Seite:Die Gartenlaube (1871) 766.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Die Prinzessin kam wieder herab, und mein Vater klopfte an meine Thür, er wollte mich holen. Ich rührte mich nicht und war froh, als ich Alle das Haus verlassen hörte; aber nicht lange nachher kam Charlotte durch den Corridor gelaufen; sie rüttelte ungestüm an dem Thürschloß und rief gebieterisch meinen Namen. Schöner und herrischer als je und in der brillantesten Toilette stand sie draußen, als ich die Thür öffnete.

(Fortsetzung folgt.)




„Die Armuth im zerriss’nen Kleide.“
Mit Abbildung.

Ins Kirchlein sind sie eingezogen,
Die Glocke schweigt, die Orgel tönt,
Und wer geweint beim Ehrenbogen,
Wird hier mit seinem Schmerz versöhnt.
Allein nur bleibt mit ihrem Leide
Die Armuth im zerriss’nen Kleide.

Sie schleicht, von Allen ungesehen,
Zur Kirchthür leise hin und lauscht,
Wie drin des Glaubens Geisterwehen
Mit mächt’gen Schwingen hallt und rauscht.
Derweilen weint in bittrem Leide
Die Armuth im zerriss’nen Kleide.

Bist Du von je so arm gewesen?
Nein! Glücklich machte Dich Dein Sohn;
Dir war im Antlitz froh zu lesen
Der Mutterliebe schönster Lohn.
Er fiel! Verlassen steht im Leide
Die Armuth im zerriss’nen Kleide.

Du trägst die Fetzen ohne Schande!
O, unbarmherzig ist der Krieg!
Die Ehre prangt im Vaterlande –
Doch wie viel Noth bezahlt den Sieg!
Vor wie viel Kirchen weint im Leide
Die Armuth im zerriss’nen Kleide!

Ihr preist den Sieg, Ihr preist den Frieden –
Gefeiert ist der Krieg genug; –
Jetzt sorgt, daß Balsam sei beschieden
Für all die Wunden, die er schlug!
Und Schmach sei’s, wo noch weint im Leide
Die Armuth im zerriss’nen Kleide!

Friedrich Hofmann.




Auf dem schwimmenden Hôtel.

Unter den jungen Hamburgern und Bremern, die sich dem Kaufmannsstande widmen, giebt es auch Exemplare, welche nach vollendeter Lehrzeit nicht „über See gehen“; sie sind aber selten. Mein Freund Robert, Sohn der freien und Hansestadt Hamburg, machte keine Ausnahme von der Regel; er ging, als seine Eltern gestorben waren, nach Mexico, verdiente viel Geld kehrte kürzlich via New-York zurück, um einige Wochen in der Heimath zu verleben.

„Bei der ganzen Reise von New-York bis Hamburg war mir nur Eins unangenehm,“ erzählte Robert beim ersten Wiedersehen, „daß die Tour so schnell vorüberging. Die zehn Tage von New-York bis hier gehören zu meinen angenehmsten Erinnerungen.“

„Nur zehn Tage!“ rief ich. „Es ist unbegreiflich!“

„Ja, man reist ebenso schnell als genußreich heutzutage,“ bestätigte Robert. „Zur Reise nach Veracruz habe ich selbst per schnellsegelnden Schooner zehn Wochen gebraucht und dankte meinem Schöpfer, als ich an Land kam. Die Tour über den Ocean per Segelschiff ist selbst in der Kajüte Fegefeuer, im Zwischendeck Hölle. Aber die Passagiere eines der großen transatlantischen Dampfer der ‚Hamburg-Amerikanischen Paketfahrt-Actiengesellschaft‘ leben in der ersten Kajüte wie im Paradiese, in der zweiten wie Gott in Frankreich, und was die Zwischendecksgäste anbelangt, so sind sie während der Reise mit ihrem irdischen Loose sehr zufrieden. Apropos – Du hast doch schon einen der transatlantischen Steamer besichtigt?“

