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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Inzwischen lodert das Stroh in heller Flamme. Vom Feuer verjagt, am Kopfe versengt, stürzt der Tiger hervor, ein stolzes prächtiges Thier. Die knechtenden Bande sind zerrissen, frei steht er da, der stolze Fürst des Waldes! Nur einen Augenblick, einen kurzen Augenblick, das schöne Trugbild ist verschwunden. Noch ist sein Stand neben dem brennenden Käfig. Mit flammenden Augen überblickt er das Gefahrvolle seiner Lage; aber was thut’s – seine Gegner da sind ja Menschen, nur Menschen, und zählen sie auch zu Tausenden, er kennt keine Furcht, keine Gefahr. Wild schlägt er mit seinem Schweife, sein Auge sprüht Flammen, den stolzen Kopf hoch erhoben, stürzt er in wildem Sprunge hinan zum Quarré. Nirgends ein Ausweg, nirgends eine Oeffnung. Schnell kehrt er um, stürmt hinüber zur andern Seite; fürchterlich brüllend sprengt er die Speergasse entlang. Schon längst ist das leise Adagio der Gamellans verklungen, schneller und schneller wird das Tempo, ein nervenerschütterndes Fortissimo mischt sich mit dem Gebrüll des Tigers. Der kühne Sprung wird gewagt, muß gewagt werden, hoch in der Luft schwebt der mächtige Körper. Von zahllosen kräftigen Speerstößen durchbohrt, zurückgeschleudert, sinkt er zusammen, aus allen Wunden trieft das Blut. Einen Augenblick nur, das tapfere Thier erhebt sich auf’s Neue, zum zweiten Sprunge. Aber schon ist seine Kraft gebrochen, der Sprung ist zu niedrig. Von den Speeren der vordersten Glieder tödtlich getroffen, taumelt er zurück und verendet auf dem Felde der Ehre. –

Das Halali der Gamellans ist verstummt. Hell lodert die Flamme am zweiten Käfig und leckt mit feuriger Zunge am dürren Holze herum. Längst schon sind die Gandeks wieder eingetreten in’s Quarré, noch immer bleibt’s regungslos und still im Käfig; an allen Ecken brennt’s und prasselt’s. Da endlich regt es sich und bewegt sich. Aber bei Allah, ist das Sinnenbetrug? Was da langsam hervorkriecht, ist das ein Tiger? Nie und niemals. Wo ist das prächtige gelbe Kleid mit seinen dunkelglänzenden Parallelstreifen? Kein ungestümes Hervorbrechen, kein todesmutiges Herausfordern des Feindes. Wie ein Esel liegt er da neben dem Käfig, grau und schwarz, alle Haare versengt, gleichgültig für den Genuß der wiedererlangten Freiheit. Dem Tode durch Ersticken nahe, halb geröstet, hatte das Unthier das feurige Gericht ruhig über sich ergehen lassen.

„Es strecket die Glieder und legt sich nieder.“

Ob dem Dichter aber gerade dieses Bild vorgeschwebt beim Dichten jener Strophe, ist zweifelhaft. – Da, mit einem Male, ein zweites Wunder! Der mysteriöse Bienenkorb wird lebendig, kommt herangerutscht und von einigen Lanzenstichen unsanft berührt, springt unser geeselter Gesell auf, taumelt wie betrunken vorwärts und rennt buchstäblich zum allgemeinen Hohngelächter dem Quarré in die gefällten Lanzen.

Zum dritten Male formiren und schließen sich die Reihen. Zum dritten Male lodert die Flamme. Noch haben die kaiserlichen Gandeks die schützende Linie nicht erreicht, da bricht schrecklich brüllend das Unthier hervor, ein stattlicher Königstiger, ein Patron seltener Größe. Vor zwei Tagen erst eingefangen, durch keine Hundediät geschwächt, steht er da, in seiner ungeschmälerten Kraft und Wildheit. Im schnellsten Tempo eilen die Bienenkorbmänner, im Schutze ihres trojanischen Pferdes, herbei zum Entsatz der gefährdeten Gandeks. In demselben Augenblick wirft der Tiger laut brüllend sich auf den Korb. Vergebens versucht er an dem dichten Flechtwerk die fürchterliche Kraft seines Gebisses; der zähe Bambu spottet seiner Wuth. Vergeblich hängt er mit der ganzen Wucht seines kolossalen Körpers am Korbe; die Widerstandsfähigkeit der breiten Grundlage macht ein Umstürzen unmöglich. Ein schreckliches Schauspiel, das wilde wüthende Thier! Starr blickt das Auge wie von Zauber gebannt, das Herz pocht schneller. Ein unheimliches Gefühl beschleicht die Zuschauer. Ja, das ist der Tiger, der Herr der Wildniß, in seiner ganzen unverdorbenen Wildheit. In diesem Moment höchster Spannung sitzt der Kaiser da, ein marmornes Bild. Kein Wort entschlüpft seinen Lippen, keine Muskel rührt sich. Eine leichte Bewegung dort unten verräth, daß die Edelgarde im Begriff steht, sich zu erheben, die Lanze zu ergreifen. Da, schnell wie der Blitz, springt der Tiger vom Korbe herunter. Er steht in der Mitte des Quarrés, wie feurige Kohlen funkeln die Augen. Kurz ist sein Zweifeln – der Entschluß gefaßt. In drei Sätzen wirft er sich todesmuthig dem Quarré entgegen. Zehn Lanzen durchbohren den tapfern Leib, zehn andere liegen in Splittern am Boden. Taumelnd sinkt das kühne Thier zurück, erhebt sich, stürzt im wilden Flug, wüthend, die abgebrochenen Lanzenschäfte in den Seiten, heran zu erneutem Anfall und stirbt ein Held, von hundert Lanzen durchbohrt!

