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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Eine Küchen-Rarität aus dem Herbste 1871.
Originalzeichnung von Guido Hammer.


Die Nachricht von dem neuen Umschwung bei Hofe hatte Dagobert in das stille Geschäftshaus der Mauerstraße gebracht. Fräulein Fliedner, die noch bei Lebzeiten der letztverstorbenen Frau Claudius, Lothar’s und Erich’s Mutter, als Stütze derselben, in das Haus gekommen und seitdem, kraft testamentlicher Verfügung, in ihrer Stellung als Castellanin und Verwalterin verblieben war, wußte manches Halbverschollene aus der Familie zu erzählen, und so erinnerte sie sich auch der eingesargten Antiken. Dagobert hatte meinen Vater davon in Kenntniß zu setzen gewußt. Der Letztere erzählte später wiederholt, daß er einen Augenblick zweifelhaft lächelnd vor dem Haus mit der strengen, ehrbar bürgerlichen Physiognomie gestanden habe; aber er war doch eingetreten, um die Erlaubniß, behufs einer Nachforschung, von dem Besitzer zu erbitten. Herr Claudius hatte sie ertheilt, wenn auch dem Anschein nach nicht besonders gern.

Am frühen Morgen war mein Vater in das Souterrain der Karolinenlust hinabgestiegen und den ganzen Tag nicht wieder zum Vorschein gekommen; er hatte weder gegessen, noch getrunken, er war wie toll vor Aufregung gewesen – eine ungeheure Fundgrube für die Wissenschaft hatte sich vor ihm aufgethan. … Herr Claudius gestattete das Auspacken und Aufstellen der Kunstschätze und räumte meinem Vater die Wohnung im Erdgeschoß und die unumschränkte Benutzung der Bibliothek ein.

Dies Alles erfuhr ich freilich nicht in den ersten Tagen meines Aufenthaltes in K. Ich war da überhaupt wenig geneigt, mich zu orientiren; denn, nachdem sich die Fluth der ersten Eindrücke einigermaßen gelegt, da kam das Heimweh nach der Haide mit aller Macht über mich. … Ilse war zwar noch da; sie hatte sich einige Tage Urlaub zugegeben, um „einmal gründlich Ordnung in der Junggesellenwirthschaft meines Vaters zu machen“, und wohl auch, damit sie mich erst in dem neuen Boden ein wenig einwurzeln sähe. Allein das beschwichtigte mein unruhiges Herz nicht; ich wußte ja doch, daß sie schließlich gehen und mich zurücklassen würde, und der Gedanke brachte mich stets in eine unbeschreibliche Aufregung.

Im Vorderhause war man unsäglich gut gegen mich; aber ich haßte das dunkle, kalte Haus und betrat es nur gezwungen an Fräulein Fliedner’s oder Charlottens Hand. Zu einem Besuch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 645. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_645.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)