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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Die ersteren, also diejenigen, welche schon im Besitze eines nicht blos auskömmlichen, sondern so bedeutenden Vermögens sind, daß sie ohne Arbeit und ohne Sorgen, über die Befriedigung leiblicher und geistiger Bedürfnisse hinaus, die feinsten und höchsten Genüsse eines reichen Culturlebens sich zu eigen machen können, welche aber dessenungeachtet in der Unersättlichkeit der Genußgier oder von gemeiner Habgier getrieben nach müheloser Vermehrung ihrer Schätze trachten, zählen fast ausschließlich zu dem sogenannten hohen Adel, beiläufig gesagt, einer historisch wie juristisch unrichtigen Bezeichnung, die indessen so gebräuchlich ist, daß ihre Anwendung keinem Bedenken zu unterliegen braucht. – Es sind erst wenige Jahre verstrichen, als selbst auf dem preußischen Landtage aus der Mitte der liberalen Parteien gegen den begüterten Theil des Adels der Vorwurf erhoben ward, daß er sich der Thätigkeit und dem Aufschwunge der Industrie gegenüber passiv verhalte. Es wurde auf England hingewiesen, wo überall die Nobility an der Spitze der großen industriellen Unternehmungen stehe und kaum eine Eisenbahn gebaut werde ohne die Mitthätigkeit und finanzielle Hülfe des reichen und mächtigen Landesadels.

Diese Fingerzeige blieben nicht unbeachtet; der reichere und vornehmere Theil des preußischen Adels machte sie sich schnell zu Nutze. Die Landwirthschaft, aus der diese Herren bisher ihre Hauptrevenüen bezogen, lieferte nur unsichere und mäßige Erträge; die Einnahmen aus diesem mit Mühen und mancherlei Sorgen verkauften Besitze erfuhren nur eine sehr langsame Steigerung; schneller und bequemer Gewinn war auf diesem Wege nicht zu erzielen. Werthpapiere, Actien schienen schon angenehmer; die Einlösung von Coupons und Erhebung von Dividenden verursachten wenigstens keine Arbeit; doch blieb der Zinsgenuß immer ein mäßiger, und um das Capital zu vermehren, bedurfte es der Sparsamkeit und Geduld. War es denn nicht möglich, schneller zu diesem Ziele zu gelangen, nicht blos für Kinder und Enkel zu sammeln, sondern selbst und sofort die Früchte der Unternehmungslust zu genießen? – Ja, es gab solche Wege, die mühelos und schnell das Geld in den Säckel des Kühnen leiteten und diesen zudem als Gönner und Förderer großartiger, nützlicher Werke mit einem die Eitelkeit kitzelnden Nimbus schmückten.

An dem Himmel der Berliner Finanzwelt war plötzlich ein Stern erster Größe erschienen, der ein so strahlendes Licht verbreitete, daß Alles von Bewunderung und Neid ergriffen wurde. Ein Handelsmann israelitischen Glaubens aus dem kleinen masurischen Städtchen Neidenburg in Ostpreußen, der sich bereits in mehreren zum Theil abenteuerlichen Unternehmungen in Deutschland, England und Amerika versucht hatte, aber mit allen gescheitert war, fand in dem verhältnißmäßig soliden Berlin den Grund, auf dem er in rapider Schnelligkeit ein so wunderbares, goldglänzendes Gebäude aufrichtete, wie es Stadt und Land in dem deutschen Norden noch nicht erblickt hatten. Strousberg oder Dr. Strousberg, wie er sich hier zu nennen beliebte, war in London Zeitungsreporter gewesen, hatte in Amerika mit alten Kleidern gehandelt, wieder in England in den Bureaux einer Versicherungsgesellschaft gearbeitet und war nach Berlin als Generalagent der Waterloo-Lebensversicherungsgesellschaft gekommen. In dieser Stellung – durch die berüchtigte Verschmelzung der Gesellschaft mit der schon bankerotten Versicherungsgesellschaft „Albert“ wußte er sich sein erstes Capital, man sagt dreißigtausend Thaler, zu verschaffen, mit denen er an sein erstes Eisenbahnunternehmen ging, die ostpreußische Südbahn. Der englische Eisenbahnbauunternehmer Joh. Bray hatte diesen Bau in Entreprise genommen, einigte sich aber einige Zeit darauf mit Strousberg dahin, daß dieser den Bau weiter führte. Bray behauptete, dabei von Strousberg tüchtig über das Ohr gehauen zu sein, und Beide bezeichneten sich gegenseitig und in aller Oeffentlichkeit viele Jahre hindurch mit den ehrenrührigsten Titeln. Jetzt hat ein Sohn von Strousberg die Tochter Bray’s geheirathet, und die beiderseitigen Eltern sind über die Verbindung höchlich erfreut. – Die ferneren Unternehmungen des Ersteren sind bekannt. Ein Eisenbahnbau folgte dem andern, bis die rumänischen Bahnen das Schiff des kecken Lootsen zum Scheitern brachten.

