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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

des unzurechnungsfähigen Pietismus entsprießen. Was in dieser obscuren Missions-Presse im allerabgeschmacktesten und geistlosesten Kauderwelsch dieser Partei fort und fort hinter dem Rücken der großen Oeffentlichkeit erzählt und gepredigt, gebetet und gehetzt, gelobt, getadelt und an haarsträubender Verschrobenheit und bildungsfeindlicher Inhumanität im Tone winselnder Dummdreistigkeit zu Markte getragen wird, sollte nicht übersehen, es müßte wenigstens von Zeit zu Zeit durch eine kurze Blumenlese von Auszügen der Beachtung der Gebildeten nahe gelegt werden. Vielleicht geben wir durch die nachfolgende kleine Mittheilung einen Anstoß dazu.

Vor uns liegen ein paar Nummern vom „Stader Sonntagsblatt“. Das Blättchen soll sich einer ziemlichen Verbreitung erfreuen, obgleich es einen durchaus hochorthodoxen Charakter trägt, so fromm und ernsthaft, daß es die Aufmerksamkeit seiner Leser selbst in einer ihrer Unterhaltung gewidmeten Rubrik nur auf hohe und heilige Dinge lenkt. Statt der profanen Räthsel und Charaden unheiliger Volksblätter bringt es „Biblische Räthselfragen“, an denen sich die Bibelfestigkeit, wie z. B. an der folgenden Aufgabe erproben soll: „Welcher Mann ist von einem Nachkommen, der ihn im Leben nie gesehen, als Vater angeredet worden?“ (Antwort: Abraham, Luc. 16, 24.) Ferner: „Wie hieß der Mann, der in einem lebendigen Sarge lag und in seinem Grabe am Leben blieb?“ (Antwort: Jonas.) Doch das sind so kleine Harmlosigkeiten des pietistischen Geschmacks, auf die es uns hier nicht ankommt. Ernster aber steht es mit einer weiteren Frage. Sie lautet: „Wenn das neue Jerusalem eine Stadt ist von 256 deutschen Meilen Länge, eben so viel Breite und eben so viel Höhe, und jeder seiner Bewohner hat einen Raum von 10 Kubikruthen, deren 2000 auf eine deutsche Kubikmeile gehen, wie viele Menschen haben dann in dieser Stadt Platz?“ Darauf ertheilt das Sonntagsblatt die Antwort: „Es haben nach dieser Berechnung 3,355,443,200 Menschen im neuen Jerusalem Platz und zwar so viel Platz, daß Jeder auch noch einige Freunde aufnehmen kann in die ewigen Hütten!“

Man sieht, wie eifrig diesem Pietistenwesen die schöne Aussicht auf die Freuden des zukünftigen Wunder-Jerusalem im Kopfe spukt! Ein Leser ist sogar von der Antwort der Redaction noch nicht befriedigt gewesen; seine mystische Phantasie hat sich ein viel günstigeres Raumverhältniß herausgedüftelt, und er meint in einer fernern Nummer, daß nach jener Berechnung, das „himmlische Jerusalem“ fast allein von den zur Zeit gerade lebenden Menschen gefüllt sein würde. „Wo sollten dann aber“ – so schreibt er wörtlich – „die vielen Millionen der früheren Jahrtausende Platz finden? Petrus würde ihnen nicht die Thore öffnen dürfen, weil es ihm an Platz fehlen würde. Einsender dieses rechnet aber die Größe des himmlischen Jerusalem, nach menschlichen Begriffen, anders. Die 12,000 Feldwege betragen nach ‚Gerlach‘ und den ‚Biblischen Alterthümern vom Calwer Verein‘ ungefähr 375 Meilen. Kubiren wir diese, so bekommen wir für das himmlische Jerusalem 52,734,375 Kubikmeilen. Eine Meile gleich 1587½ laufende Ruthen, das giebt für die Kubikmeile über 4000 Millionen Kubikruthen. Wenn nun für einen Menschen 10 Kubikruthen Raum erforderlich wären, so könnten in jeder Kubikmeile 400 Millionen Menschen wohnen und im ganzen himmlischen Jerusalem somit 21,093:750,000,000,000. ‚In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen!‘“ So druckt’s das protestantische „Stader Sonntagsblatt“ zur Erbauung und Belehrung heutiger Leser und würde gewiß selber entschieden der Annahme widersprechen, daß es etwa scherzhaft gemeinte Spielerei mit solchen ihm heiligen Dingen treibt. Möge man aber allem derartigen Kram der Frömmler nicht blos den Werth einer komischen Selbstcharakteristik beimessen. Er hat an gewissen Stellen seinen Einfluß und zwar einen recht verderblichen.




Bitte für einen Unglücklichen. Man schreibt uns aus Syra in Griechenland: „Der Gartenlaube ist es schon mehrere Male gelungen, verlorengeglaubte Söhne ihren Eltern zurückzugeben; sollte es nicht möglich sein, auch im nachfolgenden Falle einem Unglücklichen durch die Gartenlaube zu den Seinigen zu verhelfen?

