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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

stehe, und daß es ein um so größerer Triumph ihrer Kunst sei, wenn sie ohne Lampen und gemalte Leinwand, blos unterstützt von einer herrlichen Naturscenerie, ihre Wirkungen hervorbringe. „Und dann,“ schloß der beredte Vermittler, „dann, Madame, müssen Sie Eins im Auge behalten, daß sich an diesem Abend die Pforten des kaiserlichen Theaters in St. Petersburg vor Ihnen aufthun werden.“ Letzteres war entscheidend.

„Gut,“ sagte die Rachel, „ich werde auf dem Rasen spielen.“

Leicht hob sich bei dieser Erklärung die Brust ihres Begleiters. Der ganze Hof war versammelt und in Erwartung der Künstlerin. Welche Verlegenheit für den König und seinen Beauftragten wäre entstanden, wenn sie auf ihrem Beschlusse beharrt und nicht gespielt hätte! Aber noch waren alle Hindernisse nicht überwunden. Mit einem leisen Schreck wurde Hofrath Schneider gewahr, daß die Künstlerin ganz schwarz, in schwarze Spitzen und schwarze Seide, gekleidet war. Er machte sie darauf aufmerksam, daß es gegen die Hofsitte verstoße, in Zeiten, wo nicht Hoftrauer vorgeschrieben sei, vor den Herrschaften in Schwarz zu erscheinen; wenigstens müßten in das Schwarz einige bunte Variationen angebracht werden, damit die Kleidung den Charakter der Trauer verliere.

„Aber woher nehmen?“ frug die Künstlerin mit verlegner Miene. „Ich habe nichts Anderes bei mir, ich war darauf nicht vorgesehen, ich habe nicht einmal eine Kammerjungfer bei mir.“

Der vielgewandte Vermittler wußte auch hier Rath. Er befahl dem Kutscher, nach dem Schlosse von Glinicke zu fahren, dem Sommersitze der Prinzessin Karl von Preußen. Dort suchte er eine Hofdame auf, der er seine Verlegenheit schilderte und sein Anliegen in der Bitte vortrug, daß man Europas größter Tragödin mit einigen Toilette-Gegenständen aushelfen mochte. Das geschah; Mademoiselle Rachel wurde in das Schloß geholt und mit Hülfe dienstfertiger Kammerfrauen in kurzer Zeit in eine hoffähige Erscheinung umgewandelt. So erschien sie vor den Herrschaften und spielte Scenen aus „Phädra“, den „Horatiern“ und anderen ihrer berühmten Rollen. Kaiser Nicolaus war von der Macht ihres Genius so hingerissen, daß er am Schlusse der Vorstellung aufstand und ihr als Dank und Huldigung die Hand küßte. Zum Andenken an diesen Abend ließ der kunstsinnige König von dem Bildhauer Affinger eine Statuette der Künstlerin in antikem Gewande meißeln und auf einem marmornen Postamente mit Angabe des Tages und der Jahreszahl an dem Orte aufstellen, wo die Musik ihrer Verse zu den grünen Baumkronen aufgerauscht war und wo die Kunst einem von dem Bewußtsein seiner gewaltigen Macht fast zu Marmor gewordenen Charakter diese Huldigung abgerungen hatte.


(Schluß folgt.)




Der Wundermann auf der G-Saite.


Musikalische Erinnerung aus Weimar von J. C. Lobe.


Am 25. März 1828 erschien in der Wiener Theaterzeitung folgende Anzeige: „Eine sehr interessante Nachricht für die musikalische Welt ist die Ankunft des berühmten, aus Genua gebürtigen Violinspielers Nicolo Paganini, welcher sich einmal entschlossen hat, eine Kunstreise außer Italien zu unternehmen, um dem kunstsinnigen Wien zuerst seine Leistungen zu widmen etc.“

Berühmt? In Italien vielleicht! Wir Deutsche blickten sehr von oben herab auf die italienischen Meister; ihre Opern wurden zwar in der ganzen musikalischen Welt gegeben, waren aber doch nur Spielerei in den Augen der deutschen Kritik. Instrumentalmusik, Symphonien zum Beispiel, konnten sie gar nicht machen. Und von ihrer Virtuosität auf Instrumenten war seit langer Zeit auch gar keine Rede mehr. Da hatten Deutschland und Frankreich andere Matadore. Vor Allen ragten damals auf der Geige hervor Spohr, der Riese an Gestalt und Kunstfertigkeit, Lipinsky, Kiesewetter, Mayseder etc., in Frankreich Rhode, Baillot etc. Von dem genuesischen Geigenspieler hatten nur Wenige gehört, das große Publicum wußte nichts von ihn. Dazu kam, daß er als ein alter kränklicher Mann erschien und in der That schon vierundvierzig Jahre zählte. Im besten Falle eine Ruine, gut genug noch für die deutschen Barbaren. So war es denn nicht zu verwundern, daß sein am 19. März zuerst gegebenes Concert keinen großen Zuspruch fand.

