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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

er nun anfing und mir zur Probe das Gedicht fast ohne Stocken vortrug, da schwanden meine Zweifel. Die Lücken, die sich noch fanden, konnten wir alle ergänzen bis auf eine und auch die wurde glücklich verdeckt, und so hatten wir es der Volksschule zu danken, daß wir auch diesen Zoll unserm großen Todten entrichten konnten.

Aber die Festrede machte mir große Sorgen. Denn als ich nach einigem Widerstreben die Aufgabe übernommen hatte, da ahnte ich nur ihre Schwierigkeiten. Doch je mehr ich mich mit ihr beschäftigte, desto deutlicher erkannte ich sie. Der Ort, an dem wir das Fest feierten, die kleine Gemeinde, die an dieser Feier theilnahm, und unzertrennbar hiervon die Erinnerung an die jüngsten Ereignisse, alles das waren Schwierigkeiten, von denen ein Schillerfestredner in Frack und weißer Binde keine Ahnung hatte. Und so hin- und herschwankend zwischen der Scylla, mich von meinen Gefühlen hinreißen zu lassen und dadurch meinem Publicum unverständlich zu werden, und der Charybdis, nur Redensarten zu machen, um dieser Gefahr zu entgehen, betrat ich den Saal um sieben Uhr.

Ein ungewohnter Lichterglanz erhellte ihn; auf Bänken und Stühlen, die aus allen Quartieren zusammengetragen waren, hatte sich die größere Hälfte der Compagnie versammelt. Im Hintergrund rahmten zwei Gardinen, die jüngst in Gagny erbeutet waren, eine kleine Bühne ein, auf der sich die Vortragenden produciren sollten, und das Ganze machte, besonders in Anbetracht unserer ärmlichen Verhältnisse, einen sehr freundlichen Eindruck.

Programmgemäß sollte ein Lied die Feier eröffnen, und als ich nun – denn ich galt für den am meisten Musikalischen in der Compagnie – das alte Luther’sche Kampf- und Siegeslied intonirte, als ich, der Jude, anstimmte: „Ein’ feste Burg ist unser Gott, ein’ gute Wehr und Waffen“ und die Grenadiere kräftig einfielen, da dachte ich nicht an Mühler, noch an den Papst, auch nicht an den Haß, mit dem Luther einst meine Glaubensgenossen verfolgt hatte, geschweige denn an die Gefahr, die uns täglich umgab, da schwand jeder andere Gedanke vor dem einen, den der Prophet Ezechiel so schön ausdrückte: Haloh aw echod lechullonu, haloh el echod beroonu? Haben wir nicht alle Einen Vater, hat uns nicht alle Ein Gott erschaffen?

Als das Lied, von dem ich einige Verse ausgewählt hatte, verklungen war, trat ich denn vor.

Der alte böse Feind
Mit Ernst er’s jetzt meint,
Groß Macht und viel List
Sein grausam Rüstung ist,
Auf Erd’ ist nicht sein’s Gleichen.

Und so erzählte ich, wie Deutschland seit Jahrhunderten von den Franzosen die viele, schwere Unbill erlitten habe, deren Erinnerung jetzt wieder frisch auflebte im ganzen Reiche, wie endlich nach jahrzehntelangem Ringen und Kämpfen das geeinte Deutschland diesem Gegner ebenbürtig und dann so glorreich überlegen wurde; kam so auf Luther und Schiller, als die zwei hervorragenden Vertreter zweier Epochen, deren jede uns von dem geistigen Joche der Wälschen befreit hatte, als die Helden des Geistes, denen wir es vor Allem zu danken haben, daß wir heute so siegreich und glänzend die lange Schmach abgewaschen und den Platz errungen haben, der uns gebührt. – Weil mir das so von Herzen ging, so verfehlte es auch seine Wirkung nicht ganz, und es gelang mir, meinen Zuhörern eine Vorstellung zu geben von der Bedeutung des Tages, von der Größe der Männer, die wir feierten, von dem Glanz und Ruhme des geliebten Vaterlandes.

Dann trat mein Putzer vor und mit schlichtem, warmem Ton declamirte er ohne Stocken und Zagen die Geschichte vom Möros, der zu Dionys dem Tyrannen schlich, und erntete wohlverdienten Beifall.

Mit dem Sang der Wacht am Rhein und einem Hoch auf das Vaterland schloß der erste Theil.

Und auch ich will meinen Bericht hier schließen. Möge er den Lesern dieses Blattes Kunde geben von der Liebe, mit der wir „draußen“ die Erinnerungen an die Heimath pflegten, und von der Eintracht, die siegreich alle die Schranken überwand, welche sonst das Leben zwischen uns aufgerichtet hatte.

