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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Ein solcher Kämpfer, ein Geistesheld mit dem Muthe Fichte’s, ist der Philosoph, dessen Bildniß und Lebensbild wir heute unsern Lesern vorlegen: Ludwig Feuerbach.

Die Philosophie ist der wahrste Ausdruck des geistigen Gesammtlebens einer Zeit, und die Geschichte der Philosophie ist ebendarum die Geschichte des menschlichen Geistes. Wir sehen daher diese geistige Machtäußerung des Menschen auch dem Schicksal alles Menschlichen preisgegeben, wir sehen es irren und mißbraucht werden. Ein großartiges Beispiel dafür zeigte sich an der Philosophie Hegel’s, die, weil sie, je älter der Philosoph ward, desto mehr sich mit den kirchlichen Glaubenslehren versöhnte und somit für trefflich conservativ galt, sich im damaligen Staate der Intelligenz die Geltung einer Staatsphilosophie erwarb. Dieser Richtung trat eine kecke Schaar entgegen, die vom hallischen Leo sofort den Titel „Hegelinge“ erhielt, und der entschiedenste unter ihnen war eben unser Feuerbach.

Derselbe ist ein Sohn des berühmten Criminalisten und königlich bairischen wirklichen Staatsraths Anselm von Feuerbach, wurde am 28. Juli 1804 zu Landshut geboren und durchlebte bis heute ein Leben, in welchem weder das Schicksal, noch er selbst Veranlassung gaben, ihn durch besonders auffallende Ereignisse im großem Publicum bekannt zu machen. Eine Rolle im öffentlichen Leben zu spielen, wobei eine Schaustellung seiner Person nicht zu umgehen gewesen wäre, dazu war er viel zu wenig eitel. Er liebte es, mehr zu sein, als zu scheinen, und darum haßte er auch ebenso die Reclame, als er unfähig war, auf andern Antrieb, als von seinem Genius gedrängt, nur eine Zeile für die Oeffentlichkeit zu schreiben. Feuerbach’s Leben sind seine Schriften. Bei ihm ging der Mensch im Schriftsteller auf, wofür er in seinen Schriften aber auch den ganzen Menschen zeigt.

Was Feuerbach zu irgend einer Zeit seines Lebens war, das war er allemal ganz. In seiner Jugend war er fromm, aber fromm mit der ganzen Energie seines Wesens. Er betete und fastete – daher das Wort, das er gelegentlich äußerte: „Die Theologie hat mir den Magen verdorben.“ – Er ging zur Universität Heidelberg mit dem festen, ernst gemeinten Entschluß ab, Theologie zu studiren und ein Geistlicher zu werden. Er selbst sagt daher später: „Wenn irgend Einer berufen und berechtigt war, über die Religion ein Urtheil zu fällen, so war ich es; denn ich habe die Religion nicht nur aus Büchern studirt und sie nicht nur aus dem Leben Anderer, sondern auch aus meinem eigenen Leben kennen gelernt.“

Heidelberg vermochte dem rastlos strebenden Geiste des jungen Mannes indeß keine hinlängliche Nahrung zu bieten. Er ging deshalb (im Jahre 1824) nach Berlin und bald schrieb er von da seinem Vater: „Ich habe die Theologie aufgegeben, aber ich habe sie nicht muthwillig oder leichtsinnig aufgegeben, nicht weil sie mir nicht gefällt, sondern weil sie mich nicht befriedigt, weil sie mir nicht giebt, was ich fordere, was ich nothwendig bedarf. Ich will die Natur, vor deren Tiefe der feige Theologe zurückbebt, ich will den Menschen, aber den ganzen Menschen an mein Herz drücken.“ Hegel war der gewaltige Magnet, der damals den strebsamen Theil der studirenden Jugend unwiderstehlich an sich zog, und auch Feuerbach widerstand dieser Anziehungskraft nicht. Aber er wußte sich doch bald selbstständiger und nach und nach von der Hegel’schen Philosophie ganz unabhängig zu machen. Trotzdem schreckte der Ausspruch: „Feuerbach ist Hegelianer!“ selbst manchen Gelehrten von der Lecture seiner Schriften ab und ließ Feuerbach so nicht zur rechten Popularität gelangen. Schon sein Erstlingswerk: „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“, das von genialer Laune übersprudelt, spottet gleichsam aller Schulzucht, und in seinem „Wesen des Christenthums“, das seinen Ruf vorzüglich begründete, ist der entschiedene Bruch mit der Hegel’schen Doctrin nicht mehr zu verkennen. Leider betrachtete das Publicum mit dem noch den Gährungsproceß nicht gänzlich verleugnenden „Wesen des Christenthums“ die schriftstellerische Thätigkeit Feuerbach’s als auf ihrem Höhepunkte angelangt und somit als ziemlich abgeschlossen, während er selbst doch keineswegs schon mit sich fertig war und von jetzt an erst ganz und gar seine eigenen Wege ging. In seiner „Theogonie“ (Götterentstehungslehre) erinnert nichts mehr an die philosophische Schule, die er durchlaufen. Hier ist, während die Behandlung des Stoffes, den er als Meister beherrscht, den auf der Höhe der Wissenschaft stehenden Gelehrten keinen Augenblick verkennen läßt, die Darstellung durchweg plan, ruhig, lichtvoll, geistreich, und die Sprache classisch. Aber wer hat denn seine Theogonie gelesen, trotzdem er dieselbe unter dem einladenderen Titel „Gottheit, Freiheit und Unsterblichkeit“ im Jahre 1866 als zehnten Band der Gesammtausgabe seiner Schriften hat erscheinen lassen?