Im Laufe mehrerer Jahre schien das Glück den klugen Speculanten mit seinen Gunstbezeigungen zu überschütten. Was er ergriff, schien zu gelingen. In Ostpreußen, in Posen, in der Mark, in Schlesien, in Böhmen kaufte er Güter von so gewaltigem Umfange, daß er der größte Grundbesitzer in Norddeutschland wurde. In Berlin legte er einen neuen Viehhof mit dem Aufwande einer Million an, im Hannoverschen kaufte er Eisenwerke für mehrere Millionen, in Belgien die Festung Antwerpen für vierzehn Millionen; daneben mehrere der größten Häuser in Berlin; eine eigene große Zeitung wurde zur Vertretung seiner Interessen gegründet. Das Gold schien auf ihn zu regnen; sein Haushalt war auf mehr als fürstlichen Fuß gestellt; die luxuriöse Lebensweise seiner beiden Söhne streifte an das Fabelhafte; und selbst die vorsichtige königliche Hauptbank, die sich eine Zeitlang abweisend verhalten hatte, gab schließlich ihren Widerstand auf und honorirte seine Wechsel. Auch an stattlichen Auszeichnungen und Ehren fehlte es nicht; er wurde in den Reichstag gewählt und erhielt eine Reihe von Orden. Als er seine silberne Hochzeit feierte, wurde der neue Krösus behandelt, wie dies in Deutschland noch keinem Staatsmann oder Feldherrn bei solcher Veranlassung widerfahren ist; unter Anderem wurden ihm zu diesem Feste drei Orden überreicht.

Dies märchenhafte Treiben verleitete nicht allein das unwissende Publicum, sein Geld den Strousberg’schen Unternehmungen zuzuwenden, sondern weckte auch in mehreren großen Herren die Begierde, direct aus den Geldquellen des großen Zauberers zu schöpfen. Hier waren Schätze schnell und mühelos zu heben; es wurde nichts weiter verlangt, als die alten, vornehmen, stolzen Namen zu einer kleinen Manipulation, wenn sie auch etwas zweideutig sein mochte, zu leihen. So wurde die berüchtigte rumänische Eisenbahnangelegenheit in Scene gesetzt. Die beiden Herzöge von Ujest und Ratibor und Graf Lehndorff (ein anderer Fürst, der sich aber alsbald zurückzog, mag eben deshalb ungenannt bleiben) bewarben sich um die Concession, die auch auf ihren Namen ausgestellt wurde, riefen in den Zeitungen zur Actienzeichnung unter volltönender Anpreisung des sicheren Gewinns auf, und setzten ihre Namen auf die Obligationen, wobei nur der kleine bedenkliche Punkt mit unterlief, daß auf dieser letzteren die Bedingungen ein wenig anderslautend waren, indem eine Verpflichtung der rumänischen Regierung aufgenommen wurde, welche diese durchaus in Abrede stellte. Es hatten aber diese Herren gar nicht im Sinne, sich irgendwie weiter um das Gedeihen der ganzen Sache zu kümmern; alles Andere überließen sie ihrem Compagnon Strousberg. Sie hatten diesem nur ihre Namen geliehen, um auf der einen Seite die rumänische Regierung zur Concessions-Ertheilung, auf der anderen das Publicum zum Actienkaufe zu verleiten, wofür ein jeder von ihnen einhunderttausend Thaler von Strousberg erhielt. Einhunderttausend Thaler für eine Gefälligkeit, die gewiß nicht sehr anständiger Natur war!

Dem Publicum gegenüber erreichte Strousberg vollständig seinen Zweck. Die Namen von drei der vornehmsten Magnaten des Landes, deren Reichthum bekannt ist, und von denen zwei dem königlichen Hause nahe stehen, konnten nicht anders, als das Vertrauen in das von ihnen protegirte Unternehmen wecken, und die Actien fanden schnellen Absatz. War an der Berliner Börse doch noch niemals ein Papier emittirt worden, das sich auf so glänzende Namen gestützt hätte! – Und jetzt? Nachdem Strousberg wieder Millionen in die Tasche gesteckt, fordern die Actionäre vergebens ihre Zinsen, und die Herren Concessionäre sehen sich für ihre Hunderttausende einer Verpflichtung gegenüber, die beim Schlusse dieses Jahres über zwanzig Millionen betragen wird. Die Nemesis hat sie rasch ereilt, und es ergeht ihnen übler als dem Schatzgräber, der am folgenden Tage doch nur das gefundene Gold in werthlosen Heckerling verwandelt sah, während sie auch mit ihrem übrigen Vermögen den betrogenen Actionären haften.

Freilich wird die Strafe die Schuldigen nicht in gleichem Maße treffen. Strousberg hat bereits vor zwei Jahren seinen ländlichen Besitz innerhalb und außerhalb Landes seiner Frau verschrieben und alles andere unbewegliche Vermögen versilbert; er wird also hinreichende Summen bei Seite gebracht haben, um dem Rest seines Lebens mit großer Gemüthsruhe entgegensehen zu können. Die beiden Herzöge werden sich wohl auf die fideicommissarische Eigenschaft ihrer Herrschaften stützen und so ihren Grundbesitz den andrängenden Gläubigern entziehen. Graf Lehndorff aber, dessen prächtiger Landsitz Steinort in Ostpreußen freies Allod ist, wird

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 833. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_833.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)