G. L.




Ein deutscher Erzengel bei den Magyaren. Vor einiger Zeit wurde im Feuilleton der „Neuen freien Presse“ in Wien ein ungarisches Volksmärchen in einer launigen Form mitgetheilt, die wohl vom Zweck des betreffenden Artikels dictirt gewesen sein mag, aber vom naiven Ton des Originals nichts übrig behielt. Wir erachten es daher nicht für überflüssig, hier eine wörtliche Uebersetzung des in Rede stehenden Märchens mitzutheilen, wie es von den Ungarn in Siebenbürgen unter dem Titel „Die drei Erzengel“ erzählt wird:

„Als Gott der Herr entschlossen war, Adam und Eva aus dem Paradies zu jagen, schickte er zu diesem Zweck zuerst den ungarischen Engel Gabriel zu ihnen. Adam und Eva waren durch die Frucht des verbotenen Baumes sehr klug geworden, und strebten auf jede Weise sich zu helfen. Sie empfingen den Engel Gabriel mit einem großen Gastmahl, mit schönen Reden und mit Schmeicheleien, um sich ihn auf irgend eine Weise zu verpflichten. Sie erreichten auch ihren Zweck; denn dem Engel Gabriel that es allmählich so leid, seine freundlichen Wirthe aus ihrem Aufenthalt treiben zu sollen, daß er zurückging und Gott den Herrn bat, einen Anderen mit der leidigen Sache zu betrauen.

Da schickte Gott den walachischen Engel Florian, denn er wußte, daß dieser viel gehorsamer und nicht so großmüthig sei. Adam und Eva saßen gerade bei Tisch, als Florian ankam, in Bundschuhen, den Hut unten, und einen Stock in der Hand. Er wünschte unterwürfig guten Tag, und sagte, weshalb er gekommen sei. Hierauf schreit Adam ihn an, und fragt ihn ‚Hast Du eine Schrift?‘

‚Nein,‘ stammelte Florian, erschrak und ging zurück in den Himmel.

Jetzt schickte Gott den deutschen Engel Michael hinunter. Vor diesem erschraken Adam und Eva, und sie richteten eine noch größere Mahlzeit an, um ihn zu erweichen. Sie trugen Alles auf, besonders gute Würste und starkes Bier. Der Engel Michael ließ sich beides schmecken; als er sich dann bis hinauf satt gegessen hatte, zog er sein Schwert heraus und sagte: ‚Na, jetzt packt Euch hinaus!‘

Adam und Eva baten ihn sehr, er möge barmherzig, er möge gnädig sein, er möge bedenken, wie gut sie ihn bewirthet hätten.

Engel Michael aber ließ sich nicht erweichen, sondern sagte: ‚Mußáj,‘ und trieb sie hinaus.

Seitdem muß Jedermann dem ‚Mußáj‘ gegenüber nachgeben.“

„Mußáj“ ist ohne Frage das deutsche „Es muß sein“, und in dieser Bedeutung in der ungarischen Volkssprache eingebürgert.




Die deutsche Presse in Metz. Vom 18. October 1871 datirt die erste reindeutsche „Metzer Zeitung“. Wir begrüßen diesen Kämpfer für die geistige Wiedereroberung des alten, durch die Waffen neugewonnenen Reichslandes um so freudiger, als wir damit ein unabhängiges Blatt mehr gewonnen haben, das, frei von jeder Regierungs-Subvention, allein im Volke seinen Halt suchen muß. Vor der Hand ist das deutsche Volk in Metz nur durch eine Colonie vertreten, die mitten zwischen dem Franzosenthum einen festen Kern einnimmt. Welcher vaterländische Geist in diese Colonie aus der Heimath mit hereinzieht, dafür liefert die „Gartenlaube“ selbst ein überraschendes Beispiel; denn während vor dem Kriege kein einziges Exemplar derselben nach Metz ging, zählt sie jetzt schon weit über sechshundert Abnehmer dort und erfreut sich einer wöchentlichen Zunahme. Dennoch würde unter den dermaligen Bevölkerungsverhältnissen die Gründung einer reindeutschen Zeitung ein gewagtes Unternehmen sein, wenn die deutsche Colonie in Metz allein deren Leser liefern sollte; das Blatt konnte nur mit der Hoffnung gegründet werden, daß Deutschland selbst ihm seine Theilnahme zuwenden werde, und dies wird sicherlich geschehen, falls die Redaction sich diese Theilnahme zu verdienen versteht. Das wird ihr am leichtesten dadurch gelingen, daß sie der deutschen Theilnahme für Lothringen mit recht frischen eingehenden Schilderungen und Belehrungen aus dem lothringischen Volksleben der Vergangenheit und Gegenwart entgegenkommt; solche Belehrungen werden dort wie hier die Leser am raschesten beiziehen. Die tägliche und alltägliche politische Berichtweise, die uns in Hunderten von Zeitungen geboten ist, thut das allein nicht. Um aber Das leisten zu können, muß die Redaction von Deutschland aus sofort unterstützt werden. Die „Metzer Zeitung“ hat so reiches, uns jetzt so nahe am Herzen liegendes Material um sich herum, daß sie bei rechter Ausbeute desselben ein ebenso genuß- als verdienstreiches Unternehmen werden kann.




