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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Art der homerischen Helden einen, Mischtrank bereiten, oder verfolgte er zum Besten der Menschheit Sanitätszwecke? Wollte er selbst hier unserem Herrgott in das Handwerk pfuschen, unserem Herrgott, der in seiner Weisheit ganz gewiß den Wein und das Wasser selbst zusammengegossen haben würde, wenn er solche Mischung für zweckentsprechend gehalten hätte? So aber hat er wohlbedacht den Wein, oben auf den Bergen wachsen und das Wasser unten im Thal fließen machen, und deshalb soll die Beiden auch Niemand zusammenkommen lassen, abgesehen von dem bekannten guten Worte, das uns schon der wackere alte Kopisch zugerufen hat:

„– daß ein guter Christ
In Wein niemalen Wasser gießt,
Dieweil darin ersäufet sind
All sündhaft’ Vieh und Menschenkind.“


Vom „klugen Mann“ in Thüringen.
Von Reinhold Sigismund.

Kein Stand in Thüringen hat durch die Befreiungen des Jahres 1848 so viel gewonnen, wie der einst so vielgeplagte Bauernstand. Was die Vorfahren vor dreihundert Jahren im schrecklichen Bauernkriege mit Feuer und Schwert erringen wollten, aus welchem Die, welche nicht auf dem Schlachtfelde oder durch Henkers Hand gefallen waren, nur zu einem noch härteren Loose, als ihnen vorher zu Theil war, hervorgingen, das gewährte den heutigen Bauern die Revolution des Jahres 1848, welche zumeist durch die Bevölkerung der Städte hervorgerufen und geleitet war, ohne daß sie sich selbst sehr zu bemühen brauchten. So erhielten sie die Befreiung von den Frohnden, in Folge deren sie im Stande waren, bei der Bearbeitung ihres Feldes mehr Mühe und Fleiß zu verwenden, als ihnen früher möglich war. Von dem erdrückenden Wildstande, der so übermäßig war, daß in manchen Fluren allein mehrere Hundert Rehe und unzählige Hasen hausten, befreiten sie sich selbst, und die schonungslose Erbitterung, mit der sie es thaten, beweist am besten, was sie bisher darunter gelitten hatten.

Durch Beseitigung der Patrimonial-Gerichtsbarkeit wurden noch weitere Uebelstände entfernt, die schwer auf ihnen gelastet hatten, andere weniger bedeutende Erleichterungen, welche die neue Zeit brachte, gar nicht zu rechnen. Die materielle Lage unserer Bauern hat sich nun in dem verhältnißmäßig kurzen Zeitraume seit 1848 ganz auffallend gebessert. Das sieht man an den schöneren und wohnlicher gemachten Häusern, den netter gehaltenen Höfen, dem größeren Reichthume an Vieh, dem besseren Stande der Felder. Und entsprechend der alten Meinung, daß nur in einem gesunden Körper ein gesunder Geist wohnen könne, hat auch der Geist des Bauernstandes bei gesunderen und menschenwürdigeren äußeren Verhältnissen, einen bedeutenden Aufschwung genommen, obgleich es offenbar ist, daß ein Jahrhunderte lang schwer gedrückter Menschenschlag nicht gleich beim Aufhören des Druckes jene Spannkraft annehmen könne, wie wir sie bei solchen Classen, die stets der Freiheit theilhaftig waren, beobachten können.

Man liest jetzt auf dem Dorfe politische, belehrende und unterhaltende Zeitungen, wobei die Gartenlaube natürlich nicht fehlt. Die Schulen waren auch vor Achtundvierzig in einem verhältnißmäßig guten Zustande, daher auch die ältesten Leute lesen können. In den meisten Häusern fehlt auch das Clavier nicht. In vielen Ortschaften giebt es selbstständige Musikchöre, die sich aus Dorfinsassen recrutiren, und das Streben, sich weiter zu bilden, kann man an dem Eifer erkennen, mit welchem unsere Bauern an landwirthschaftlichen Vereinen theilnehmen. Schlägereien, früher die wahre Weihe jeder Dorfkirmse, sind jetzt eine Seltenheit.

Trotz alledem ist der finstere Geist des Aberglaubens, der in früheren Zeiten überall so gewaltig war, noch weit davon entfernt, verlöscht zu sein, namentlich im Gebirge nicht, nur daß manche Ortschaften mehr, die anderen weniger davon befangen sind, und wir wollen versuchen, eine Skizze von demselben zu geben, wie wir ihn zu beobachten Gelegenheit hatten.

