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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Ilse nach. Sie hatte Hut und Gesangbuch abgelegt, und stand eben mit dunkelgeröthetem Gesicht vor dem Blumentisch in meinem Zimmer. Er sah schlecht und vernachlässigt aus. Ich hatte die Blumen von vornherein mit ungünstigen Augen angesehen und begoß sie nicht, obgleich mir Ilse streng dieses Geschäft zugewiesen hatte. Jetzt hingen die prachtvollen Blüthen verschmachtend die Kelche nieder.

Ilse sagte kein Wort und zeigte nur mit dem Finger auf mein Werk, und da kam der Widerspruchsgeist und Trotz über mich.

„Ei, was geht mich denn der Tisch an?“ sagte ich grollend. „Ich sehe gar nicht ein, weshalb ich mich mit den Blumen abquälen soll. Ich habe sie ja gar nicht von Herrn Claudius verlangt – weshalb stellt er sie denn durchaus in mein Zimmer! Nun mag er sie auch pflegen lassen!“

„So ist’s recht – es wird ja immer schöner!“ sagte sie mit tonloser Stimme. „Spitzen an den Füßen und ein undankbares Herz. Lenore, auf den Dierkhof kommst Du nicht wieder zurück, und – ich will Dich auch gar nicht haben!“

Ich schrie laut auf und warf mich an ihre Brust – ihre Stimme hatte mir wie ein Dolch das Herz zerschnitten.

„Täubchen hat Dich die Großmutter genannt,“ fuhr sie unerbittlich fort; „ein schönes Täubchen! … Wenn sie’s nur gewußt hätte, was in Dir steckt, da würde sie Dich wohl –“

„Teufel genannt haben,“ ergänzte ich zornig und tief erbittert gegen mich selbst. „Ja, ja, Ilse, das bin ich – ich habe ein böses, schwarzes Herz; aber ich hab’s ja gar nicht gewußt, und nun überrumpelt es mich immer.“

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Schwarzes Brett für die deutsche Volksschule. Nr 1. Eine Lehrerwohnung. Im Kreise Rössel des preußischen Regierungsbezirks Königsberg liegt ein Dorf Willims, welches vor den Typhuszeiten gegen dreihundertachtzig Einwohner zählte. Man wird wohl annehmen müssen, daß die Gemeinde zu den armen gehört, um nur einigermaßen die Möglichkeit von Vorgängen zu begreifen, wie wir sie leider von dort zu erzählen haben.

Der Lehrer dieses Dorfes hatte dreiunddreißig Jahre lang sein Amt verwaltet und in diesem ganzen Menschenalter mit den Bewohnern in Frieden gelebt. Das Einzige, was diesem Frieden Gefahr drohte, war der Zustand des Schulhauses, das einer Erweiterung dringend bedurft hätte; nach der in deutschen Landen nur allzubekannten Weise verschob die Gemeinde diese Reparatur von Jahr zu Jahr, indem sie jede neue Mahnung der Behörde mit einem neuen Versprechen abfertigte; der Lehrer hatte dabei nichts zu thun, als der endlichen Entwickelung der Dinge mit unsäglicher Geduld entgegen zu harren.

Da, im Frühling 1866, kurz vor dem Ausbruch des deutschen Kriegs, geht dem Dorfe die geschärfte Weisung zu, den Erweiterungsbau sofort in Angriff zu nehmen, und von diesem Augenblick an verfolgt die sämmtliche Bauernschaft den armen Lehrer mit dem bittersten Haß. Die Väter und Mütter dieser Gemeinde fragten nicht darnach, in welcher Spelunke ihre Kinder unterrichtet werden und ob sie dabei an ihrer Gesundheit einbüßen; in den vielen Männern und Frauen, welche bei diesem Lehrer in die Schule gegangen waren, regt sich kein Funken Dank- oder Achtungsgefühl, – der Lehrer ist daran schuld, daß die Gemeinde bauen muß – das genügt vollauf zu einem ganz gehörigen Haß, und damit derselbe auch als vollkommen berechtigt erscheine, erklärte man den Lehrer, ohne allen Grund, für die alleinige Triebfeder der entschiedenen obrigkeitlichen Anordnung.

