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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

schaffen, er legte eine großartige Rosenplantage an, er erbaute das große, ganz aus Glas bestehende Palmenhaus, das in seiner Form wie in seinem Inhalte damals etwas ganz Neues und Großartiges war, und nun allerdings fingen wieder aus hochragender Esse schwarze Rauchwolken an über der Insel aufzusteigen; nun aber hatte die Zeit in den Köpfen der Menschen aufgeräumt, daß sie nicht mehr an den Schwarzkünstler und an übernatürliche Dinge dabei dachten, sondern an den Maschinenmeister, Vater Friedrich, der in dem kleinen Hause am Wasser laborirte und die englische Maschine zur Bewässerung der neuen Anlagen überwachte.

Nach dem Tode des Königs vereinsamte die Insel, wenn sie auch nicht verödete. Die Anlagen wurden zwar mit großer Sorgfalt unterhalten, aber einem in so großartigen Schaffungsplänen sich bewegenden Geiste, wie Friedrich Wilhelm dem Vierten, der die Krone als etwas so Erhabenes ansah, daß er sie mit aller Größe und aller Pracht umgeben zu müssen glaubte, wie hätte diesem, wie überhaupt einer modernen Hofhaltung das enge Schlößchen mit seinen nüchternen Formen, mit seiner mißverstandenen Gothik genügen können! Um dies ganz zu begreifen, wollen wir einen Augenblick in dasselbe treten. Im Erdgeschosse: ein Empfangszimmer; ein Gesellschaftssalon, ein Thee- und ein Vortragszimmer; auch eine kleine Wohnung für die Gräfin Voß. Heutzutage würde jede Kammerjungfer die Nase rümpfen, wenn man ihr die Wohnung zumuthete, welche Ihre Excellenz, die Oberhofmeisterin der Königin von Preußen, also die vornehmste Dame des Königreiches, inne hatte. Wie eng, wie beschränkt sind aber auch die anderen Räume, wie einfach, wie bescheiden möblirt; nichts von Gold, Sammet, Damast oder Marmor, die Wände mit Papiertapeten beklebt, die Vorhänge von Pers, die gradbeinigen und gradlehnigen Stühle und Sophas mit schwarzem Roßhaarstoff überzogen; nur die auf dem Kamin aufgestellten Porcellangegenstände deuten an, daß hier Leute wohnen, die es weit schöner und besser haben könnten, denen aber die Einfachheit der Sitte in Herz und Gemüth lag. Stattlicher sieht es schon in den Gemächern über eine Treppe aus. Durch die ganze Länge des Gebäudes geht ein Speisesaal von schönen architektonischen Verhältnissen. Die Boisserie und das Parquet sind Kunstwerke, an den Fenstern steht das alte Spinet, auf dem die Königin Luise gespielt hatte. Rückwärts an den Saal stoßen die Privatgemächer des königlichen Paares; an der Stelle, wo das Lager der Königin gestanden, hängt eine Zeichnung ihres Marmorbildes aus der Grabcapelle von Charlottenburg. In dem Schlafzimmer des Königs steht die eiserne Bettstelle, deren er sich während der Campagne 1813 und 1814 bediente; dabei liegt noch eine Militärmütze und ein Uniformsfrack, Gegenstände, die er während seines Aufenthaltes auf der Insel getragen hatte. Diese Gemächer liegen nach der Parkseite hin, und die Laubwände desselben verhängen die Fenster wie mit dichten grünen Schleiern. Nach der entgegengesetzten Seite stößt an den Speisesaal noch ein kleines Thurmgemach – eine Stätte reicher, wehmüthiger Erinnerungen an jene Frau, die so königlich, und jene Königin, die so weiblich war und deren Leben, Leiden und Sterben man dem deutschen Volke vor die Seele zu führen niemals müde werden sollte. Hier stehen wir auf dem Boden, den ihr Fuß so oft berührt, vor dem Tische, an dem sie täglich gesessen und ihren Gefühlen und Gedanken in Briefen Ausdruck und Flügel gegeben hatte, um fernen geliebten Menschen zu sagen, wie glücklich sie an der Seite des geliebtesten Gatten war, und später, wie ihr Herz durch das Unglück des Vaterlandes gebrochen wurde.

Auf dem Schreibtische der Königin ist Alles in derselben Ordnung erhalten, wie es zu ihren Lebzeiten gewesen war: das Schreibzeug, die Nippes etc. In einer Schublade zeigt man noch die Taschentücher mit einer eingestickten Krone und ihrem Namenszuge, die sie benützt; unter Anderem befindet sich auch ein einfacher Zettel von ihrer Hand, mit den Worten: „Vergessen und Vergeben!!!! den 15. Juni 1804.“ Wir kennen die Geschichte dieses Zettels nicht, aber das ist auch gar nicht nöthig, es ist genug, daß er uns einen Einblick in ein weibliches Herz thun läßt, dessen Lebensathem Milde und Liebe war. Hieher auf diesen Tisch, in dieses Zimmer legte und trug der König Alles, was auf jene Zeit Bezug hatte, was von der Hand seiner Kinder und seiner Enkel kam. In Bezug auf Ersteres finden wir einen kleinen illuminirten Kupferstich von sehr geringem künstlerischen Werthe, die Bedeutung liegt aber in der Ueberschrift: „Toast zum 3. August 1812.“ Das Blatt war dem Könige zu seinem Geburtstage geschenkt worden, und zeigte einen Bauern, einen Landwehrmann und einen Soldaten, die über einem Tische die vollen Gläser anstoßen; auf dem Tische liegt: Die Gesetzsammlung für den preußischen Staat 1812.