Noch harren der vierte und fünfte Tiger ihrer Erlösung. Aber sei’s Ueberspannung der Nerven nach so langer Aufregung, sei’s weil der Geist noch ganz erfüllt ist von den vorhergehenden mächtigen Eindrücken – das Interesse ist abgestumpft. Beinahe gleichgültig sieht man den letzten der Tiger unter den Lanzen verbluten. –

Vor einigen Jahren weilte der Generalgouverneur Baron Sloet van de Beele zum Besuche in Surakarta. Ein Rampok wurde veranstaltet. Und sieh, ganz gegen Regel und Sitte und im Widerspruch mit der Tradition des Mataramschen Fürstenhauses, richtet der Tiger seinen Anfall nach der Seite der Tribüne hin. Zurückweichend vor den Lanzen der Edelgarde dringt das Thier kurz danach zum zweiten Male auf die Edlen ein. Die Adjutanten des Generalgouverneurs und die übrigen Officiere machen Miene, den Degen zu ziehen. Andere Herren des Gefolges sind der Ansicht, ihrer Würde nichts zu vergeben, indem sie im gymnastischen Schwunge das Gebälk des Daches ersteigen. Und wenn der Himmel selbst einstürzt, ein Bild steinerner Ruhe sitzt der Kaiser da; ebenso, vielleicht ein wenig wider Behagen, neben ihm der Generalgouverneur. Uebrigens war es schließlich doch nicht dort, sondern an einer andern Seite des Quarrés, wo man den Tiger erlegte.

Daß der Tiger selten oder nie diese Seite des Quarrés zum Ziele seines Angriffs erwählt, hat wohl wie manche andere dergleichen Wunder seinen einfachen Grund darin, daß die Tribüne mit ihren farbigen Fahnen und buntem Menschengewühl an jener Seite das Quarré wie mit einer Mauer begrenzt und abschließt. Der Tiger glaubt an den drei andern, wohl besser vertheidigten, aber jedenfalls niedrigeren Seiten eine bessere Aussicht auf Erfolg zu haben und wendet also dorthin seine Schritte. Die der Edelgarde drohende Gefahr ist daher auch keine so große, wie es anfänglich den Schein hat. Den Liebhabern von Aufregungen können wir jedoch immerhin ein Plätzchen in den Reihen dieses jungen Adels als durchaus zweckentsprechend anempfehlen.

K. de C.


Kaiser Wilhelm und seine Paladine.

Eine Erinnerung an den 16. Juni 1871.

Seit den Tagen des „großen Jubels“ hatten wir die neue Kaiserstadt nicht wiedergesehen. Mit den Bildern aus dem Feste ohne Gleichen in Geist und Herzen waren wir zurückgekehrt nach unserm ländlichen Sommerasyle; noch von ihnen erfüllt, die Eindrücke noch frisch und unverwischt, kamen wir mit dem Blätterfallen heim in die gewohnten Winterquartiere an der Spree. In Wirklichkeit hatte Berlin schon längst wieder sein Alltagskleid angelegt, wir aber, für welche die mannigfachen Zwischenstadien von der abnormen Erregung zur normalen Alltäglichkeit nicht vorhanden gewesen, wir sahen uns noch auf Schritt und Tritt gefolgt von den Erinnerungen an die gewaltige Feier. Was uns umgab, wir schauten’s

„– – – wie im Weiten,
Und was verschwand, ward uns zu Wirklichkeiten.“

Wo wir gingen und standen, überall war’s, als umbrauste uns noch das Festgewoge, als umwehten uns noch die Fahnen, als schritten wir noch zwischen den Trophäenspalieren einher, als betäubte uns noch das hunderttausendstimmige Hurrah, welches die Sieger in dreiundzwanzig Schlachten, mehr, die Neubauer des deutschen Reiches, empfing, als umflösse uns noch das Lichtermeer,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_670.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)