Zufällig kam mir vor ein paar Tagen zu Ohren, daß im Dorfe Wari, das etwa anderthalbe Stunde von Syra entfernt ist, sich seit Jahren ein höchst mysteriöser Geisteskranker aufhalte, von dem Niemand mit Bestimmtheit wisse, wie er nach Syra gekommen sei, und den man für einen Dänen halte. Ich ritt deshalb heute von ein paar Freunden begleitet nach Wari, um mich nach dem Manne umzusehen und ihm womöglich nützlich zu sein. Die Leute wollten wissen, er hätte vor Jahren Schiffbruch gelitten, sei von einem Schiffe im Meere aufgefischt und hier an’s Land gesetzt worden. Er spreche, sagte man mir, mit Niemand, thue Niemand etwas zu leide, schlafe bei der größten Kälte auf bloßer Erde in einer verlassenen fenster- und thürlosen Hütte und nehme von Niemand Almosen an, als täglich ein wenig Brod und Käse und nur immer gerade so viel, als er brauche, um sich nothdürftig zu sättigen. Die Leute sprachen alle mit der größten Theilnahme von ihm. Ein Bursche wies uns seine Hütte, wenn sie diesen Namen verdient, und wir ritten mit einiger Gefahr für die Beine unserer Pferde dorthin, fanden ihn aber nicht.

Erst nach langem Herumsuchen sah ich in der Ferne eine Gestalt, ganz in grobe Lumpen gekleidet, die mir der Bursche, der uns begleitete, als den Gesuchten bezeichnete. Ich stieg vom Pferd und ging ihm entgegen. Sobald ich ihm begegnete, sprach ich ihn auf Deutsch an und, nachdem er mich einen Moment betroffen gemustert hatte, antwortete er mir im perfectesten Deutsch. Seine Reden waren oft wirre. Geld und Kleider wollte er durchaus nicht von mir annehmen, meinen Antrag mich in die Stadt zu begleiten wies er entschieden und etwas mißtrauisch ab. Was ich aus ihm herausbringen konnte, ist, daß er Protestant sei, Heinrich Rose heiße und aus Kiel stamme. Sein Vater heiße Heinrich Ludwig Rose. Etwas aus seinem Leben und seinen Verhältnissen zu erfahren, war absolut unmöglich. Ich schätze den Mann auf etwa fünfundvierzig Jahre, obgleich er schon sehr graues Haar hat. Seine Sprache und seine Physiognomie weisen auf den Mann der gebildeten Stände. Er scheint sehr religiös zu sein und bittere Klagen gegen den verstorbenen Prinzen Albert, Gemahl der Königin von England, zu haben. Weßwegen, sagte er nicht.

Sollten in Kiel nicht noch Verwandte des Herrn Rose leben, die sich für diesen Unglücklichen, den sie gewiß längst als todt betrauern, interessiren?

Ich werde schon heute die nöthigen Schritte bei der deutschen Gesandtschaft in Athen veranlassen und hoffe, daß auch die Gartenlaube in ihrer bekannten Humanität und bei den ihr gegebenen Mitteln Nachforschungen anstellen wird. Handelt es sich doch um das Geschick eines unglücklichen Landsmanns.

Konst. Haesslin, königl. griech. Richter.“




Ein Nachtrag. In Folge mehrerer an uns gerichteter Anfragen theilen wir heute nachträglich noch mit, daß der Bau des in Nr. 47 der „Gartenlaube“ v. J. geschilderten Sternwartengebäudes in Bothkamp dem Zimmermeister J. Ellerbroch daselbst übertragen war, der, obgleich er noch nie Gelegenheit gehabt hatte, einen derartigen Bau auszuführen, allen gestellten Anforderungen auf das Vollständigste gerecht wurde. Es gelang ihm, wie der Verfasser des angeführten Artikels sagt, in Bezug auf die innere Einrichtung der Sternwarte eine gewisse Eleganz mit größter Zweckmäßigkeit zu verbinden und somit seine Aufgabe zur allgemeinsten Zufriedenheit zu lösen. – Bei dieser Gelegenheit mag noch bemerkt werden, daß in dem nämlichen Artikel auf Seite 790 in der zweiten Spalte, Zeile 50 von oben, „tausend“ statt „hundert“ zu lesen ist.




Für Ludwig Feuerbach.