Der Bau begann. Es zeigte sich sogleich, daß die äußerste, vielleicht nothgedrungene Sparsamkeit, aber leider auch die äußerste Gehässigkeit ihn leitete. Anstatt das alte Schulhaus zu erweitern, riß man es nieder, verschüttete dabei den Keller, ohne einen neuen herzustellen, und benutzte das obrigkeitlich vorgeschriebene Gebälke, das nur für die Erweiterung berechnet war, zur Aufrichtung eines neuen Hauses. Statt einer Vergrößerung des Wohn- und Schulraums hatte man glücklich das Gegentheil bewirkt. Aber das war nicht genug. Das Haus muß ein Meisterstück der Baukunst sein, wie wir aus dem Gutachten eines königlichen Kreis-Baumeisters entnehmen. „Die ganze Bauausführung,“ heißt es darin, „ist schlecht, und es ist unbegreiflich, wie der betreffende Schulinspector es hat anordnen können, daß der Lehrer dieses in jeder Beziehung unbewohnbare Haus hat beziehen müssen. Das Schulgebäude ist aus Füllholz erbaut. Die Füllhölzer bestehen aus dreizölligen Bohlen, welche nicht einmal vollkantig beschlagen sind, sondern die obere und untere Kante haben durchschnittlich nur einen Zoll Wandstärke. Die Fugen sind nothdürftig mit Moos verstopft und hie und da mit einem Mörtel aus Lehm und Kalk verstrichen. Bei der Besichtigung des Gebäudes fand ich, daß die Füllholzwände sich mehrere Zoll gesenkt und zwischen den Balken sich Oeffnungen gebildet hatten, durch welche die Witterung unbehindert in die Wohnräume dringen kann. In diesem Hause nun, welches frei auf einer Anhöhe im Dorfe liegt und dessen Wände überhaupt gar keinen Schutz gegen das Eindringen der Kälte gewähren, ist der Lehrer gezwungen worden, den Winter mit seiner Familie zu leben und außerdem noch den erforderlichen Unterricht zu ertheilen.“ Soweit der königliche Kreis-Baumeister.

Wir haben den Mann der Behörde als Zeugen aufgeführt, da die Erzählung des unglücklichen Lehrers selbst uns unglaubhaft erschien. Es ist wirklich so: der Herr Pfarrer der Ortschaft hat den Lehrer gezwungen, zu harter Winterszeit in diese Baracke einzuziehen, ohne Rücksicht auf das Weib, ohne Erbarmen mit den Kindern des Lehrers und mit den Schulkindern.

Es kam nun, wie es kommen mußte. Weder der Gemeinde noch dem Localschulinspector kam es in den Sinn, daß in diesem Windfange von Wohnung und Schulraum alles Heizen mehr den Vögeln auf dem Dache als den armen Menschen drinnen zu Gute kam und daß das Schul-Deputatholz unter solchen Umständen unmöglich auch den ganzen Winter ausreichen konnte. Der Vorrath war auch bald genug erschöpft. Niemand kümmerte sich darum. Wollte der Schullehrer nicht mit den Seinigen erfrieren – denn die Schulkinder konnten im schlimmsten Falle daheim am elterlichen Ofen bleiben –, so mußte er selbst für Feuerung sorgen. Das that er denn auch. In all seiner Armuth kaufte er fünfzehn Klaftern Holz, er verbrannte wirklich den Rest seines Vermögens und mußte doch Tag und Nacht mit den Seinigen fast erfrieren. Dazu trat die Noth der Nahrung. Die Gemeinde hatte ihn des Kellers beraubt, und nun stahl man ihm noch seine letzten Kartoffeln. Es ging nun an’s Verkaufen von Wirthschaftssachen, natürlich um Spottpreise, denn er konnte sie ja nur im Dorfe selbst losschlagen, und das Alles nur um den Hunger zu stillen. Endlich warf die fortwährende Erkältung die ganze Familie auf’s Krankenlager; um Hülfsmittel herbeizuschaffen, wurde das Letzte geopfert, ja nun begannen und mehrten sich in dem Hause des Jammers und Elends und der härtesten Entbehrungen auch noch die Schulden, vor denen der arme Mann in seinem langen Lehrer-Martyrium sich immer nach Möglichkeit verwahrt hatte.

