungskahn?
Die Glocke sollt Ihr läuten! Zieht auf das Nothsignal!“
Da zuckt empor am Mast schon ein mächt’ger Flammenstrahl;
An den getheerten Stricken steigt auf die helle Gluth;
Die weißen Wasserperlen, sie leuchten roth wie Blut.
Der Dampf quillt aus den Fugen und rings Verderben droht,
Doch Capitain und Pflanzer, die sind im Rettungsboot.
Die Glocke dröhnet schrillend und hell die Pfeife gellt –
Umsonst verhallt das Tönen im weiten Wasserfeld.
In Büscheln aus den Luken die gelben Flammen quellen;
Sie lecken an der Schiffswand und züngeln nach den Wellen,
Sie fliegen auf im Rauche, vom Sparrwerk losgerissen,
Als wollten sie die Sterne am Firmamente küssen.
Laut ächzet die Maschine, umflammt an allen Flanken,
Und rings am Schiff, da hängen Schiffbrüchige an den Planken.
Hier tönt ein Fluch, ein grauser. „Hilf, Herr!“ ein Andrer jammert,
Und hundert Hände halten das Rettungsboot umklammert,
Und, die im Boote weilen, die ziehn die Messer nackt;
Sie stechen nach den Fäusten, die fest den Kahn gepackt.
Im Wahnsinn tobt der Pflanzer: „Ich geb’ Euch All den Rest!“
Des Blutes Quellen rieseln, die Finger halten fest,
Und immer Neue steigen auf aus dem Wasserschaum.
Gefüllt ist bis zum Rande des Nachens enger Raum;
Mit blut’gen Händen greifen sie wild sich nach den Kehlen!
Da stürzt er um, der Nachen! – – Gott schütze Eure Seelen!
Ein Gurgeln und ein Röcheln und dann ein Blasenquellen,
Ein Sprudeln und ein Kochen – dann werden still die Wellen …
Unweit vom Schiffe treibet ein Brett mit schwerer Last;
Die Mutter und der Kleine, sie halten’s fest gefaßt,
Das Kind sitzt auf der Planke, umspannt von Mutterarmen;
Die Frau, die fleht zum Himmel um Hülfe und Erbarmen.
Da naht mit mattem Stoße ein Schwimmer jenen Zwei’n.
Jetzt sieht sein Aug’ den Balken, er wird ihm Rettung sein!
„Rettung!“ so stöhnt er leise; er kämpft mit allen Kräften.
Die Frau sieht ihn die Blicke auf ihren Balken heften
Und sie erkennt ihn: „Himmel, das ist der deutsche Mann,
Der harte Mann, und naht er, verloren sind wir dann!
Kaum trägt das Brett uns beide, nun muß mein Kind verderben!
O Jesus, sei uns gnädig im Leben wie im Sterben!“
Des Deutschen Lippen zittern, ihm winkt des Lebens Glück;
Er denkt an seine Kinder, denkt an sein Weib zurück!
Ausgreifen weit die Arme! Ha, wie er ächzt und keucht!
Jetzt hat der müde Schwimmer den Balken fast erreicht;
Nun streckt er aus die Rechte, – da rufet unter Weinen
Die Mutter: „Laß’ die Planke, o laß sie meinem Kleinen!“
Und ängstlich schmiegt der Knabe sich an die Mutter an:
„Mutter, ich will nicht sterben! Da kommt der schwarze Mann!“ –
Da zuckt ein Strahl, ein lichter, dem Mann durch’s Angesicht –
War es ein Strahl von innen, war es das Mondenlicht?
Und in des Schwimmers Auge, welch’ seltsamlich Geleucht’!
War ihm das Aug’ von Wasser, war es von Thränen feucht? –
Ein Seufzer, herzzerreißend! – Er läßt die Planke los
Und sinkt, sich rücklings werfend, hin in den Fluthenschooß.
Ein Gurgeln und ein Röcheln und dann ein Blasenquellen,
Ein Sprudeln und ein Kochen – dann werden still die Wellen …
Die Mutter mit dem Kleinen, sie treibt zum sichern Strand;
Gelöscht hat nun die Woge im Schiff den letzten Brand.
Im Schilfe kniet die Frau, sie betet, voller Schmerz,
Für einen wackern Todten, ein echtes, deutsches Herz! –




Der Friedhof in der Natur.

Als ich vor Jahren meine erste Reise in’s Gebirge unternahm, war es nicht so sehr die gepriesene Fernsicht, die mich hinauf zu den höchsten Bergen zog, sondern das große Interesse für diese selbst. Ich wollte die eisumschlossene Welt kennen lernen, die alles Leben vernichtend niedersteigt und die Bewohner manches hochgelegenen Thales mit steter Sorge um ihre Existenz erfüllt.

Rascher Entschluß, kurze Vorbereitung vereinten sich zu endlicher Ausführung meines Planes, nicht allein diese Höhe aufzusuchen, sondern an der letztbewohnbaren Stätte einige Tage zu verweilen. Mit dem Morgengrauen eines vielversprechenden Tages hatte ich mit meinem Führer bereits die Anhöhe der achttausend Fuß hohen Vorgebirge überschritten. Die dünne Luft, Aufregung, und geringes Verständniß der Athem-Eintheilung während des Steigens, erzeugten in mir eine Herzbeklemmung, wie ich bei meinen vielfach ausgeführten späteren Touren eine ähnliche nie wieder empfunden habe, und das hohe Interesse für die mich umgebende gewaltige Gebirgsnatur erhöhte meine Reizbarkeit derart, daß ich nicht im Stande war, einen Bissen des vom Führer ausgebreiteten Mundvorrathes genießen zu können. Die Sonne vergoldete die höchsten Spitzen, welche sich scharf gegen die blaue Morgenluft abzeichneten.

„Oben giebt’s scharfen Wechselwind,“ meinte kopfschüttelnd der Führer, indem er mir einzelne Stellen auf den Eisflächen zeigte, wo nach meiner Meinung leichte Nebelwolken aufstiegen. Es waren aber nach des Führers Erklärung „Schnee-Gwah’n“, die den Wandrer zuweilen in erstickende Umhüllung fassen und mit ihren glassplitterähnlichen, gefrorenen Schneeflocken furchtbar peinigen. Wir zogen weiter über die sonnenbeschienenen Firne, umgingen die Windseite, so gut es möglich war, und kamen endlich auf der höchstgelegenen Spitze an. Während mein Führer mitleidig auf mich blickte und wiederholt versicherte, so unglücklich habe er es da oben noch mit keinem Touristen getroffen, fesselte mich ein Schauspiel großartiger Naturerscheinung.

Die Sonne stand, eine feurig rothe Scheibe, umgeben von einem Nebelmeere, am Horizonte, das Firmament spannte seinen hellblauen Bogen über die vollständig verhüllten Thäler, und nur

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verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_636.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)