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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 6.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Am Altar.


Von E. Werner, Verfasser des „Helden der Feder“.


(Fortsetzung.)


Auch der junge Graf schien sich unbehaglich zu fühlen in der Nähe jenes stummen Zuschauers, der ihm einen sichtlichen Zwang auferlegte. All’ seine Artigkeiten und Liebenswürdigkeiten gingen nur bis zu der Schranke, die man einer fremden Bekanntschaft gegenüber beobachtet, aber der Zwang war ihm augenscheinlich sehr lästig, und er machte einen kecken Versuch, ihn abzuschütteln.

„Wie ich sehe, mein Fräulein, waren Sie soeben im Begriff, zu gehen! Sie erlauben doch, daß ich Sie durch den Wald geleite? Wir stören ohnedies hier Herrn Pater Benedict“ – er warf einen Blick auf das noch immer am Boden liegende Buch –, „der mit wichtigen Studien beschäftigt scheint. Sie werden erfreut sein, die nöthige Ruhe und Muße zurück zu erhalten, Hochwürden. Darf ich bitten, mein Fräulein?“

Lucie war im Begriff, das Anerbieten anzunehmen, Ottfried stand bereits an ihrer Seite und wies nach dem Fußpfade hinüber – da auf einmal trat der junge Priester zwischen sie. Seine Hand legte sich schwer und kalt auf den Arm des jungen Mädchens, sie schauerte leise zusammen unter der Berührung.

„Sie thun besser, den Rückweg allein anzutreten, mein Fräulein! Der Wald ist sicher, vertrauen Sie sich immerhin seinem Schutze!“

Ottfried wendete sich bei der unerwarteten Einmischung hastig um, und maß den Störer mit einem halb zornigen, halb ironischen Blick.

„Ich habe nicht geglaubt, Hochwürden, daß irgend eine weltliche Angelegenheit im Stande wäre, Ihr Interesse zu erregen!“ sagte er spöttisch. „Bitte, bedenken Sie, daß die junge Dame nicht zu Ihren Beichtkindern gehört, und daß ihr jedenfalls allein das Recht zusteht, meine Begleitung anzunehmen oder abzulehnen.“

Die Hand Benedict’s lag noch immer schwer und kalt auf Luciens Arm, seine Stimme war tonlos, aber sie hatte eine eiserne Festigkeit:

„Ich zweifle ebenso sehr daran, daß der Bruder Fräulein Günther’s von diesem – Zusammentreffen und von dieser Begleitung unterrichtet ist, als daß er sie billigt, und ich glaube in seinem Namen zu handeln, wenn ich beides verhindere. Die junge Dame kehrt entweder allein nach Dobra zurück, oder sie geht unter meinem Schutze, nicht unter dem Ihrigen.“

„In der That, Sie maßen sich eine eigenthümliche Bevormundung über uns Beide an!“ rief Ottfried gereizt. „Wer giebt Ihnen das Recht zu solchen Befehlen, dem Fräulein und mir gegenüber?“

„Der Ruf, in dem Sie stehen, Herr Graf!“ gab Benedict eisig zurück.

„Herr Pater Benedict!“ fuhr Ottfried wütend auf.

„Herr Graf Rhaneck!“

Rede und Gegenrede klangen gleich drohend und herausfordernd. Bebend vor Zorn wandte sich Ottfried jetzt an Lucie.

„So muß ich Sie bitten, mein Fräulein, diesen unerhörten Eingriff in Ihren Willen zurückzuweisen! Sagen Sie dem Herrn Pater, daß Sie sich meinem Schutze allein anvertrauen, und nicht gesonnen sind, sich darüber Vorschriften machen zu lassen.“

Lucie – sagte gar nichts. Sie fand den Eingriff freilich auch unerhört, und jedem Andern gegenüber hätte sie sich mit vollster Heftigkeit dagegen erhoben, aber ihr sonst immer reger Trotz und Eigenwille sank hier machtlos zusammen. Sie konnte nicht trotzen diesem Manne gegenüber, der jetzt mit so furchtbarem Ernste auf sie niederschaute, aber sie fühlte mit tiefer Bitterkeit, ja mit einer Art von Verzweiflung, daß sie es nicht konnte. Ihre Ahnung, die sie gleich beim ersten Male diese „Gespensteraugen“ fliehen hieß, hatte sie nicht getäuscht, er bannte sie ja förmlich mit diesen Augen, er legte ihren ganzen Willen damit in Fesseln und lähmte ihr das Wort auf der Zunge.

Lucie hoffte trotzdem, der Graf werde ihr zu Hülfe kommen, und sie war entschlossen, sich dann auf seine Seite zu stellen; jedoch der Graf schien keine Lust zu irgend einem Gewaltstreich zu haben, er schoß einen haßerfüllten Blick auf den jungen Priester, aber er trat zurück.

„Sie werden die Güte haben, mir eine Erklärung über dies Benehmen zu geben, Hochwürden!“

„Sobald wir uns allein gegenüberstehen – zu jeder Stunde!“

Lucie fühlte, wie ihr Arm fester gefaßt wurde, sie sah sich fortgezogen, in der nächsten Minute lag die sonnige Wiese bereits hinter ihnen, und der tiefe Schatten des Waldes nahm sie auf.

Das junge Mädchen eilte mit raschen Schritten vorwärts, sie wollte so bald als möglich der unwillkommenen Begleitung ledig werden, die sie gleichwohl nicht zu verweigern wagte. Benedict hatte ihre Hand in dem Momente losgelassen, als sie in den Wald eintraten, aber er blieb dicht an ihrer Seite. Nicht ein einziges Wort fiel zwischen ihnen während des ganzen, länger als eine halbe Stunde dauernden Weges, und wenn irgend etwas im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_085.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)