Mitten in Deutschland verschollen! Es ist ein Nothschrei herzbedrängter Eltern, welcher uns zu folgender Mittheilung veranlaßt: Julius Eduard Freier, der Sohn des Bergarbeiters Karl Heinrich Moritz Freier in Freiberg, 1850 geboren, war vom 1. October 1868 bis zum letzten October 1869 in Dresden Copist des Advocaten Hähnel, begab sich am ersten November nach Leipzig, wo ihm angeblich in einer Buchhandlung Anstellung zugesagt war. Einige Tage später schrieb er den Seinen, daß er, wegen Geschäftsveränderung seines Principals, seine Stelle erst am fünfzehnten antreten könne, währenddeß aber in einer andern Buchhandlung Stellung habe – in welcher? das haben die Eltern nie erfahren können. Am 18. November meldete er sich bei der Leipziger Polizeibehörde nach Magdeburg ab, am 21. November empfingen seine Eltern eine Postkarte aus Eilenburg mit der Bemerkung „Brief folgt bald“ – und damit ist dieser junge Mann bis heute spurlos verschwunden. In Magdeburg und Eilenburg haben die Behörden keine Kunde von ihm erhalten, und alle sonstigen Schritte der beklagenswerthen Eltern sind ohne Erfolg geblieben. Vielleicht findet sich doch unter den Lesern der Gartenlaube Einer, der Licht in dieses Dunkel bringen kann.



Kleiner Briefkasten.

Eine Leserin d. G. in Kasan. Sie befragen uns über die Entstehung und Bedeutung des Wortes „Frauenzimmer“. Darüber giebt die leider eingegangene Monatsschrift Karl Frommann’s „Die deutschen Mundarten“ folgende Belehrung: Frauenzimmer hieß im sechszehnten und siebenzehnten Jahrhundert das fürstliche Wohn- und Versammlungszimmer der den weiblichen Hofstaat der Fürstin bildenden Hoffräulein, Töchter adeliger Familien des Landes, die zu ihrer Ausbildung in feiner Sitte und weiblichen Arbeiten an den Hof gebracht wurden, wo sie unter Oberaufsicht des Hofmeisters (das heißt des Obervorstehers der ganzen fürstlichen Dienerschaft, des ersten Leibdieners der Fürstin) in Verbindung mit der Hofmeisterin standen, die gewöhnlich adeligen Standes, auch Wittwe oder eine bejahrtere Person war. Daher Bezeichnungen wie zum Beispiel „Marie von Weisbach, eine Jungfrau aus dem Frauenzimmer zu Koburg“, oder „die edle und ehrentugendsame Jungfrau in der Herzogin Frauenzimmer“. Aus dieser Bedeutung entwickelte sich die zweite, nach welcher mit diesem Worte die Gesammtheit der im Frauenzimmer wohnenden Hoffräulein bezeichnet wurde. Zum Beispiel: „Als die lange Reihe der Männer vorbei war, kam das Frauenzimmer, die Edlen, und auch sonst die Jungfern bei der Stadt.“ Hieraus entspann sich dann für das Wort die Bedeutung „des gesammten weiblichen Geschlechts“ überhaupt und daraus zuletzt der jeder einzelnen weiblichen Person.

M. in Z. Schweizer Reisetouren und Erlebnisse sind in so vielerlei Formen als Bücher und Journalartikel auf den literarischen Markt gekommen, daß wir in der That in Zweifel sind, was wir Ihnen davon empfehlen sollen. Eine sehr angenehme Lectüre für Alle, welche noch einmal in Schweizer Erinnerungen schwärmen wollen, bilden die von Max Ring unter dem Titel „In der Schweiz“ in Leipzig erschienenen Reisebilder und Novellen. Als eifriger Leser der Gartenlaube kennen Sie ja unsern langjährigen Mitarbeiter und wissen, wie angenehm und liebenswürdig er zu plaudern versteht.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 792. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_792.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)