Nun aber – den Tag darauf! Da schien wahrlich ganz Wien musiktoll geworden zu sein. Bei den folgenden Concerten war das Haus schon vom frühen Morgen an von ungeheuren Menschenmassen umlagert, und ob zwar die Preise verdoppelt, dann verdreifacht wurden, trugen doch Viele anstatt eines Billets nur Quetschungen, Beulen und zerrissene Kleider davon. Den Artikeln nach aber, die nun in den Wiener Journalen erschienen, mußten entweder alle dortigen Berichterstatter übergeschnappt oder der Genueser Geiger in Wahrheit das außerordentlichste Virtuosenphänomen sein, das die Welt jemals gesehen und gehört. Da hieß es zum Beispiel: „Wer Paganini nicht gehört hat, kann auch keine Ahnung von ihm haben. Sein Spiel zu detailliren, ist rein unmöglich; da wird auch ein oftmaliges Hören nicht viel helfen.“ Der ruhige, verständige Castelli schrieb: „Noch nie hat ein Künstler in unseren Mauern so ungeheure Sensation erregt wie dieser Gott der Violine. Seine Leistung ist das Höchste, das Außerordentlichste und Bewundernswertheste, was man in der ausübenden musikalischen Kunst hören kann. Er fängt dort an, wo die Anderen zu Ende sind; er leistet das Unglaubliche, ja – da man nicht einmal die Mittel kennt, wodurch er es hervorbringt – für uns das Unmögliche!

Aus allen Städten nun, die er besuchte, Breslau, Berlin, Frankfurt am Main etc., von überall her ertönten dieselben überschwenglichen Berichte.

Ob man da nicht neugierig werden sollte!

Wird er auch nach Weimar kommen? Das war hier die Frage, für mich damals ebenso wichtig wie des armen Hamlet „Sein oder Nichtsein!“ Die kleine Residenz mit ihrem magern Geldbeutel, sagte ich mir freilich, kann ihn nicht anlocken, wenn man von den enormen Summen liest, die ihm die größeren Städte spenden müssen. Doch – die kleine Residenz hat ja einen großen Namen, tröstete ich mich; noch lebt Goethe, Hummel, Marie Pawlowna, selbst eine Claviervirtuosin ersten Ranges. Wenn Paganini ein wirklicher Künstler ist, so kann er Weimar nicht übergehen. So redete ich mir vor, so – doch ich bin ein alter Mann, und das Alter wird leicht geschwätzig. Darum streiche ich mehrere Seiten meines Manuscripts, auf welchen ich meine Warteempfindungen geschildert habe, und komme gleich zu jenem Abend des 29. October 1829, an welchem unser Orchesterdiener Buchholz bei mir eintrat, meldend: „Morgen um neun Uhr Probe auf der Bühne von dem Concert des Herrn Paganini!“

Und aus demselben oben bemerkten Grunde springe ich sogar hier über die Probe hinweg und referire gleich über das Concert am Abend. Aus der Stadt und ganzen Umgegend war Alles herzugeströmt, was den doppelten Eintrittspreis prästiren konnte. Das Haus bot einen prachtvollen, feierlich erhebenden Anblick dar, die Anwesenden waren so zusammengedrängt, ja ineinandergekeilt, daß, wörtlich genommen, ein herabfallender Apfel nicht eher den Boden gewonnen hätte, als am Ende des Concerts. Eine feierliche Stille lag auf der Masse. Aller Augen starrten auf die Bühne, jedes Ohr vibrirte in heißem Durst nach den Tönen des gerühmten Wundermannes. Die Ouverture war vorbei; das arme Ding hatte sich ganz umsonst abgearbeitet, da Niemand darauf hörte. Endlich, nach einer ziemlich langen Pause (Paganini liebte es, wie andere große Herren auch, auf sich warten zu lassen –) trat er hervor. In der linken Hand die Violine, in der rechten den Bogen, glitt er mit leisem eiligen Schritt durch unsere Reihen, bis an die Rampe; ein Pult war nicht da, denn er spielte Alles auswendig. Er machte einige leichte und ziemlich linkische Verbeugungen, wobei er den Bogen bis an den Boden senkte, wie ein General auf der Parade den Degen vor seinem Souverain. Niemals in meinem Leben habe ich einen Menschen gesehen, bei dessen Anblick mir das Herz so weh gethan, so von Rührung und Mitleid ergriffen worden wäre. Eine hagere Figur, in altmodisch schwarzem Frack und bis auf die Sohlen herabhängenden schwarzen Hosen, die um die dürren Glieder schlotterten, wie um ein bloßes Knochengerüst. Aus den langen herabhängenden Locken und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_009.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2018)