Wie Feuerbach früher der Theologie den Abschied gegeben, so wollte er nun auch die Philosophie an den Nagel hängen, um sich ganz und gar der einzig wahrhaften Wissenschaft, der Naturwissenschaft, in die Arme zu werfen. Allein der Tod des Königs Max des Ersten, der die zahlreichen und sämmtlich begabten Söhne Anselm’s von Feuerbach auf seine Kosten studiren ließ, vereitelte diesen Plan; Ludwig Feuerbach konnte nicht fortstudiren und mußte Philosoph bleiben. – Im Jahre 1828 habilitirte sich Feuerbach als Docent der Philosophie in Erlangen und hielt Vorlesungen über Logik und Metaphysik. Bald fühlte er aber, daß er auf dem Lehrstuhle, wo er lehren sollte, wie die polizeilich gedrillte Schule es verlangte, nicht an seinem Platze war, und vertauschte den erstickenden Schulstaub mit der freien Landluft. Er zog nach Bruckberg, einem kleinen, waldeinsamen Dorfe in der Nähe Ansbachs. Die Natur und ihre Wissenschaft lag ihm fortwährend im Sinn. „Alle abstracten Wissenschaften verstümmeln den Menschen; die Naturwissenschaft allein ist es, die ihn in integrum restituirt, die den ganzen Menschen, alle seine Kräfte und Sinne in Anspruch nimmt.“ In Bruckberg’s stiller Waldeinsamkeit entstanden in rascher Folge seine epochemachendsten Schriften (im Verlage bei Otto Wigand in Leipzig), und namentlich war er ein rüstiger Mitarbeiter an den Halle’schen Jahrbüchern (Herausgeber Ruge und Echtermeyer), die zu ihrer Zeit die neuen Fortschrittsideen mit rücksichtsloser Kühnheit vertraten. Leider nähren Literatur und Philosophie ihren Mann nur schlecht; deshalb machte Feuerbach einen Versuch zur Erlangung einer Professur, jedoch vergebens. Nachdem er aber, 1838, die Schwägerin des Freundes, der ihm das stille Philosophenasyl im Gutsschlosse zu Bruckberg eröffnet, als Gattin heimgeführt, war es ein Freudenschrei, den er in den Worten ausdrückte: „Jetzt kann ich meinem Genius huldigen, jetzt unbeschränkt, frei, rücksichtslos der Entfaltung des eigenen Wesens mich weihen!“

Die hochgehenden Wogen des Jahres 1848 ließen ihn noch einmal den Schauplatz des öffentlichen Wirkens betreten. Studenten waren es, die ihn nach Heidelberg beriefen, wo er jedoch nicht auf der Universität, sondern auf dem Rathhause und vor einem gemischten Publicum Vorlegungen über „das Wesen der Religion“ hielt. Im folgenden Jahre kehrte er in sein stilles Dorf zurück, das er nie mehr verlassen haben würde, hätte nicht die Noth an seine Thür geklopft. Nach dem Tode seines Schwiegervaters war er Theilhaber an einer Fabrik geworden, die leider ein so unglückliches Ende nahm, daß er sein ganzes Vermögen dabei einbüßte und seine Schloßwohnung zu Bruckberg verlassen mußte. Eine bescheidene, einsam gelegene Wohnung am Rechenberg bei Nürnberg ist seitdem sein Asyl.

Fragen wir nach den Grundsätzen dieses Philosophen, so finden wir sie von ihm, allerdings eisern, ebenso furcht- als rücksichtslos in folgendem Satz ausgesprochen: „Mir war es und ist es vor Allem darum zu thun, das dunkle Wesen der Religion mit der Fackel der Vernunft zu beleuchten, damit der Mensch endlich aufhöre, eine Beute, ein Spielball aller jener menschenfeindlichen Mächte zu sein, die sich von jeher, die sich noch heute des Dunkels der Religion zur Unterdrückung des Menschen bedienen. Mein Zweck war, zu beweisen, daß die Mächte, vor denen sich der Mensch in der Religion beugt und fürchtet, nur Geschöpfe seines eigenen unfreien, furchtsamen Gemüthes und unwissenden, ungebildeten Verstandes sind, zu beweisen, daß überhaupt das Wesen, welches der Mensch als ein anderes, von ihm unterschiedenes Wesen in der Religion und Theologie sich selbst gegenübersetzt, sein eigenes Wesen ist. Der Zweck meiner Schriften ist: die Menschen aus Theologen zu Anthropologen, aus Theophilen zu Philanthropen, aus Candidaten des Jenseits zu Studenten des Diesseits, aus religiösen und politischen Kammerdienern der himmlischen und irdischen Monarchie und Aristokratie zu freien, selbstbewußten Bürgern der Erde zu machen. Mein Zweck ist daher nichts weniger als ein negativer, verneinender, sondern ein positiver, ja, ich verneine nur, um zu bejahen; ich verneine nur das phantastische Scheinwesen der Theologie und Religion, um das wirkliche Wesen des Menschen zu bejahen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_018.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)