Wenn auch das Schloß auf der Pfaueninsel von der königlichen Familie nicht mehr bewohnt wurde, so behielt doch der Ort für die einzelnen Glieder derselben die Weihe einer Heimathstätte und bildete, wenn die auswärtigen Mitglieder, namentlich die russische Kaiserfamilie, zum Besuch anwesend waren, einen Vereinigungspunkt für dieselbe. Das Dampfschiff „Alexandra“, welches in einer Havelbucht am Neuen Garten ankert, führte die Familiengäste nach der Insel hinab und gewöhnlich wurde der Platz vor dem Schlosse gewählt, um die Anstalten zur Bewirthung derselben zu etabliren. Alsdann konnte man dort die heiterste, von jedem Etiquettenzwang und Anspruch befreite Gesellschaft sich bewegen sehen, die auf Spaziergängen durch die Insel oder beim Besuche des Schlosses alten, lieben Erinnerungen nachging; bei Lampenlicht und unter freiem Himmel wurde das Mahl eingenommen und gewöhnlich waren schon die Sterne aufgezogen, wenn das Dampfschiff seinen Weg nach Potsdam zurücknahm. Vor Allen liebte der verstorbene Nicolaus von Rußland die Pfaueninsel. Am 13. Juli 1852 gab ihm sein Schwager König Friedrich Wilhelm IV. hier ein Fest, das, wie alle derartigen Veranstaltungen des Königs durch einen geistigen oder künstlerischen Inhalt ausgezeichnet waren, durch die Mitwirkung einer der genialsten Künstlerinnen dieses Jahrhunderts, durch die französische Tragödin Mademoiselle Rachel, verherrlicht wurde. Der Kaiser Nicolaus hatte die Künstlerin nie spielen sehen; er war zu ihrer Zeit nicht in Paris und die Rachel nicht in Petersburg gewesen; es waren oft Unterhandlungen wegen eines Gastspieles der Künstlerin auf dem dortigen kaiserlichen Theater im Gange, diese hatten aber zu keinem Resultate geführt. Da kam die achtundvierziger Revolution, und dann wollte sie der Kaiser nicht mehr sehen. Die Rachel hatte nämlich damals auf dem Théatre français mit der Tricolore zur Seite die Marseillaise gesungen, und er, den Alles, was nach Revolution roch, mit dem Hasse des Principes erfüllte, hatte in Folge dessen einen tiefen Widerwillen gegen die Künstlerin gefaßt, und so kam es, daß ihr Genie ihm fremd geblieben war. Rußland war ihr natürlich von nun an auch verschlossen – zu ihrem großen Leidwesen; denn ein Gastspiel in Petersburg mit allen kaiserlichen Geschenken und den entsprechenden Juwelen am Benefizabende repräsentirte beiläufig eine Summe von fünfhunderttausend Francs, und für Zahlen, namentlich für so hohe Zahlen, war Mademoiselle Rachel nicht unempfänglich.

Sie war während der Anwesenheit des Kaisers Nicolaus im Sommer 1852 mit ihrer Truppe ebenfalls in Berlin, und hochwillkommen mußte ihr der durch Vermittelung des Vorlesers des Königs, des Hofrathes Schneider, ihr übermittelte Wunsch Friedrich Wilhelm’s IV. sein, auf der Pfaueninsel vor dem königlichen Hof und seinen russischen Gästen einige Scenen von ihren berühmten Rollen vorzutragen. Am Abend des 13. Juli sollte die Vorstellung stattfinden. Hofrath Schneider war beauftragt, die Künstlerin vom Bahnhof in Potsdam abzuholen und nach der Pfaueninsel zu geleiten. Unterwegs fragte sie ihren Begleiter, welche Arrangements er hinsichlich der Scenerie getroffen habe.

„Scenerie?“ wiederholte der Hofrath in staunender Frage. „O ja, doch; der weite Parkgrund und hundertjährige Bäume werden die Coulissen, der blaue Himmel die Soffiten und der grüne Rasen Ihr Podium sein.“

„Wie?“ rief die Rachel entrüstet aus, „ich soll auf keiner Bühne spielen, Phädra soll ihre Todesseufzer auf grünem Rasen aushauchen? Man hält es nicht einmal der Mühe werth, für mich eine Scene zu errichten? Nein, ich werde nicht spielen, mein Herr, niemals!“

Nun war es an dem Hofrath, seine ganze Ueberredungskunst aufzubieten, die Künstlerin von ihrem mit aller dramatischen Energie ausgesprochenen Entschlusse abzubringen. Er machte ihr nach der Oertlichkeit und nach dem Charakter, den ihr Auftreten vor dem Hofe haben sollte, begreiflich, daß das Aufschlagen eines Podiums vollkommen unthunlich sei, daß sie es als eine viel höhere Würdigung ihrer Person betrachten könne, wenn sie gewissermaßen auf einem und demselben gesellschaftlichen Boden mit den Herrschaften

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_008.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)