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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 4.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Am Altar.


Von E. Werner, Verfasser des „Helden der Feder“.


(Fortsetzung.)


„Meinst Du?“ entgegnete der Prälat seinem Bruder. „Ich fürchte das Gegentheil. Man brennt vor Neugierde, diesen neuen Herrn von Dobra kennen zu lernen, und da man sich sehr bequem mit meiner Verantwortung decken kann, so glaube ich eher, auf die allgemeine Dankbarkeit rechnen zu dürfen.“

„Wie es Dir beliebt!“ erklärte der Graf kalt. „Zum Mindesten wirst Du es begreiflich finden, wenn ich und die Meinigen diesem – Herrn möglichst fern bleiben. Ich liebe nicht die Berührung mit Emporkömmlingen solcher Art.“

„Hattest Du immer eine so entschiedene Antipathie gegen das Bürgerthum?“ fragte der Prälat leise und hohnvoll.

Rhaneck wollte auffahren. „Bruder!“

„Ruhig, Ottfried! Du vergißt, daß wir nicht allein sind und daß alle Welt uns beobachtet. Ich kann die Widersprüche in Deinem Charakter nicht leiden, sonst hätte ich Dir die Erinnerung erspart. – Uebrigens habe ich Dir Benedict mitgebracht. Sprachst Du ihn schon?“

Der Prälat hatte das rechte Beruhigungsmittel ergriffen. Die Züge des Grafen wurden sofort sanfter, als er den Genannten erblickte, der in einiger Entfernung von ihnen stand. Ueberdies machte das Hervortreten des jungen Grafen dem Gespräch jetzt ein Ende; der Prälat wandte sich zu seinem Neffen.

„Nun, wie findest Du Dich in unsere Bergeseinsamkeit nach Deinem Residenzleben?“ fragte er halb scherzend.

Auf dem Gesichte Ottfried’s stand deutlich geschrieben, daß ihm Eins so langweilig erschien wie das Andere; indessen dem Oheim gegenüber wagte er doch nicht, seine ganze Blasirtheit zur Schau zu tragen.

„Nun, es ist immerhin eine Abwechslung! Allerdings haben mich die Berge nicht sehr freundlich empfangen bei dem ersten Besuch, den ich ihnen gestern abstatten wollte. Ich ritt über die untere Brücke, von wo der Paß hinein in’s Gebirge führt, da scheut mein Pferd plötzlich, ohne irgend eine äußere Veranlassung, und ist nicht zu bewegen, auch nur einen Schritt vorwärts zu thun. Als ich das Thier schließlich zwingen will, bäumt es und stürzt mit mir, so daß ich von Glück sagen kann, unverletzt davongekommen zu sein. Der alte Florian, der hinter mir ritt, und der den Kopf immer voll Aberglauben und Spukgeschichten hat, behauptet steif und fest, Almansor habe irgend etwas Entsetzliches gesehen, und prophezeit mir alles mögliche Unheil. Nun, ich muß gestehen, glückverkündend war das Omen gerade nicht.“

Er sagte das lachend und spöttisch, aber der Graf, der die Erzählung seines Sohnes mit angehört hatte, runzelte leicht die Stirn.

„An der ganzen Sache wird wohl nur Dein wildes Reiten schuld sein. Du solltest Deine Gesundheit besser in Acht nehmen, Du weißt doch, wie sehr Du sie zu schonen hast.“

Sein Auge glitt dabei flüchtig über die matten Züge des Sohnes, aber in dem Blick lag keine Spur von jener angstvollen Zärtlichkeit, mit der er noch vor kurzem die Blässe eines anderen Gesichtes geprüft, und auch der Ton hatte mehr von Vorwurf als von Besorgniß.

„Noch eins!“ fuhr er rascher fort, „ich wollte Dir bei Gelegenheit des heutigen Festes den Pater Benedict zuführen. Du erinnerst Dich doch noch seiner?“

„Pater Benedict? Nein!“ sagte Ottfried gleichgültig.

„Du mußt Dich doch des Knaben Bruno entsinnen,“ nahm jetzt der Prälat das Wort. „Er kam, so viel ich weiß, öfter in Euer Haus, als er noch das Seminar in der Residenz besuchte.“

Ottfried sah aus, als halte er es für eine starke Zumuthung, seinen Kopf mit dergleichen Nichtigkeiten anzustrengen, indessen die Worte des Oheims schienen doch eine Erinnerung in ihm wachzurufen.

„Ah so, der junge Mensch, den Papa erziehen und ausbilden ließ! Richtig, der scheue störrische Bube, der nie zum Reden oder Spielen zu bringen war! Papa überhäufte ihn mit Wohlthaten, aber er zeigte sich nie besonders dankbar dafür, er mußte immer erst halb gezwungen werden, in’s Palais zu kommen. Ein unerträglicher Bursche!“

Der leise Hohn schwebte wieder um die Lippen des Prälaten, als er schweigend den Bruder ansah, über dessen Stirn aufs neue der schnell verschwindende rothe Schein lief.

„Ich habe nie begreifen können, wie Papa mir einen solchen Spielgefährten zumuthen konnte!“ fuhr der junge Graf fort, den Kopf hochmüthig zurückwerfend. „Er war ja wohl der Sohn irgend eines Bedienten, von einem unserer Güter.“

Rhaneck hatte stumm die Lippen zusammengepreßt, bei den letzten Worten aber zuckte er zornig auf.

„Was Pater Benedict gewesen ist, kommt für Dich jetzt nicht mehr in Betracht. Gegenwärtig ist er Priester, gehört er demselben Stande an, wie Dein Oheim, und Du wirst auch ihm die Achtung und Ehrfurcht zollen, die diesem Stande gebührt; ich verlange das ganz entschieden von Dir.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_053.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)