gingen ein: Ein alter Spießbürger aus Krähwinkel (Berlin) 100 Thlr. in einer Berlin–Hamburger Eisenbahn-Priorität: Gott schenke der deutschen Nation viele solcher Spießbürger; Schoeler in Czerwinsk 5 Thlr.; F. v. M. in Hanau 5 Thlr.; W. in Rheinsberg 3 Thlr.; M. J. aus E. 5 Thlr.; H. G. S. in Lengefeld 1 Thlr.; aus Eisenach 2 Thlr.; dem Vorkämpfer für wahre echte Religion, d. h. die Liebe (aus Jena) 5 Thlr.; C. H. Meyer in Geestschacht 3 Thlr.; R. M. in O. 8 Thlr.; R. Z. 2 Thlr.; Sammlung bei Aug. Rötger in Neustadt (Cöln) 3 Thlr. 10 Ngr.; Koch in Augsburg 10 Thlr.; P. u. D. in Osnabrück 6 Thlr.; A. H. in Lübeck 2 Thlr.; D. W. in U. 1 Thlr.; Weintrop in Gladbach 2 Thlr.; ein deutsches Mädchen: Meine Jugend war nur Weinen etc. 2 Thlr.; F. Monke in Breslau 2 Thlr.; aus Elster 2 Thlr.; Fiedler in Neusalz 1 Thlr.; F. C. in Moelln 1 Thlr.; J. Kühne in Pisseck 10 Ngr. und G. Köppel in Bobenneukirchen 1 Thlr.; vom König der Thüringer Berge 5 Thlr.; Helene und Minna in Hamburg 30 Thlr.; R. J. in Rötgen 1 Thlr.; N. N. in Münster 1 Thlr.; Heinsius in Coburg 5 Thlr. 21 Ngr. 4 Pf.; Paul Jordan in Hamburg 10 Thlr.; J. S. 2 Thlr.; H. E. in Göttingen 1 Thlr.; Dr. Solger in Berlin 3 Thlr.; G. Keil in Halle 1 Thlr.; durch Langheim u. Comp. in Zittau 1 Thlr. 15 Ngr.; G. Koppa in Dresden 5 Thlr.; Adolf Samter in Königsberg 10 Thlr.; H. u. L. S. in Zwickau 1 Thlr.; Von einem Excommunicirten aus Limburg 2 Thlr.; P. S. in Zittau 1 Thlr.; E. L. in H. 1 Thlr.; K. B. in Merseburg 5 Thlr.; Dr. Max Huppert u. Schlobach in Colditz 2 Thlr.; Dr. Meißner in Eilenburg 10 Thlr.; M. M. in Leipzig 1 Thlr.; R. B. in Leipzig 1 Thlr.; Musketier R. im 76. Inf.-Regiment zur Erinnerung an die vorjährigen Januartage bei Le Mans 1 Thlr; Dr. Jacobson in Berlin 50 Thlr.; Prim. Richter in Frankfurt 10 Ngr.; R. v. E. in Wien 1 Thlr; von H. C. Steinhagen und einigen Theilnehmern in Eutin 8 Thlr.; aus Dresden 2 Thlr.; C. B. in Kötzschenbroda 5 Thlr.; Gymnas. E. W. in Berlin 15 Ngr. mit folgenden Worten:

Dem Kämpfer für die rechte Freiheit,
Dem „Mann mit hellem klaren! Geist“,
Der uns mit „unbefang’nem Auge“
Den Weg zum ewig Wahren weist; –

Den, da er über das erhaben,
Was sogenannte Christen trennt,
Mit Freude und mit ganzem Rechte
Man einen wahren Christen nennt, – – –

Ihm weih’ ich dies geringe Scherflein;
So klein es ist – Sie nehmen’s an!
Sie denken an das deutsche Sprüchwort:
„Ein Lump, der mehr giebt, als er kann!“

Candidat Fr. Schäffer in Solnhofen 2 Thlr.; G. T. in Beuthen 1 Thlr.; aus Fürstenroda 3 Thlr.; v. E. in R. 1 Thlr.; H. Kramer in Kirchberg 3 Thlr.

Wir können mit Genugthuung auf diesen Anfang zur Begründung eines „Nationaldankes für Ludwig Feuerbach“ blicken, zumal wenn wir den Umstand nicht aus den Augen lassen, daß das philosophische Publicum, das aus den Schriften desselben direct seine Begeisterung für ihn zu schöpfen vermöchte, ein nicht eben zahlreiches ist. Dagegen ist in weiten Kreisen anerkannt, was der Philosoph als Publicist gewirkt. Mit Recht sagt ein „Aufruf“ eines „Ausschusses in London“, dem u. A. Karl Blind, Arnold Ruge, Max Schlesinger, Heinrich Simon u. A. angehören: „Viele Jahre hindurch trug er die Leuchte des Gedankens voran. Wenn heute der einst gefangen gehaltene Sinn der Menschheit auf immer weitere Gebiete der Erkenntniß geführt, zu immer lichteren Anschauungen emporgehoben wird, so kommt ein nicht geringer Theil des Verdienstes dem scharfen Kritiker zu, vor dessen mächtigem Worte schwere Fesseln in Staub zusammenfielen. Er darf im schönsten Sinne ein Befreier, ein Pfadfinder der neueren Weltanschauung genannt werden.“ – Und an die Redaction der Gartenlaube direct fügt A. Ruge Dem hinzu: „Alles dies verdient unsere wärmste Dankbarkeit für den großen und guten Mann, der seine Arbeit mit seinem Gehirn bezahlen muß, und es wäre eine Schande, wenn die Nation sich ihrer Befreier nicht dankbar annähme. Hier heißt es: Deutschland zu deinen Hütten! Und zeige den Feinden deiner Entwickelung, wie du denkst“

Redaction der Gartenlaube.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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