Wir dürfen wohl glauben, daß der Schullehrer seine Lage nicht stillschweigend ertrug, sondern daß er um Abhülfe sich an alle in dieser Angelegenheit competenten Behörden gewandt. Auch sehen wir einigen Erfolg, welcher mit dem Gutachten des königlichen Kreis-Baumeisters in Zusammenhang steht. Derselbe trug nämlich, kraft seines Befundes des unbewohnbaren und nicht einmal „mit einer erforderlichen Küche“ versehenen Hauses, darauf an, daß die Schulgemeinde gezwungen werde, an Stelle des schlechten Schulhauses ein neues und bewohnbares Gebäude zu bauen und für den Lehrer sofort eine gesunde und bewohnbare Wohnung zu verschaffen. „Mir ist es unbegreiflich,“ schließt der würdige Mann, „daß von Seiten des betreffenden Herrn Schulinspectors nichts veranlaßt worden ist, um dem Lehrer und seiner Familie eine bewohnbare Wohnung zu verschaffen. Schleunige Hülfe ist dringend geboten, und ich erlaube mir schließlich die ganz gehorsamste Bitte, den armen und hart behandelten Lehrer hochgeneigtest unterstützen zu wollen, damit es demselben möglich werde, die Nachtheile, die derselbe an seinem Körper durch die schlechte und ungesunde Wohnung erlitten hat, wieder zu beseitigen.“

Wir haben es hier nur mit Thatsachen zu thun und sind ebendeshalb wohl berechtigt, den bezüglichen Erlaß des Oberpräsidenten der Provinz Preußen vom achtundzwanzigsten Juni 1867 an den Lehrer wörtlich mitzutheilen. Er lautet:

„In Folge Ihrer Vorstellungen vom zweiundzwanzigsten Mai c. und vom dritten dieses Monats eröffne ich Ihnen unter Rückgabe des eingereichten ärztlichen Attestes, daß die hiesige königliche Regierung, nach dem Ergebnisse der durch den Kreisbaubeamten vorgenommenen Untersuchung des dortigen Schulhauses, der Schulgemeinde die sofortige Beschaffung eines geeigneten Interimslocals an Stelle Ihrer gegenwärtigen ungesunden Wohnung aufgetragen und den Herrn Kreislandrath mit der Ausführung dieser Maßregel beauftragt hat. Ebenso ist der Schulgemeinde aufgegeben worden, an Stelle des bisherigen, völlig mangelhaft und verfehlt erbauten Schulhauses ein dem Bedürfniß genügendes herzustellen.“

Und nun hat wohl alle Noth ein Ende? – Nein! Nun sollte sie erst ihren höchsten Grad erreichen.

Um dem anbefohlenen Abbruch des Schulhauses zu entgehen, verfiel man auf den Plan, sich lieber des Schullehrers selbst zu entledigen; – ein neuer, jüngerer Lehrer müsse ja mit dem Urwaldblockhaus zufrieden sein. Zu diesem Behufe vereinigte sich sogar der geistliche Schulinspector mit der Gemeinde gegen den armen, verlassenen, durch Frost, Hunger und alle erdenklichen Kränkungen bis zu völliger körperlicher und selbst geistiger Schwäche heruntergekommenen Mann. – Zwei Tage vor dem mitgetheilten Oberpräsidialerlaß war, und zwar auf die persönliche Bitte des Lehrers, ein königlicher Regierungsrath in das Dorf gekommen, um an Ort und Stelle die Lage der Sache zu untersuchen. Es ist eine alte Erfahrung, daß, wer oft klagt, in den Verdacht kommt, ohne Ursache oder zu viel zu klagen. Den Gegnern des Lehrers scheint es gelungen zu sein, denselben in einem solchen Bilde dem untersuchenden Herrn darzustellen. Die Anzweifelung der vollkommenen Wahrheit seiner Aussagen, die der Lehrer im Beisein seiner Gegner von Seiten des Herrn Regierungsraths erfuhr, mußte aber, wie der zerrüttete Organismus des in solcher Weise Gedrangsalten es kaum anders ermöglichte, ihm den Ausdruck höchster Erbitterung über seine Behandlung von Seiten der Gemeinde und selbst des Herrn Schulinspectors auf die zitternden Lippen zwingen, – und damit hatte er eines der schwersten Verbrechen in seiner Stellung begangen: eine Beleidigung seines amtlich Vorgesetzten. Der Herr Regierungsrath verfehlte auch nicht, den Uebelthäter in seiner Jammergestalt vor der ganzen Gemeinde für einen unmoralischen Menschen zu erklären, und ihn mit Cassation zu bedrohen.

Die nächste Folge dieses Erfolges der Regierungsinspection war die von der Gemeinde beabsichtigte: die Bauangelegenheit verlor sich in den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_695.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)