„Nein, noch nie.“

„Dann müssen wir hin,“ erklärte der Bürger Mexicos mit großer Bestimmtheit! „Die Paketfahrt-Gesellschaft hat nichts dagegen, wenn man eines ihrer schwimmenden Hôtels in Augenschein nimmt und zwar gegen vier Schillinge Entreé à Person zum Besten der Pensionscasse der Angestellten der Gesellschaft, um dem allzu großen Andrang zu wehren. Wenn wir übermorgen den Besuch abstatten, so kann uns vielleicht Herr Möller, einer der Gentlemen vom Bureau der Paketfahrt-Gesellschaft, ein ebenso liebenswürdiger Begleiter wie sachverständiger Führer sein.“

„Well, arrangire das,“ nickte ich. „Also übermorgen“ –

Achtundvierzig Stunden später standen wir vor dem Hafenthor, Vorstadt St. Pauli, zweihundert Schritte vor dem Anlegeplatze der großen transatlantischen Schraubendampfer.

Vor uns lag die „Thuringia“, ein schönes, stattliches großes Schiff, das, wie meine Begleiter versicherten, nicht weniger als tausend Menschen auf einmal beherbergen kann.

„Gegen tausend Menschen! Wie ist das möglich?“

Herr Möller öffnete auf einen verständnißinnigen Blick meines Freundes sein Notizbuch. „Erste Kajüte siebenzig Passagiere, zweite hundertzwanzig, Zwischendeck sechshundertfünfzig. Mannschaft: ein Capitain, vier Officiere, ein Arzt, ein Chirurg, ein Proviantmeister nebst einem Gehülfen, zwei Zimmerleute, zwei Bootsleute, vier Quartiermeister, ein Segelmacher, fünfzehn Matrosen, vier Leichtmatrosen, drei Schiffsjungen, ein Küper, ein Klempner, ein Schlachter, zwei Bäcker, ein Conditor, drei Köche nebst vier Gehülfen, zwei Oberstewards, neunzehn Stewards (Kellner), zwei Stewardesses (Kellnerinnen), vier Ingenieure nebst drei Assistenten, ein Kesselschmied, einundzwanzig Heizer, sechszehn Trimmer (Heizergehülfen), ein Ingenieurjunge, zusammen hundertzweiundzwanzig Personen; Summa-Summarum neunhundertzweiundsechszig Köpfe.“

„Nun ziehen wir noch in Betracht,“ fügte mein Freund hinzu, „daß ein bedeutender Theil des innern Schiffsraumes von den zu befördernden Waaren in Anspruch genommen wird. Dazu kommen die Maschinen, die Vorräthe an Kohlen, Proviant, Takelwerk, die Werkstätten, Küchen etc. Und dennoch bleibt für den einzelnen Passagier, wie Du Dich überzeugen wirst, noch hinreichend Raum.“

Wir durchwandelten den Thorweg, welcher zu den großen Speichern der Paketfahrt-Gesellschaft führt. Zwischen letzteren liegt ein mit Glas gedeckter breiter Gang, durch den man zu der Landungsbrücke kommt, welche die Dampfer mit dem Festlande verbindet. Ein flüchtiger Blick ward in die einfach meublirten Wartezimmer im Erdgeschoß der Speicher gethan, dann überschritten wir die Landungsbrücke, gaben dem dort postirten biedern Matrosen unsere Karten und wurden auf Deck von mehreren in elegante Seemannsuniform, blau mit Gold, gekleideten Officieren der Thuringia höflichst empfangen.

„Hier befinden wir uns,“ erklärte Herr Möller, „auf dem Spardeck. Die Thuringia hat dreitausend Tons (à zwanzig Centner) Gehalt und ist ein Vierdecker. Gehen wir eine Treppe tiefer, so kommen wir auf das Hauptdeck; das nächstfolgende Stockwerk ist das Zwischendeck, und auf dieses folgt das Lower- oder das untere Deck, dann

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 766. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_766.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2018)