Daß der Mensch nur allzusehr geneigt ist, das Walten dunkler Mächte anzuerkennen, welche oft mit zerstörender Gewalt in sein Glück und Leben eingreifen, dafür sind selbst große Männer, die nicht frei davon waren, Zeuge genug. Um so weniger kann es uns befremden, diesen Glauben bei Leuten zu finden, welche gehindert waren, an der stetig fortschreitenden Bildung und Aufklärung des Menschengeschlechts genügenden Antheil zu nehmen. Auf vielen Dörfern ist es noch unumstößliche Gewißheit, daß es Hexen und Hexenmeister giebt, die im Stande sind, ihren Nebenmenschen allen möglichen Schaden an Gesundheit und Eigenthum zuzufügen. Das schreckliche Wort: „Es ist mir angethan“, hört man oft genug im Verlaufe von Krankheit und Unglücksfällen von dem Betroffenen in dumpfer Verzweiflung ausstoßen. Auf der andern Seite hält man aber schon diejenigen Personen als des Bündnisses mit dem Teufel verdächtig, welche in ihren Vermögensverhältnissen auf eine den Uebrigen unbegreifliche Weise vorwärts kommen, wenn sich dies auch meist für den Unbefangenen durch höhere Intelligenz, Fleiß und Sparsamkeit des Verdächtigen erklären läßt. Selbstverständlich wird die Fähigkeit und Macht zum Hexen meist nur durch Bündnisse mit dem Teufel erworben, doch kann man ausnahmsweise auch durch das Studium von Zauberbüchern dazu gelangen, sich die Geisterwelt dienstbar zu machen.

Glücklicherweise ist jedoch der Mensch nicht schutzlos und hülflos den teuflischen Künsten der Hexen und Hexenmeister preisgegeben. Es giebt Männer, welche ihnen überlegen und im Stande sind, den von Jenen ausgeübten Zauber zu brechen, ja auf die Urheber desselben selbst zurückfallen zu lassen. Es sind dies Bevorzugte, denen man, vielleicht im Gegensatze zu den Unklugen, welche an sie glauben und ihre Hülfe in Anspruch nehmen, den Namen „kluger Mann“ zu geben pflegte, eine Bezeichnung, welche in Thüringen Jedem verständlich ist.

Der kluge Mann ist meist ebenfalls Bauer und lebt auf dem Dorfe. Im gewöhnlichen Leben sieht man ihm oft nicht an, daß er über vier zählen könne, aber er besitzt geheimnißvolle Bücher und Werkzeuge, welche es ihm möglich machen, angethane Uebel zu heben, Gegenzauber zu vermitteln, durch Sympathie zu curiren, Diebstähle und andere dem gewöhnlichen Sterblichen verborgene Dinge zu entdecken. Dergleichen Zauberbücher sind Doctor Faustus Höllenzwang, das sechste und siebente Buch Mosis. Unter den Werkzeugen spielt der Erdspiegel, ein Instrument, um das Verborgenste zu entdecken, die Hauptrolle, doch ist es uns durchaus unmöglich, anzugeben, wie derselbe construirt ist und bei welchem Instrumentenmacher man ihn beziehen könne. Auch Erdschlüssel, dreierlei, siebenerlei, neunerlei Kräuter werden gebraucht. Bei allen Krankheiten, welche „angethan“ sind, ist es durchaus vergeblich, zum Doctor zu laufen, weil derselbe dagegen nichts thun kann, hier kann nur der kluge Mann helfen und es ist ganz unglaublich, daß Kranke oft wochenlang liegen und nur nach den Rathschlägen des klugen Mannes behandelt werden ohne Beistand des geprüften Arztes. Dieser wird oft erst gesucht, wenn der kluge Mann durchaus im Stiche läßt, was aber keineswegs, gegen die Kräfte desselben, höchstens dafür spricht, daß die Krankheit doch vielleicht dieses Mal nicht „angethan“ sei. Worin die von dem klugen Manne gegebenen Mittel bestehen, ist uns unmöglich anzugeben, da den Hülfe Suchenden unverbrüchliches Stillschweigen aufgelegt wird, widrigenfalls Alles nichts helfen würde. Endlich gehört dazu, daß Der, welcher die Macht des klugen Mannes in Anspruch nimmt, auch daran glaubt.

Hat eine Verhexung stattgefunden, so wird in Folge des vom klugen Manne angegebenen Gegenzaubers die Hexe oder der Hexenmeister gezwungen, sich selbst zu verrathen. Unwiderstehliche geheime Kräfte treiben ihn in das Haus, wo das Opfer seiner Bosheit sich befindet, und meist tritt er daselbst unter dem Vorwande ein, irgend ein Stück aus dem Haushalte borgen zu wollen, wo er dann natürlich nicht sehr freundschaftlich empfangen wird. Wie oft läßt sich ein sonst unerklärlicher Haß zwischen einzelnen Familien auf solche der einen Partei oft ganz unbekannte Ursache zurückführen! Welch ein fürchterlicher Frevel aber, bei oft wirklich zerschmetternden Unglücksfällen die Ursache derselben auf geheime Machinationen eines Nebenmenschen zurückzuführen! Ist uns doch ein Mann bekannt geworden, der, als er seine sämmtlichen Kinder schnell nach einander durch Krankheiten verloren hatte, in dem festen Glauben, daß ihm dies nur angethan sein könne, zum

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_754.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2021)