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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Kohlenstoff (welcher einen Hauptbestandtheil der Kohle und Kohlensäure bildet) vor und dieser wird deshalb auch „Phytogen, Pflanzenstofferzeuger“ genannt, während der Stickstoff (im Ammoniak reichlich vorhanden) in dem thierischen und menschlichen Organismus vorherrschend ist und darum als „Zoogen, Thierstofferzeuger“ bezeichnet wird. Der Sauerstoff oder die Lebensluft ist sodann der Vermittler aller Bewegungen und Thätigkeiten in organischen Körpern und unterhält in diesen den gehörigen unentbehrlichen Wärmegrad mit Hülfe von Verbrennungen.

Für ihre kurze Existenz haben es die Organismen durchaus nöthig, daß ihnen fortwährend solche Stoffe zugeführt werden, aus denen sie selbst ihren Körper, der sich immerwährend abnutzt, fort und fort neu aufbauen. Man pflegt dieses fortwährende Neubilden und Absterben der Bestandtheile der Organismen „Stoffwechsel“ zu nennen. So lange derselbe im Gange ist, sagt man von jedem organischen Körper „er lebt“, betrachtet Stoffwechsel und Leben als gleichbedeutend und nennt die organischen Körper auch „belebte, lebende, lebendige“. Hört der Stoffwechsel in ihnen auf, dann pflegt man dies „Sterben, Tod“ zu nennen, und in dem dadurch zur „Leiche“ gewordenen Organismus tritt nun durch Trennung der verschiedenen, sehr locker mit einander verbundenen Elemente die Zerstörung der organischen Substanz (durch Fäulniß, Verwesung, Vermoderung, Gährung) und damit die Umbildung derselben in unorganische Stoffe ein. Auf diese Weise hört zwar jeder organische Körper als solcher mit seinen Eigenschaften nach seinem Tode scheinbar ganz auf, allein es dauern seine Grundstoffe (meist zu unorganischen Stoffen, Gasen, Asche, vereinigt) fort und helfen wieder neue Körper bilden. Das den Stoffwechsel bedingende, aber auch nur von physikalischen und chemischen Kräften abhängende Zusammen- und Aufeinanderwirken der organischen Stoffe in einem Organismus, wodurch dieser aufgebaut und während seiner Lebenszeit in der ihm eigenthümlichen Form erhalten wird, pflegt man als „Lebenskraft, Seele“ zu bezeichnen und die organischen Körper deshalb auch „beseelte“ zu nennen. In diesem Sinne hätte also die Pflanze ebenso gut eine Seele wie der Mensch. – Ob die Selbsterzeugung von Organismen aus anorganischen Stoffen ebenso wie früher in der Urzeit auch heute noch fortdauert, ist noch unentschieden. Verschiedene Beobachter wollen allerdings Infusorien durch freiwillige Zeugung haben entstehen sehen. Das scheint aber ziemlich sicher, daß alle organische Materie, welche heutzutage auf unserer Erde existirt, einst aus der unorganischen (mineralischen) hervorgegangen ist.

Die, organische Körper zusammensetzende eigenthümliche Masse pflegt man „organischen Stoff“ zu nennen und die diesem Stoffe zukommende Form (Structur und Textur) als „organisirte“ zu bezeichnen. Bei allen Organismen kommt nun die Organisation auf ganz dieselbe Weise zu Stande, nämlich durch die Zellenbildung, und diese geht auf folgende Weise vor sich: In dem sogenannten „Plasma, Protoplasma oder Cytoplasma, Sarkode, Oken’s Urschleim“, d. i. einer formlosen und structurlosen, aus eiweißartiger Kohlenstoffverbindung bestehenden schleimigen Masse (welche der wesentlichste und nie fehlende Träger der Lebenserscheinungen in allen Organismen ist) entwickeln sich zu allererst nur durch das Mikroskop sichtbare festere rundliche Kerne, in denen noch kleinere Körperchen (sogenannte Kernkörperchen) sichtbar werden. Sehr bald bildet sich um jedes kernhaltige Eiweißklümpchen eine Hülle (Zellhaut, Zellenmembran) und nun ist eine einfache Zelle entstanden. Jeder Organismus (Pflanze, Thier und Mensch) ist anfangs weiter nichts, als eine einfache Eizelle, ein einziges Schleimklümpchen mit einem Kern. Aus diesem einzelligen Urwesen, welches weder Thier noch Pflanze ist, bildet sich durch weitere Entwickelung der Mensch, das Thier und die Pflanze hervor. Innerhalb der Zelle zerfällt nämlich der Zellenkern durch Selbsttheilung in zwei Kerne und um jeden häuft sich Zelleninhalt an, so daß nun in einer Zelle (Mutterzelle) zwei junge Zellen (Tochterzellen) sich befinden. Diese beiden Zellen zerfallen durch fortgesetzte Selbsttheilung in vier, diese in acht, in sechszehn, zweiunddreißig etc. Zellen und endlich ist ein kugliger Haufen von sehr zahlreichen kleinen Zellen (Embryonalzellen) entstanden, die nun durch weitere Vermehrung (Zellenwucherungsproceß durch Theilung) und ungleichartige Ausbildung (zu Plättchen, Fäserchen, Röhrchen, Häutchen) allmählich den ganzen Organismus in allen seinen Theilen aufbauen. Jeder Organismus, mit Ausnahme der allerniedrigsten organischen Körper (Moneren), hat im Beginne seiner Entwickelung diesen sogenannten „Zerklüftungs- oder Furchungsproceß“ durchmachen müssen. – Die Zellenbildung ist nur bei Luftzutritt und dem gehörigen Wärmegrade, sowie natürlich beim Vorhandensein jenes Plasmas möglich; letzterem dürfen aber gewisse chemische Substanzen, nämlich: Wasser, Eiweißsubstanz (Eiweiß, Kleber), kohlenwasserstoffige Substanz (Fett, Stärke) und Salze (vorzugsweise Kochsalz und Kalksalze) nicht fehlen. Man trifft die genannten, zur Zellenbildung unentbehrlichen chemischen Substanzen in ihrer Vereinigung: im Thier-Ei und im Pflanzen-Samen, im Blut und in der Milch. – Die Pflanzen haben die Fähigkeit, unorganische Stoffe als Material zum Aufbau ihrer Zellen verwenden zu können, während Thiere und Menschen zu ihrem Bestehen durchaus organischer Stoffe bedürfen. Und deshalb, nicht weil die Pflanze bei ihrem ersten Entstehen unvollkommener als das Thier war, dürfte von den Organismen die Pflanze vor dem Thiere auf unserer Erde existirt haben.

Betrachtet man nun die Organismen, welche auf unserer Erde seit der ersten Entwickelung organischer Körper gelebt haben und zur Zeit noch leben, so ergiebt sich, daß eine scharfe Grenze zwischen den einzelnen nicht aufzufinden ist und daß alle zusammen eine ununterbrochene Kette von Körpern bilden, deren unterstes Glied die einfachsten, nur aus einer oder wenigen Zellen bestehenden Pflanzen und Thiere sind, während das oberste der Mensch ist. An der untersten Grenze des Lebens stehen einzellige Wesen, welche man weder für Thiere noch für Pflanzen erklären kann und Protisten, Urwesen nennt. Ist eine solche Zelle mit Zusammenziehungs- und Ausdehnungsfähigkeit versehen (contractil), so theilt man sie dem Thierreiche, ist sie es nicht, dem Pflanzenreiche zu. Manche sind aber nur zeitweilig contractil und deshalb Mittelglieder zwischen Thier und Pflanze. Der Uebergang vom Pflanzen- zum Thierreiche ist also ein so unmerklicher, daß man von manchen Körpern nicht weiß, ob sie zu den Pflanzen oder zu den Thieren zu rechnen sind (Oldhamia, Phytozoen und Zoophyten). Auch Uebergänge zwischen den einzelnen Wirbelthierclassen existirten und existiren noch, wie von den Amphibien zu den Fischen und Vögeln. Selbst der Uebergang vom Thiere zum Menschen ist ein sehr allmählicher, wie der Schritt vom Affen zum Neger beweist, welcher die Annahme eines eigenen „Menschenreiches“ nicht zuläßt. Ja selbst der Uebergang aus dem unorganischen Reiche in das organische ist ein kaum bemerkbarer, wie die Lithophyten, Nulliporen und Korallen beweisen. – Verfolgen wir nun die Organismenkette von unserer jetzigen Erdoberfläche aus in die Erdrinde hinein bis zu der Stelle, wo zuerst organische Körper auftraten, und vergleicht man die in den verschiedenen Schichten der Erdrinde vorhandenen versteinerten Ueberreste der damals lebenden Thiere und Pflanzen untereinander und mit den jetzt lebenden, so zeigt es sich deutlich, daß alle verschiedenen Thier- und Pflanzenarten, welche jemals existirt haben und noch existiren, nur die veränderten und immer vollkommner gewordenen Nachkommen ihrer einfacheren Vorfahren sind und schließlich von einer einzigen oder einigen wenigen, höchst einfachen, ursprünglichen Stammformen abstammen. – Jedoch ist dabei stets zu bedenken, daß die jetzt vorhandenen Formen nicht etwa direct aus einander hervorgegangen, sondern nur die Abkömmlinge, Endglieder oder letzten Resultate einzelner Abzweigungen aus den großen Entwickelungsstämmen der Vergangenheit sind, gebildet durch eine Millionen Jahre dauernde, langsame Arbeit der Natur. Es ist eine Unmöglichkeit, daß solche Ausläufer einer für sich verlaufenden Reihe an ihren Endgliedern oder Endpunkten in einander übergehen können. Aus einem Esel kann niemals ein Löwe, aus einem jetzigen Affen kein Mensch werden, obschon sie in der Vergangenheit einer Wurzel entsprossen zu sein scheinen. Wie bei einem Strauche die Zweige neben einander in verschiedener Höhe emporwachsen und aus einem Zweig immer andere Zweige hervorgehen, so verhält es sich bei der ursprünglichen Bildung der Pflanzen und Thiere. Aus einem gemeinsamen Urstamme wuchsen verschiedene Abtheilungen hervor, von welchen sich eine jede für sich weiter fortbildete und sich mit jedem Schritt weiter von ihrem ersten Vorbild entfernte, ohne directen Zusammenhang weiter mit den anderen Abtheilungen zu haben. Auch der Mensch scheint hinsichtlich seiner Entwickelung von den Pflanzen und Thieren keine Ausnahme zu machen, auch von ihm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_043.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)